So besiegen wir die AfD: Vier Strategien gegen den Rechtsruck
Demokratie Die Demonstrationen machen Mut, doch wird die Frage dringlicher: Wie wird der Rechtsruck nachhaltig zurückgedrängt? Der Soziologe Klaus Dörre legt einen Plan vor, den alle umsetzen können: in den Betrieben, in der Politik – und im Alltag
Hunderttausende sind auf den Straßen, und das seit Wochen. Die Demonstrationen gegen rechts zeigen durchaus Wirkung: In Umfragen verliert die AfD an Zustimmung. Dennoch ist klar: Demonstrationen allein werden eine AfD nicht besiegen, die jahrelang Stärke aus den Rissen gewann, die unsere Gesellschaft spalten. Im Osten erzielt die AfD noch immer Werte um oder gar über 30 Prozent, und auch die Wiederholungswahl in Berlin hat gezeigt: So leicht lassen sich viele AfD-Wähler nicht verunsichern.
Wie also erreicht man diejenigen, die noch immer glauben, die rechtsradikale Partei sei das wirksamste Instrument für ihren Protest? Und diejenigen, die glauben, die AfD vertrete ihre Interessen als Arbeiter – gegen eine Ampel-Regierung, die diese Interessen ganz offensicht
h viele AfD-Wähler nicht verunsichern. Wie also erreicht man diejenigen, die noch immer glauben, die rechtsradikale Partei sei das wirksamste Instrument für ihren Protest? Und diejenigen, die glauben, die AfD vertrete ihre Interessen als Arbeiter – gegen eine Ampel-Regierung, die diese Interessen ganz offensichtlich nicht vertritt? Auf der ersten Kundgebung für Demokratie in Jena war es einem gewerkschaftlichen Vertrauensmann vorbehalten, diese Frage öffentlich zu formulieren. Viele seiner Kolleginnen und Kollegen tendierten zur AfD, sagte er. An der Demonstration könne er sich nur beteiligen, wenn er über die Ursachen des Rechtsrucks spreche, über Leiharbeit, Personalmangel, Arbeitshetze, Inflation, tiefe Löhne und niedrige Renten. Die Kritik an Ampel-Politik und Landesregierung gehöre dazu, erklärte er. Eine mutige Aussage angesichts der Tatsache, dass in Jena auch der linke Ministerpräsident Thüringens, Bodo Ramelow, sowie der Innenminister Georg Maier (SPD) auf dem Marktplatz sprachen. Die Rede des Vertrauensmanns der IG Metall polarisierte.Kritik an der Ampel: erlaubt!„Aufhören!“, riefen einige Demonstranten, andere applaudierten besonders laut. In bürgerlichen Kreisen sorgte der Gewerkschaftsbeitrag für Empörung. Das geschieht aus Sorge um die Geschlossenheit der Demokraten. Doch häufig wird Geschlossenheit gegen rechts als politischer Harmonismus missverstanden. Die öffentlich ausgetragene Kontroverse unter Demonstrierenden signalisiert indessen, was die entstehende Demokratiebewegung braucht: solidarische Kontroverse statt harmonistischer Gefühligkeit. Die Geschlossenheit der Massen auf der Straße gegen den Rechtsextremismus ist das eine – eine politische Harmonie von der Linken bis zu den Marktradikalen von CDU und FDP darf sie jedoch nicht vorgeben. In der Zeit schlägt der Journalist Robert Pausch vor, die Demonstrationen als Machtdemonstration der Mitte zu sehen und Helene Fischer oder Roland Kaiser vor dem Brandenburger Tor auftreten zu lassen, statt sich in Kontroversen um die Migrationspolitik zu verlieren. Geschähe dies, ginge die große Ernsthaftigkeit der Proteste verloren, noch bevor sie eine Demokratiebewegung von Dauer hervorgebracht hätten. Nötig ist etwas völlig anderes. Die Demokratiebewegung muss in die Arbeitswelt und den Alltag getragen werden, und hier wird und darf sie polarisieren. Demokratischer Disput sollte auch dort stattfinden, wo die AfD bereits hegemonial und mehrheitsfähig geworden ist. Wie lässt sich das erreichen? Indem die politische Auseinandersetzung um die Zukunft dieser Republik ernsthaft geführt wird, auf der persönlichen Ebene, aber vor allem in der Arbeitswelt, in den Betrieben und in der Wirtschaft. Es muss um Tarifkämpfe gehen, um Mitbestimmung von Arbeitern und Angestellten bei Investitionsentscheidungen, um die Schuldenbremse und die öffentliche Infrastruktur. Die demokratischen Parteien müssen hier auf konstruktiven Streit untereinander setzen, radikale Marktgläubigkeit kann keine Antwort sein auf die Frage, wie die ökologische Transformation sozial gerecht gestaltet werden kann. Nehmen wir die Demokratiebewegung ernst und gehen in eine Debatte, die unter Demokratinnen und Demokraten polarisiert, ist die AfD noch zu besiegen. Und besiegen, das heißt etwa in Thüringen, sie nicht mehrheitsfähig werden zu lassen und sie möglichst unter 30 Prozent zu bringen. Aus den Debatten der vergangenen Wochen seien vier Überlegungen zur Diskussion gestellt, um die AfD politisch zu besiegen. Einfach wird das nicht, aber es ist machbar.Placeholder image-11. „Magst du mich?“ Im Alltag persönlich politisch werdenJenen, die zur AfD tendieren, begegnen wir meist im Alltag: in der Familie, oder unter Kolleginnen. Der Dialog muss hier beginnen, auf der persönlichen Ebene. „Magst du mich?“, lautet die Frage, mit der eine Gewerkschafterin ihre Diskussionen mit rechtslastigen Beschäftigten im Eisenacher Opel-Werk beginnt. Nach diesem Einstieg macht sie ihre Homosexualität zum Thema, erläutert die AfD-Positionen zu Familie und der Rolle von Frauen, um dann festzustellen: „Du magst mich nicht, denn sonst wäre eine solche Partei für dich unwählbar!“ Mit dieser Ansprache hat die Vertrauensfrau Erfolg. Es geht nicht darum, auf Familienfesten oder mit dem Kollegen über Weltanschauungen zu diskutieren oder über die Migrationspolitik der Europäischen Union, sondern es geht darum, das Politische im Persönlichen greifbar zu machen: Wie beeinflusst die AfD-Politik das eigene Leben?Nicht Zahlen, Daten, Fakten, sondern soziale Nähe und Freundschaft werden Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung, die politisch wirkt. Alltagskämpferinnen wie die zitierte Gewerkschafterin werden gebraucht – rasch und massenhaft, denn sie können den Einflüsterungen von Rechtsaußen wirksame Grenzen setzen.Deshalb sollten wir an Netzwerken arbeiten, die sich nach einem Schneeballsystem vergrößern. Jede und jeder kennt andere, die den Alltagskampf führen können – rasch, ohne großen Aufwand und zumeist ohne große mediale Aufmerksamkeit.Solche Auseinandersetzungen zu führen ist alles andere als einfach. Politische Kontroversen belasten Freundschaften, treiben Familien auseinander und erschweren die Kooperation am Arbeitsplatz. Deshalb muss ein dialogisches Prinzip gelten: Gehör finden streitbare Demokraten nur, wenn sie das Weltbild ihres Gegenübers nicht frontal angreifen und in Gänze infrage stellen. Wir hassen Rassismus. Doch wir mögen Menschen, und das können wir selbst dann, wenn sie ihren Protest bei der radikalen Rechten suchen. So und nicht anders lässt sich ein Alltagsdialog führen, der aktuell ein Nahziel verfolgt: „AfD nee!“ Ein solcher Alltagsdialog benötigt organisierte Unterstützung, beispielsweise von Betriebsräten und Gewerkschaften, aber auch seitens der Wissenschaft und aus den sozialen Netzwerken.Es muss deutlich werden: Die AfD ist keine Partei der „einfachen Leute“. Die Interessen derer, die von Löhnen und Gehältern abhängig sind, tritt sie mit Füßen. Die Interessen der meisten Menschen tritt sie mit Füßen. Das muss fühlbar werden, und das kann es nur im persönlichen Gespräch.Placeholder image-22. Wir sind Arbeiter, keine Kunden: Die AfD im Betrieb bekämpfenDie persönliche Auseinandersetzung mit AfD-unterstützenden Menschen im nahen Umfeld können die alltäglich Kämpfenden nur durchhalten, wenn ihnen der Rücken gestärkt wird. Dazu gehört die Fähigkeit, sich inhaltlich kompetent mit AfD-Positionen auseinanderzusetzen. Nehmen wir das Beispiel Mitbestimmung. Viele Arbeiter und Arbeiterinnen sind der Meinung, die AfD unterstütze sie im Betrieb – so hat der AfD-Abgeordnete Jürgen Pohl im Bundestag auch wirklich die Erleichterung von Betriebsratsgründungen gefordert.Richtig, sollte man meinen. Doch der Köder, den Pohl Belegschaften aus mitbestimmungsfreien Unternehmen hinhält, ist vergiftet. Geht es nach der AfD, sollen Betriebsräte die Tarifhoheit bekommen. Geschähe dies, wären die Gewerkschaften außen vor. Betriebsübergreifende Regelungen hätten keine Chance und die Betriebsräte wären noch stärker erpressbar, als dies ohnehin bereits der Fall ist. Fiele auch noch die Möglichkeit einer Freistellung von Betriebsräten weg, wie es der AfD-Mann fordert, würden Betriebsräte auch in großen Unternehmen zu gefügigen Organen ihrer Geschäftsleitungen.Die AfD will nicht Demokratie im Betrieb, sie will die harmonisch-völkische Betriebsgemeinschaft. Dazu passt, dass sie eine erweiterte Mitbestimmung, die sich auf Investitionsentscheidungen erstreckt, konsequent ablehnen. Für den Björn-Höcke-Vertrauten Pohl handelt es sich schlicht um den Vorschlag einer links-grünen Klasse, die inzwischen auch in den Gewerkschaften meinungsbildend wirke, Autos mit Verbrenner verteufele und die deutsche Industrie mit ihrem „Klimagedöns“ zerstöre.Wer so argumentiert, schützt die Interessen von Top-Managern und großen Eigentümern, die Entscheidungen über Geschäftsmodelle und Investitionen zu einer exklusiven Angelegenheit hochprivilegierter Minderheiten machen. Mit den Anliegen der sogenannten „normalen Leute“ hat er nichts im Sinn. „Ich glaube, wir brauchen eine Demokratisierung in der Gesellschaft. Ich glaube, dass in den Betrieben zu wenig Mitbestimmung da ist. In was für Produkte wird investiert? Wie wird gearbeitet? Mit wie viel Leuten wird gearbeitet? Unter welchen Bedingungen wird gearbeitet? Da haben wir einen unwahrscheinlichen Nachholbedarf“, so argumentiert eine Opel-Betriebsrätin in einem unserer Interviews, die um Standortkonkurrenzen in grenzüberschreitenden Wertschöpfungsketten weiß. Eine AfD, die im schönsten marktradikalen Jargon gegen Überregulierung und bürokratische Bevormundung der Unternehmen polemisiert, wird jeden Versuch, die Mitbestimmung der Beschäftigten zu erweitern, entschlossen bekämpfen. Dazu passt, dass sie zu Tarifauseinandersetzungen wie aktuell im öffentlichen Personennahverkehr, bei der Bahn, in Kliniken oder beim Bodenpersonal der Lufthansa in schöner Regelmäßigkeit schweigt.Wer die Demokratie verteidigen will, darf zu Streiks und Arbeitskämpfen nicht schweigen. Wenn etwa der Spiegel Arbeitskämpfe zum Anlass nimmt, um Vorschläge zur Einschränkung des Streikrechts zu unterbreiten, leistet das der Demokratie und der Demokratiebewegung einen Bärendienst. Wie seit 30 Jahren eingeübt, werden Arbeitskonflikte ausschließlich aus der Kundenperspektive beurteilt. Dabei geraten die Arbeitenden und ihre Arbeitsbedingungen regelmäßig aus dem Blick.Arbeiterinnen und Arbeiter werden unsichtbar gemacht. Und deshalb hat die AfD trotz ihrer gewerkschaftsfeindlichen Haltung bei ihnen leichtes Spiel. Mehr Wirtschaftsdemokratie wagen, muss die Devise sein, wenn es darum geht, der radikalen Rechten das Wasser abzugraben. Demokratiezeit, jede Woche eine Stunde für Diskussionen zur Transformation während der Arbeitszeit, das schlägt die IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner vor – und das wäre ein wichtiger erster Schritt für mehr Wirtschaftsdemokratie.Placeholder image-33. Nein, wir sind nicht alle CDU: Keine Einheitsfront bildenGute Arbeitsbedingungen und Löhne, Mitbestimmung bei Investitionsentscheidungen und eine Demokratiezeit während der Arbeit – solche Interessen der Arbeitenden werden sich wohl kaum gemeinsam mit der CDU und der FDP durchsetzen lassen, sondern nur im Konflikt mit der Arbeitgeberseite. Statt eine harmonistische Einheitsfront der Demokraten vorzugaukeln, sollte die neu entstehende Bewegung daher nach dem Prinzip einer solidarischen Distanz zu Union und Liberalen verfahren. Das spaltet die Demokratiebewegung nicht, es demokratisiert sie vielmehr, indem es sie in eine produktive Auseinandersetzung bringt.Nehmen wir ein Beispiel aus der Wirtschaft. Selbstverständlich ist es hervorragend, wenn Wirtschaftskapitäne wie der CEO des thüringischen Unternehmens Jenoptik Stefan Traeger auf die ökonomischen Schäden hinweisen, die eine mehrheitsfähige AfD verursacht – im Spiegel sagte er Ende 2023, er sehe den wirtschaftlichen Erfolg im Osten gefährdet. Solche Positionierungen haben einen unschätzbaren Wert, sie tragen dazu bei, jene zum Nachdenken zu bewegen, denen die AfD vor allem als Ventil für Protest dient. Doch die Medaille hat eine Kehrseite. Noch immer bleiben die Löhne im Osten weit unter Westniveau; man arbeitet länger und zu schlechteren Konditionen als in der alten Republik. Das auch, weil Betriebsräte und Gewerkschaften nicht selten auf heftigen Arbeitgeberwiderstand treffen. Wer das verschweigt, macht sich unglaubwürdig gegenüber jenen, für die die Abwertungserfahrungen eines peripheren Kapitalismus allgegenwärtig sind.Wer diese Probleme anspricht, wird den Dissens nicht auf die AfD beschränken können. In Sachen Marktgläubigkeit sind Ost-CDU und FDP oft nicht weit von der AfD entfernt. Und auch für die Ost-SPD bedeutet Wirtschaftspolitik oft genug, die Geschäftsleitungen kooperierender Unternehmen zu fragen, was sie benötigen. Die Stimme der Arbeit bleibt ungehört. Ähnliches gilt für andere politische Themen – etwa den Schwenk zu einem noch härteren Migrationsregime. Inhaltliche Nähe zur AfD führt zu politischer Grenzverwischung unterschiedlicher Interessen.Und mehr noch: In Thüringen sind CDU und FDP längst dazu übergegangen, Mehrheiten mit der AfD zu bilden. Gemeinsam haben sie im Landtag ein Gesetz verabschiedet, das den Bau von Windrädern im Wald nahezu unmöglich macht. Sie haben gemeinsam eine gendergerechte Sprache in der öffentlichen Kommunikation des Landtags verhindert. Richtige Politik dürfe nicht verhindert werden, nur weil die AfD zustimme, lässt der CDU-Spitzenmann Mario Voigt in Thüringen verlauten. Auf diese Weise legitimiert er den Sündenfall. Es wird normal, politische Mehrheiten mit einer rechtsradikalen Partei zu bilden. Läge es da nicht nahe, auch die Wahl eines CDU-Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD anzustreben? Eine klare Positionierung des CDU-Spitzenpersonals steht bisher aus. Keineswegs ausgeschlossen ist, dass christdemokratische Abweichler einer rechtsradikalen Landesregierung zur Mehrheit verhelfen könnten. „Können Sie ihren Laden zusammenhalten?“, fragte deshalb der besorgte Physikprofessor Paulus den CDU-Fraktionsvorsitzenden während einer Kundgebung. Solch kritische Fragen sind zwingend nötig, wenn der demokratische Impuls der Bewegung nicht verpuffen soll. Eine Mehrheitsfähigkeit der AfD muss verhindert, die Stimmen der rechtsradikalen Partei dürfen nicht für Mehrheitsbildungen genutzt werden.Öffentliche Kritik an den marktradikalen demokratischen Parteien ändert aber nichts daran, dass Demokratinnen wissen, was zu tun ist, wenn es um kurzfristige Wahlentscheidungen geht. Auch für Linke, Grüne und Sozialdemokraten war es beispielsweise im Saale-Orla-Kreis selbstverständlich, den CDU-Kandidaten Christian Herrgott zum Landrat zu wählen. Exakt das meint solidarische Distanz.Placeholder image-44. Soziale Ungleichheit muss triggern: Die Wirtschaft demokratisierenIm Grunde haben die Schritte eins bis drei ein gemeinsames Ziel: die produktive Polarisierung innerhalb des im weitesten Sinne demokratischen Spektrums im Streit um die wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft der Republik. Die Themen, an denen sich diese Zukunft nicht nur im Osten entscheidet, sind rasch gefunden: Es geht um soziale Sicherheit und Gerechtigkeit in der ökologischen Transformation, um Arbeitsmarkt und Migration, Gesundheit und Pflege, inklusive Bildung und nicht zuletzt um eine kulturelle Vielfalt, die den Alltag lebenswert macht. Bei diesen Themen sind Unterschiede zwischen links und rechts schwerlich zu übersehen. Deutlich wird, was selbst der Elitengipfel in Davos erkannt hat: Ein „Weiter so!“ geht nicht mehr, wir benötigen einen politischen Neustart – nicht nur, aber gerade auch im deutschen Osten. Wer dafür Mehrheiten gewinnen will, macht eine AfD, die Deportationsfantasien beflügelt, zur inhaltlichen Fußnote. So weit ist es noch nicht, aber die entstehende Demokratiebewegung zeigt, dass sich rechte Protestwähler durchaus verunsichern lassen.Im Grunde geht es darum, die strukturellen Ursachen von Unzufriedenheit, Abwertung und Kränkung zu Triggerpunkten zu machen – die soziale Ungleichheit also. Unter Triggerpunkten versteht das Team um den Berliner Soziologen Steffen Mau vereinfacht gesprochen das Umschlagen von latenten Spannungen in offene, emotionalisierte Konfliktbereitschaft anhand bestimmter Themen, etwa das Gendern oder das Autofahren in der Klimadebatte. Wie eine aktuelle Bertelsmann-Studie zeigt, driften klassenspezifische Lebenswelten immer weiter auseinander. Die Auseinandersetzung darum ist hoch politisch und wird öffentlich geführt.Demgegenüber entfalten sich die wachsenden Spannungen zwischen Oben und Unten in den vergangenen Jahren überwiegend im Verborgenen. Sie blitzen in Streiks und Arbeitskämpfen auf, ohne auf das politische System durchzuschlagen. Das sind die Symptome einer demobilisierten Klassengesellschaft, in der die Parteien mitte-links und mitte-rechts nicht mehr repräsentieren, was große Teile der Bevölkerung umtreibt. Das macht sich eine radikale Rechte zunutze, die geübt darin ist, Auseinandersetzungen zwischen Vermögenden und Besitzlosen, zwischen Arm und Reich, in Konflikte zwischen Innen und Außen umzudeuten. Wer nicht mehr daran glaubt, dass sich höchst ungerechte Verteilungsverhältnisse ändern lassen, tendiert dazu, dem „Für alle reicht es nicht!“ der AfD zu folgen. Dieses Problem ist eines der gesamten politischen Linken.In den USA hat sich ein Joe Biden beim jüngsten Arbeitskampf der Autogewerkschaft UAW gemeinsam mit Gewerkschaftern demonstrativ vor das Werkstor gestellt. Auch in Deutschland gab und gibt es Arbeitskämpfe. Vom Kanzler war jedoch nichts zu sehen. Stattdessen hält Olaf Scholz mit seiner Regierung an einer Schuldenbremse fest, die jeglichen Fortschritt bei öffentlichen Investitionen im Keim erstickt. Die Debatte um ein Verbot der AfD wirkt hier wie ein Placebo, das die politischen Symptome bekämpft, ohne die Ursachen des Rechtsrucks wirklich anzugehen. Es gilt eine alte soziologische Erkenntnis: Streit, der demokratischen Prinzipien folgt, verbindet! Wer das vergisst, wird die Demokratie auch mit einem AfD-Verbot nicht schützen können.Blühen wird die Demokratiebewegung dann, wenn sie mit jenem Prinzip einer „halbierten Demokratie“ bricht, das Wirtschaft und Betriebe den demokratischen Entscheidungen entzieht. Nur wenn die Stimme der Arbeit Gehör findet, macht die Rede von der demokratischen Mitte der Gesellschaft Sinn. Und dann bewirkt die Bewegung genau das, was sie vorhat: sie demokratisiert.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.