Anti-AfD-Protest fernab der Großstädte: Ein Besuch in Brandenburg an der Havel
Reportage Auch abseits der Großstädte gehen viele Menschen gegen Rechtsextremisten auf die Straße – zum Beispiel in Brandenburg an der Havel. Hier leben Alteingesessene neben vielen Zuzüglern aus Berlin. Gerade war der Chef der Jungen Alternative da
Brandenburg an der Havel: Zwei Tage vor der Demo hatte die AfD-Fraktion den Bundestagsabgeordneten Hannes Gnauck, Oberfeldwebel aus der Uckermark und Bundesvorsitzender der als rechtsextrem eingestuften „Jungen Alternative“.
Foto: picture alliance/dpa/Soeren Stache
Jetzt geht Deutschland auf die Straße. Nicht nur gegen die Ampel, Subventionskürzungen oder Windräder, sondern, viel größer: für die Demokratie. Ein nie da gewesenes Bündnis von Antifa bis CDU skandiert gemeinsam Parolen gegen Faschismus. Das hätte vor jenem Potsdamer Geheimtreffen identitär besoffener Deportationsplaner kaum jemand für möglich gehalten. Man könnte sich einfach mal freuen, aber Deutschland bleibt deutsch und trägt vor allem Bedenken: Ist der Protest auch nachhaltig? Inklusiv genug? Was bringt er überhaupt? Wenn es nach CDU-Chef Friedrich Merz geht, sollen zehn Prozent der Demonstrierenden umgehend in eine demokratische Partei eintreten. Und er zählt sie alle auf – nur die Linkspartei läss
nach CDU-Chef Friedrich Merz geht, sollen zehn Prozent der Demonstrierenden umgehend in eine demokratische Partei eintreten. Und er zählt sie alle auf – nur die Linkspartei lässt er aus.Tatsächlich verzeichnen die Grünen in Brandenburg an der Havel Neuzugänge. „Wir haben einige Parteieintritte in den letzten 14 Tagen“, berichtet Martina Marx, Ko-Fraktionsvorsitzende in der Stadtverordnetenversammlung (SVV). „Die Motivation war immer die gleiche: Die Leute wollten schon immer etwas machen, und das ‚Geheimtreffen‘ war der Weckruf.“ Die ostdeutsche Stadt mit mehr als 73.000 Einwohnern, Tendenz steigend, ist die drittgrößte des gleichnamigen Bundeslandes und auf dem Weg in die Gentrifizierung. Nach Jahren des Niedergangs prosperiert die einstige Industriemetropole wieder. Rund 1.000 Beschäftigte arbeiten in einem Elektrostahlwerk, weitere 1.200 in einem Tech-Konzern, und 600 Jobs bietet eine Druckmaschinen-AG. Seit 2021 hat das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten mit mehr als 600 Mitarbeitern seinen Hauptsitz in der Stadt, und im Ortsteil Kirchmöser befindet sich ein führender Eisenbahntechnologiestandort.Gentrifizierung: Der belegte Bagel kostet zwei Euro mehr als in Berlin-Mitte und die Mieten steigenVielleicht kostet deshalb der belegte Bagel fast zwei Euro mehr als im hippen Berlin-Mitte? Die Mieten steigen. Berliner, die am Wohnungsmarkt scheitern oder ihren Kindern mehr bieten wollen als verstopfte U-Bahnen und Metropolenpopanz, entern das touristisch gut erschlossene „Venedig an der Havel“, finden tolle alte Häuser, schick sanierte Straßen, Gotik, Wasser, Natur. In der Cafébar an der Jahrtausendbrücke stehen sie an, die mit den vernünftigen Frisuren und den guten Gehältern, für eine „Vanilleflocke“, einen Espresso mit Eierlikör, während die Möwen kreischen und die Sonne in der Havel badet. Wenn nicht gerade Streik ist, liegt dieses Paradies nur gut 50 Bahnminuten vom Hauptstadtzentrum entfernt.Einziger Wermutstropfen in der Aufsteiger-Idylle: die AfD. Auch in dieser Kommune hat sie sich breitgemacht, wie eine bürgerlich lackierte Erbin der üblen „Baseballschlägerjahre“ der 1990er. In der Havelstraße 13 findet man ein trauriges Zeugnis davon. Eine unscheinbare Gedenkplatte erinnert an Sven Beuter, der dort 1996 von einem Neonazi zu Tode getreten wurde. „Er war ein schmächtiger kleiner Punk mit einem grünen Iro“, erzählt Daniel Herzog von der Gedenkinitiative, „sein Mörder wohnt hier in der Stadt.“ Herzog erachtet das gesellschaftliche Klima als mitverantwortlich für Gewaltexzesse: „Wir alle haben die verdammte Pflicht, rechte Hetze zurückzuweisen und die Demokratie zu verteidigen.“ Wenige Schritte vom Tatort entfernt, an der Grabenpromenade, glänzt bronzen im Mittagslicht eine Schillerbüste aus DDR-Zeiten. „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern“, heißt es darauf wilhelmtellig, „in keiner Not uns trennen und Gefahr.“Die Grünen verstehen sich jetzt gut mit der LinkenZwar verstünden sich die Grünen mittlerweile „sehr gut mit den Linken“, sagt Martina Marx bei einem Gespräch im Parteiladen in der Ritterstraße. Grüne und Linke haben je sechs Stadtverordnete, die Christdemokraten sind mit doppelt so vielen stärkste Fraktion. Und die mache gemeinsame Sache mit den Freien Wählern (FW, fünf Sitze). Bei der CDU seien nach dem Mauerfall auch SED-Kader, Vopo- und Stasileute untergekommen, später seien zwei weitere einem Rauswurf bei der SPD zuvorgekommen und hätten sich, anfangs parteilos, schließlich den FW angeschlossen. Diese fungierten als Scharnier zur AfD (sieben Sitze). „In der SVV klopfen sie sich gegenseitig auf die Schulter und liegen sich freudestrahlend in den Armen, wenn sie es den Grünen und Linken mal wieder so richtig gezeigt haben“, erzählt Marx. Die „alte Diktatur“ verbrüdere sich „mit denen, die eine neue vorhaben, und die CDU-Hinterbank johlt Beifall“, es sei beängstigend.Am 27. Januar, nach der offiziellen Kranzniederlegung zum Holocaust-Gedenktag, erinnert man im Dom an die christliche Widerstandskämpferin Hildegard Jacoby, während unter dem Motto „Branne bleibt bunt“ eine Demonstration für Demokratie und Toleranz auf dem ganz in der Nähe gelegenen Nicolaiplatz stattfindet. Angemeldet hat sie die Linken-Politikerin Claudia Sprengel, nachdem sich ein kleiner Kreis rund um Mathieu-Pascal Rudolph von der Naturfreundejugend und Jannis Buder vom Jugendforum in einer Chatgruppe vernetzt hatten. Im Vorfeld gab es Gerangel um die Rednerliste. Der CDU-Oberbürgermeister Steffen Scheller wollte auch auftreten – und konnte nur mit Mühe davon abgehalten werden, ohne dass andere Bürgerlich-Konservative absprangen. „Wir wollten keine Politiker auf der Bühne, sondern wollten die Zivilgesellschaft repräsentieren, um eine möglichst große Identifikation zu erreichen“, sagt Claudia Sprengel. Während der Kundgebung, an der mehrere hundert Menschen teilnehmen, sprechen dann ausschließlich Vertreter von Bündnissen, Organisationen und Institutionen, die sich gegen rechts engagieren.Zwei Tage vor der Demo hatte die AfD-Fraktion den Bundestagsabgeordneten Hannes Gnauck eingeladen. Der Oberfeldwebel aus der Uckermark, Bundesvorsitzender der als rechtsextrem eingestuften „Jungen Alternative“, ist wegen fehlender Verfassungstreue vom Dienst suspendiert, er darf weder Uniform tragen noch ohne Aufforderung eine Kaserne betreten. Vor den AfD-Räumen am Altstädtischen Markt protestierte eine bunte Truppe aus rund 40 Menschen, wobei dem AfD-Fraktionsvorsitzenden Axel Brösicke Schläge angedroht wurden, wie er erzählt: „Das war erschreckend.“ Umgekehrt gibt es Vorwürfe gegen den neuen AfD-Kreischef Michel Albrecht, weil der einen gewaltvollen Internet-Kommentar gegen Klimakleber für gut befand. Linke und Grüne fordern deshalb seinen Rücktritt als Vorsitzender des Kita-Elternbeirats, auch um sich dem AfD-Marsch durch die Institutionen entgegenzustellen. Der rechtsradikale Rand der Gesellschaft sei schon lange in Vereinen und Verbänden lokal vernetzt, warnte kürzlich Sozialwissenschaftler Steffen Mau, eine „Dämonisierung“ lasse sich im Alltag nur schwer durchhalten.Ein 2019 von der Stadt eingerichtetes Aktionsbündnis für Demokratie und Toleranz war bis zur Demo inaktiv. Jetzt sei es „wiederbelebt“, sagt die Theologin Cornelia Radeke-Engst, die auf der Demo die Veranstaltung moderiert und diese als „Auftakt für die politische Arbeit“ bezeichnet.Die Maske der AfD fällt„Die AfD, das sind Wölfe im Schafspelz“, warnt Philipp Mosch, Pfarrer der St. Gotthardtkirche, „die immer mehr ihr wahres Gesicht zeigen.“ Es werde „hoffähig, zu sagen, dass man die AfD wählt“, sagt die örtliche SPD-Landtagsabgeordnete Britta Kornmesser, „die Maske fällt“. Je weiter rechtsextreme Positionen und Personen vordringen in den politisch-sozialen Raum, desto schwieriger wird die Gegenwehr. Erschwerend kommt noch hinzu, dass sich Die Linke in Brandenburg gerade zerlegt. „Da gibt es ernsthafte Probleme, genügend Kandidatinnen für die Kommunalwahl zu finden“, sagt Marx. Der gesamte Ortsverband vom Dom sei ausgetreten, um sich dem neu gegründeten Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) anzuschließen, „und das bedaure ich zutiefst“. Gute Kollegen seien das, engagierte Menschen.Tatsächlich sehen diese in einer gemeinsamen Austrittserklärung „angesichts der (…) verheerenden Politik der Regierung und des daraus resultierenden Erstarkens der Rechten keinen anderen Weg“ als den in das BSW, das sich zeitgleich zur Demo gründet. Andreas Kutsche, Krankenpfleger, Betriebsrat und Gewerkschafter, kann deshalb nicht mitdemonstrieren auf dem Nicolaiplatz, obwohl er das Anliegen „in Gänze“ unterstütze, nicht nur aus Solidarität mit den vielen Kollegen mit Migrationshintergrund. Allerdings sei die rechtsextreme Gefahr „nicht vom Himmel gefallen“.Gegen die Ampelregierung protestierenDominik Mikhalkevich, der sich ebenfalls dem BSW angeschlossen hat, nennt die Demos „Symptombekämpfung“. Er ist Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko und versteht „die Sorgen der Menschen, die gegen Faschismus auf die Straße gehen. Aber man muss an die Ursachen der Unzufriedenheit ran, der AfD politisch den Boden entziehen, Geld ausgeben für Soziales und Bildung statt für Rüstung.“ Schuld am Aufstieg der AfD sei „die katastrophale Kriegs- und Sparpolitik der Regierung“, daher sei es sinnvoller, gegen die Politik der Ampel zu protestieren. Auf lokaler Ebene engagiert er sich mit Kutsche zusammen in einem „Bündnis für Frieden“, das im Übrigen „nicht angefragt worden“ sei für die Demo. Beide wollen mit einer offenen Liste bei den Brandenburger Kommunalwahlen am 9. Juni weiter mitmischen in der Stadtpolitik.Das wollen auch die Demonstrierenden auf dem Nicolaiplatz, darunter viele Familien. Als ein Protestlied von Phil Ochs aus den 1960ern erklingt, wischt sich mancher gerührt die Augen. „All around this country, trouble in the air“, heißt es darin – es gibt wirklich eine Menge Ärger im Land, es sei „ein gutes Gefühl, gemeinsam ein Zeichen gegen den Faschismus zu setzen“, findet Mathieu-Pascal Rudolph von der Naturfreundjugend. Auch wenn das politische Kleinklein entmutigend wirken kann. Claudia Sprengel etwa tritt nicht wieder zur Wahl an. Die ehrenamtliche Arbeit sei nicht mit der Familie vereinbar, dazu die Hetze im Netz. Mehr Unterstützung wünscht sich auch Marx: „Die Demos sind ein guter Start, aber da muss noch mehr kommen.“ Es klingt wie eine Paraphrase auf den alten Song: „Ich habe Angst vor Ärger, aber mehr Angst hab ich davor, was passiert, wenn wir versagen. Also werde ich tun, was ich zu tun habe – won’t you come along with me? Machst du mit?“Placeholder authorbio-1
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