Citoyen verpflichtet - Medienkritik

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Am 23.07.2009 erscheint in der ZEIT ein Artikel von Jens Jessen, der seinen Realitätsgehalt gerade daraus bezieht, dass er völlig an der historischen Realität vorbeigeht. Der Titel: "Familie zu Guttenberg - Adel macht Eindruck", der Auftakt: "Und auch wenn sie alles verspielten, es bliebe ihnen immer noch ihr Titel. Warum die Familie des adligen Wirtschaftsministers Karl-Theodor zu Guttenberg in einer bürgerlichen Welt so großen Anklang findet"

www.zeit.de/2009/31/Die-Guttenbergs

Nun ist allerdings weder Guttenberg adelig, noch ist es seine Familie. Das kann auch gar nicht sein, denn der Adel ist mit seinen Vorrechten und Titeln in Deutschland seit genau 90 Jahren durch die rechtliche Gleichstellung aller Bürger praktisch abgeschafft, Mit dem Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung am 11. August 1919 nämlich, auch wenn die vorgeschlagene explizite Formulierung: "Der Adel ist abgeschafft" in der verfassunggebenden Versammlung keine Mehrheit fand. Was die Titel anbetrifft, so brachten die Adeligen es fertig, sie als Bestandteil des Namens weiter tragen zu dürfen, soweit damit kein Herrschaftsanspruch ausgedrückt war. In Österreich war man da schon radikaler: das Tragen von Adelstiteln und -prädikaten wurde gesetzlich verboten und ist es bis heute, wiewohl man als Höflichkeitsfloskel von einem beliebigen Kellner mit "Herr Baron" angesprochen werden kann.

Trotzdem feiert das gespensterhafte Weiterleben des verstorbenen Adels nicht nur in den bunten Blättern, sondern auch in der seriösen Presse, ja sogar im republikanischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk fröhliche Urständ. Da ist nicht nur von zeitgenössischen "Grafen und "Fürstinnen" die Rede (ein dynastischer Titel, der einen Herrschaftsanspruch impliziert!), sondern da werden in Interviews ungerührt oder auch gerührt entsprechende Personen mit "Ihre Durchlaucht" angesprochen.

In einer Sendung des MDR von 2003, in der es um das skandalöse, 1994 beschlossene „Entschädigungs- und Ausgleichsgesetz“ ging, nach welchem den Herrscherhäusern das Recht eingeräumt wurde, ehedem enteignete „bewegliche Güter“, zumal die Kunstschätze aus den Schlössern, zurückzufordern, heißt es: "Doch eigentlich ist der deutsche Adel (!) normaler als sein Ruf. So leben auch die meisten Blaublütigen (!) in Thüringen wie "Du und ich".

Da gliedert sich der ZEIT-Artikel bruchlos ein, indem zunächst vom "aristokratischen Hintergrund" Guttenbergs berichtet wird. Der Großvater, langjähriger CSU-Abgeordneter und zeitweiliger Parlamentarischer Staatssekretär, "trug einen soignierten Schnurrbart und war sehr gut verheiratet, nämlich mit Sophie von Arenberg, einer Prinzessin aus herzoglichem Hause. Im Übrigen war er reich". Auch den Wirtschaftsminister "vermögend zu nennen wäre noch eine Untertreibung" - was wohl vertrauensbildend wirken soll: wer nicht auf sein Ministergehalt angewiesen ist, erfüllt den Posten aus Engagement und Liebe zur Sache.

So wird folgerichtig ein Topos bemüht, der im medialen Umgang mit dem "Adel" eine herausragende Rolle spielt: Es finden sich dort überdurchschnittlich erhabene, vom Publikum besonders geachtete Charaktere: "Aber es wäre doch in der Öffentlichkeit nicht zu der großen, zwischen Neugier und Bewunderung irisierenden Beschwörung adliger Familientradition gekommen, wenn es nicht die bürgerliche Sehnsucht nach einem politischen Jenseits (!) gäbe, fern der demokratischen Kompromissbildung und Gleichmacherei (!), in dem noch unbeugsame Charaktere und echte Überzeugung gedeihen." - So schreibt ein bürgerliches liberaldemokratisches Musterblatt!

Was weiter ausgeführt wird über den besonderen, einer strengen aristokratischen Erziehung und erhalten gebliebenen "Resten einer unbürgerlichen Standespsychologie" (!) geschuldeten Charakter, mag man im Original nachlesen.

Bemerkenswert an diesem Topos ist allerdings der Umstand, dass die bürgerlichen Medien mit der Übernahme dieser Selbststilisierung der Abkömmlinge des Adels, die ihre besondere Bedeutung heute noch aus einer herausragenden geistigen und charakterlichen Bildung herleiten, die sie angeblich aus ihrer aristokratischen Tradition in die bürgerliche Gesellschaft herübergerettet haben, einer glatten Fälschung aufsitzen.

Denn es war gerade das Bürgertum der Aufklärung - man denke etwa an Lessing -, das geistige und moralische Bildung dem dekadenten und moralisch korrupten Adel entgegenhielt. Die Adeligen, auch wenn sie sich in diesem Zeitalter teilweise in der Attitüde des Aufklärers gefielen, legitimierten im Gegenteil ihre besondere Stellung durch ihre privilegierte Klassenzugehörigkeit, durch ihre standesgemäße Geburt. Man lese etwa die heute leider fast vergessenen "Anti-Geschichtsbücher" von Bernt Engelmann aus den siebziger Jahren, der die womöglich Inzucht-bedingte Debilität einer ganzen Reihe von Angehörigen zumal des preußischen Hochadels genüsslich karikiert. Neurotische Marotten, geistige Beschränktheit, brutaler Umgang mit Untergebenen und abstoßend exzessiver Lebenswandel waren zu keiner Zeit ein Argument selbst gegen eine Fürstenkrone. Die wurde eben vergeben nach Rangfolge in der Geburt, und nach keinerlei sonstigen Qualifikationen.

Was ist also zu tun, um, wenn das bürgerliche Gleichheitsideal schon nicht soziale Gleichheit heißt, sondern "l'égalité des conditions" (A. de Tocqueville), wenigstens diese prinzipielle Gleichheit aller zu realisieren und die angebliche Besonderheit von "Adeligen" aus den Köpfen - und das heißt natürlich auch: aus den den Medien - zu kriegen? Vielleicht sollten wir alle einhellig und laut am Nationalfeiertag singen, was in Frankreich heute noch am 14. Juli im Radio gespielt wird:


Ah, das geht ran, das geht ran, das geht ran,

Die Aristokraten an die Laterne!

Ah, das geht ran, das geht ran das geht ran,

Die Aristokraten, hängt sie dran!

Und wenn sie alle, alle, alle, alle hängen,

Dann hau'n wir sie noch mit der Schippe vor den Arsch!

Ah! das geht ran, das geht ran, das geht ran,

die Aristokraten hängt sie dran!

Wenn sie den Eindruck gewinnen, dass wir es vielleicht ernst meinen könnten, wird ihr von einer "Gräfin" ererbtes Zentralorgan samt seinen Nachbetern für sie um Gnade winseln, und sie werden ganz bescheiden so tun, als wären sie Menschen wie du und ich.

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