Bad bank, bad democracy

Demokratiedämmerung Über schlimme Banken, die Krise der Demokratie und warum wir ganz anders leben müssen

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''So besorgt sind die 'Märkte', dass sie als Sicherheit dafür, dass die Schulden auf Heller und Pfennig und mit Zins und Zinseszins zurückgezahlt werden, nichts Geringeres verlangen als einen grundstürzenden Umbau des europäischen Staatenssystems.''

Wolfgang Streeck, Das Ende der Nachkriegsdemokratie, aus: SZ vom 27.7.2012, S. 23

In diesen turbulenten Tagen erwacht ein scharfer Blick des Bürgers auf die europäische Währungskrise, der mehr einfordert, als nur als Zuschauer am Grabenrand auf die Entscheidungen der Regierungen zu warten und (wenn überhaupt) blicken zu dürfen und dann im Nachhinein diese Entscheidungen zu beklatschen oder die ausgegebenen Entscheidungen aus dunklen Hinterzimmern der Regierungen nur stillschweigend abzunicken.

Nein, der Bürger verlangt nach Transparenz, Mitsprache und mehr Ermächtigung. Es offenbart sich naemlich, dass in den letzten Jahren die europäischen Regierungen zu Kabinetten aus Technokraten oder zu von Technokraten beratenen (und verkauften) Kabinetten mutiert sind. Lobbyisten durchsetzen unsere Regierungen und schreiben uns die Gesetze (vor).

Inmitten unseres doch so aufgeklärt und säkularisiert geglaubten Zeitalters ist eine ganz neue Religion entstanden, deren Gott und Abgott und Götze zugleich das Geld und der Markt, vor allem der Markt ist. Diesem Markt als neuen Gott und Götzen und dem seligen Wirken seiner totzitierten ''unsichtbaren Hand'' huldigen wir alle Tag fuer Tag oder sollen ihm huldigen und all unsere vitale Lebenskraft zur Verfuegung stellen. Die Hohepriester dieses Markt-Kultus sind die Politiker und die Ökonomen, die den neoliberalen Diskurs in Weihetempeln der Finanz, Investmentbanken und Terminbörsen ins Volk strahlen und wirken ließen.

Nun aber, da durch Finanzkrise und aktueller Euro-Krise (die auch die Krise des abendländischen Geistes und seiner jahrhundertelangen Hegemonie ist) die Selbstverstaendlichkeit dieses neoliberalen Diskurses zumindest in Europa ihr absehbares Ende findet, schuettelt der Buerger den wacher werdenden Kopf und fragt sich, was er sich da eigentlich in all der Zeit hat verkaufen lassen? Der Markt als alleinseligmachende Universalkraft für die Lösung all unserer Probleme? War da nichtmal mehr als Markt?

Der Markt als Gott und Glaube und neue ökonomische Religion hatte den Vorteil, dass er (wenn auch nicht völlig rational), dennoch in seiner Effizienz, anders als jeder andere klassische Gott kalkulativ und quantitativ ermessbar war: ein guter Markt begünstigt den Profit, wohingegen selbst massenhaftes reges Beten nicht mathematisch errechenbar zur besseren Welt führte. Dies war die Staerke des Marktes: SEINE Effizienz ließ sich in Profitraten und Zinsertrag be- und ausrechnen. Was fuer ein wertvoller Gott und Glaube also...

In dem Maße allerdings, in dem auch dieser Abgott des Marktes seine Wirkmacht verliert, seine Effizienz nicht nur rückläufig wird, sondern zudem noch Schulden generiert und uns alle ratlos hinterlaesst und selbstvergessener unreflektierter Konsum auch keinen großen Nutzen fuer die Wirtschaft mehr abwirft, wenden sich die Bürger zunehmend nicht nur vom Markt, sondern auch von der Demokratie ab, die keine Demokratie mehr ist, sondern, um mit Habermas/Bofinger/Nida-Rümelin zu sprechen, eine Fassadendemokratie.

Die Apokalypse der europäischen Währung ist in Wahrheit eine Apokalypse der Kommunikation von Entscheidungfindungen durch die Regierung in Richtung auf den Bürger hin. In technokratischem Vokabular, das dem Bürger nichts mitteilt, sondern eigentlich nur einen gewaltig leeren phrasendurchwirkten Monolog der Polit-Lobby-Kaste mit sich selbst darstellt, soll dem Bürger um der Bemäntelung willen die Nachvollziehbarkeit von politischen Entscheidungen dargestellt werden. In Wahrheit aber teilt sich hier nur unfreiwillig mit, dass die Hinterzimmer-Regierungen moderner europäischer Provenienz wie in einem völlig anderen Zug auf einem völlig gegenläufigen Gleis befindlich sich bewegend, in der komplett entgegengesetzten Richtung am europäischen Volk vorbeiregieren.

Nicht nur, dass politische Entscheidungen mit Haushaltsgeldern in Billionenhöhe über
Hauruck-Entscheiden, die das Parlament nur noch zum Registrieren und Abnicken vorgelegt bekommt, durch das Parlament gejagt werden, sondern auch die Tatsache, dass das Volk nicht befragt wird, derweil ihm die Verfügungsgewalt ueber sein eigenes Geld und den Bundesetat nicht nur abgenommen, sondern ein Löwenanteil des Etats auch ungefragt für die Rettung europäischer Sünderbanken eingesetzt wird, offenbart, dass wir in Europa nicht mehr genuin demokratisch regiert werden. Etwas anderes ist an die Stelle der Demokratie getreten, eine Form von Oligarchie. Wir werden regiert, wir regieren nicht.

Die Demokratie stellt nurmehr eine Chimäre dar. Wesentliche Entscheidungen, die den Bürger wirklich betreffen, existentiell anstehen, werden nicht mehr getroffen. Ueber Armut und Arbeitslosigkeit, prekäre Beschaeftigung, Alternativen zum klassischen Erwerbsleben, Lösungen der Rentenfrage, Schutz der Umwelt etc, wird nicht mehr wesentlich verhandelt. Alle politische Energie und Dynamik verengt sich in immer konzentrischerer Fokussierung auf die angebliche Krise einer konstruierten Währung. Lebensweltliche Probleme, die viel draengender zu beantworten waeren und einer Lösung harren, geraten in den absoluten Randbereich der politischen Aufmerksamkeit.

Und der Bürger fragt sich, wieweit eine solche totale Engführug der Perspektive auf nur EIN Problem denn überhaupt noch sein Problem sein mag? Man ahnt bereits: die europäischen Staaten untergraben die Fundamente der Demokratie, um privates Geld und die Gier privater und vermögender Gläubiger zu stillen. Die Bank gewinnt immer. Die schlimmen Banken, die bad banks, und ihre Drangsal bestimmen weiterhin oder mehr als je zuvor über unsere Befindlichkeit...

Der europäische Bürger steht mit seinem Geld für die jahrelange Profitgier und die Risikofreudigkeit der Banken und privaten Investoren ein. So viel sinnvoller zu nutzende Steuergelder werden denselben Banken, die die Finanzkrise befördert haben, in die schmierigen Hände gedrueckt. Nur fuer alle die, die es noch nicht in aller ungerechten Implikation begriffen haben: die Banken leihen sich zB bei der EZB frisches Geld (unser Steuergeld!) per Kredit zu einem Zinssatz von 1%, verleihen dieses Geld dann aber weiter an zB griechische Mittelständler für satte 7% Kreditzins, machen also mit dem Steuergeld des europäischen Bürgers schon wieder satten Profit. Die Bank gewinnt immer.

In den Kommunen verwittern derzeit die Kindergärten, wird der Etat für Kultur zurückgestutzt, ein weiteres Kleinkunsttheater geschlossen und die Zuschuesse fuer alleinerziehende Eltern gestrichen, vegetieren Abgestempelte auf Hartz IV konzeptlos vor sich hin und werden grüne Naherholungsziele planiert und asphaltiert, weil man ja jetzt so gut in Immobilien investieren kann, anstatt in lebenswerte Institutionen und Einrichtungen zu investieren.

Und dem Bürger schwant, dass da etwas ganz gewaltig zu stinken beginnt. Eine kaltherzige und stumpfsinnige Klasse von Bedienpolitikern, Lobbyisten, Managern und Bankern, treulosen Unternehmern und dergleichen mehr, bereichert sich am Staat und am Geld der doch eigentlich mündig zu denkenden Bürger, um ihr eigenes Vermögen ins Unermessliche zu mehren und sich eine mehr als sichere Millionen-Rente als Apanage zu sichern. Ein gigantisches Vermögensumverteilungssystem in die andere Richtung: das Vermögen wandert aus den unteren Taschen in die Taschen der wenigen Bonzen da oben. Ein Rentenraubrittertum, das seine Wurzeln in der frühen europäischen Neuzeit hat und das man ohne weiteres als Feudalimus bezeichen kann. Die Bundesrepublik und überhaupt Europa verkommen in eine feudalistische Republik. In dieser Republik ist es nur nach der guten Ordnung, wenn jeder Profit nur eine Richtung kennt: nach oben, in die Taschen der oberen Zehntausend. Man nennt diese Form der Begünstigung dann verlogen das Leistungsprinzip.

Und es ist ja nicht so, als wenn der Bürger für diese Re-Strukturierung der Banken (und ihrer Manager) irgendeinen Ertrag zurueckerhaelt. Sondern es wird einfach nur festgestellt, dass die Bankenrettung den Status Quo deutscher (und in dem Zuge europäischer Staerke) aufrechterhaelt, während doch eigentlich allein dafür gesorgt wird, dass der schleichende Geldtransfer von unten (öffentliche Gelder) nach oben (privates Geld) weiterhin seinen ungestörten Verlauf nehmen kann.

Deshalb soll ja der Bürger sich selbst auch nicht mehr als politisch wahrnehmen, sondern allein noch als Käufer und Konsument: damit er Profit generiert. Wenn der Bürger nur genug kauft und sich davon beglücken lässt, aber zu Hungerlöhnen arbeitet und man ihm auch sonst immer im Zustand der dummen Angst halten kann, so züchtet man ihn sich bestens zur Politikvergessenheit heran. Nicht also die Politikverdrossenheit war je das Problem (so haetten es die Oligarchen naemlich gern, dass die europäischen Bürger nur verdrossen sind, sich von der Politik verabschieden und lieber konsumieren), sondern dass die Bürger politikvergessen sind, das ist das viel größere Problem.

Aber in diesen Tagen geschieht zum Glück genau das Gegenteil: der mündige Bürger will mitreden und entscheiden. Hinterfragt seine Reduktion zum nur alle vier Jahre herbeigezogenen Stimmvieh politischer Gesinnungsmanöver massiv. Fordert den Volksentscheid. Möchte, dass das Parlament wieder mitredet, möchte Alternativen diskutieren und nicht alle oligarchischen Entscheide mit dem Maulkorberlass ''Alternativlos'' gelabelt sehen. Möchte nicht, dass dauernd zwei, drei Technokraten und Bankmanager und eine Handvoll Regierungschefs ueber Billionen von Euro bestimmen oder ein Bundesverfassungsgericht von zwölf Köpfen permanent als Schiedsrichter in höchster demokratischer Not einspringt. Der mündige Bürger möchte zum Ketzer gegenueber dem Marktgott und seinen vermeintlichen Zwängen werden, möchte in Plebisziten befragt und dann auch gehört werden und mitbestimmen.

Merkel sprach vor einigen Wochen tatsächlich davon, die europäische Demokratie müsse es lernen, ''marktkonform'' zu werden. Da kann man nur mit dem Schriftsteller Ingo Schulze ganz im Gegensatz zu Merkels ''Bonmot'' konstatieren, dass wohl doch vor allem mal der Markt demokratiekonform werden muss und nichts sonst als das. Ein Markt, der nicht mehr dem Gesamtwohl des Bürgers zustatten ist, sondern nur zur Vermögensmehrung eines erlesenen Kreises von egoistischen Geldschefflern, ist kein funktionierender Markt mehr, sondern eine kriminelle Institution, die das Gemeinwesen und die soziale Verbundenheit unter den Bürgern korrumpiert, aushöhlt und zu Fall bringt. Das aber ist keine Demokratie mehr, die einen solchen kriminellen Markt unter Verwendung bewusst unverstaendlicher und die Tatsachen verwischender Politphrasen und der Alimentation profitgieriger Banken dauerhaft deckt.

Der Markt ist der Beelzebub der modernen Zeiten, ein gewaltiger Leviathan vermeintlicher politischer Notwendigkeit. Wenn wir weiterhin der Räson des Marktes folgen, verlieren wir unsere Souveränität als mündige Bürger endgültig und werden bald der Diktatur des Marktes unwiederbringlich unterliegen. Da der Umschlag vom totalen Markt, der jetzt schon alles durchdringt, hin zum invasiven Kapitalismus, der alles und jeden nicht nur vermarkten, sondern verwerten und als Ressource verbrauchen wird, unmittelbar bevorzustehen droht, ist es an der hohen Zeit, dass wir den ganz großen Pausenknopf drücken, endlich eigener Herr unserer Entscheidungsgewalt werden und unser Leben und seine Wertigkeit ganz neu denken. Ohne den Glauben! an Effizienz, Verwertbarkeit, Marktfaehigkeit und wie all die verkommenen Götzen auch heißen mögen...wir müssen ganz anders leben lernen...

Dazu dann naechstens mehr...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy

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