Einige Betrachtungen zur ertragreichen Erwerbslosigkeit

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In Zeiten des lautstark anlaufenden Niederganges der Weltbörsen und des Systems der kapitalistischen Ausbeutung, duerften die Nachrichten von der Weltbörse einem Menschen von gesundem Verstand und vertiefter Urteilskraft nicht sueß genug klingen.

Denn bisher arbeiteten wir ja vor allem wirklich fuer den Geldautomaten, die Banken, die Boersen und die Manager, damit das große Geld anderer Menschen sich mehre. Das kapieren die meisten jetzt erst nach und nach. Was geschieht?! Die Selbstverstaendlichkeit, mit der wir uns als Idioten im wahrsten Sinne des Wortes verkaufen ließen an die Interessen der großen Finanz, schwindet nun von Tag zu Tag mehr. Schon wieder Finanzkrise?! Manchem schimmert, es koennte nun ein Wirtschaftszusammenhang nachhaltiger erschuettert werden, den man durch die große Finanzkrise 2008 eigentlich feuergetauft und stark waehnte.

Die Wahrheit ist: wir haben alle weitergelogen. Die Regierungen, die Banken, wir Arbeitende, die Konsumisten, die Waehler, die Politiker, die Lobbyisten, die Versicherer und die Wachstumspropheten, die ja vor allen Dingen. Die großen Konjunkturprogramme haben vor allem die Staatsverschuldung noch weiter angekurbelt. Bei dem großen ewigzitierten Satz ''It's the economy, stupid!'' mit welcher Erkenntnis Bill Clinton in den 1990-er Jahren die US-Wirtschaft noch zusaetzlich auf Touren brachte, sind nunmehr die Wortfolgen verrutscht, es sollte wohl heißen: ''It's the stupid economy...''

Eine Weltwirtschaft der Dummen. Seit der Durchsetzung des neoliberalen Vertrages zwischen angelsaechsischen Regierungen und den hohen Koepfen der Manager und angelsächsischen Chairmen in den 1980-er Jahren, ist vor allem die Dummheit prosperiert, gab es ein riesiges Bruttowachstum der Verbloedung in bezug auf einen globalisierten Raubtierkapitalismus, der in letzter Instanz, wenngleich noch eher unausgesprochen, exakt so kriminell ist wie seine fuer illegal befundene Kehrseite: der Welthandel der Mafia-Strukturen im vermuteten ''Untergrund'' der Handelswelt. Dunkel und obskur, ranzig bis zum Horizont sind beider Warenstroeme in identischem Maße. Die unsichtbare Hand des Marktes sorgt dafuer, egal ob illegal oder legal gehandelt, dass nach Moeglichkeit ein schwarzer Schleier ueber die Stellen gelegt wird, an denen das Ganze hakt, an denen Wunden geschlagen werden, an denen es duester wird um das leuchtende System.

Der moderne Kapitalismus ist ein unfassbar brutaler Elendserzeuger, aber er verdeckt das durch Heilsversprechen an eine bevorzugte Welt der Kaufkraeftigen und Kaufmaechtigen. Ihr Privileg ist der Konsum. Dieses Privileg lassen sich die Konsumisten auch nicht wirklich nehmen. Fair-Trade, Bio, One World, das sind alles so Label, letztlich ja sogar wieder Marken. Die Gewissensbisse, die der frivole Konsumdrang beim ein oder anderen erzeugt, werden durch Lippenbekenntnisse zum fairen Deal weggekuesst. Den Rest an wachem Bewusstsein ueberspuelt dann ohnehin wieder der doch vom Konsumisten nicht zu vermeidende Rausch des erkauften Zugewinns. Der Zugewinn will unbedingt erkauft sein. Der Konsumist will taeglich neue Dinge, neu produzierte, neu importierte, neu polierte, neu gegen Geld erworbene Dinge sein Eigen nennen. Tag fuer Tag eine neue Sache, Tag fuer Tag ein gekaufter Fetisch.

Aber die bunten Dinge werden den Konsumisten nun bald weggenommen, bzw nicht mehr so leicht erwerbbar zur Verfuegung gestellt. Diese schoenen glaenzenden Dinge werden bald teurer. Dann ist Geiz nicht mehr geil, sondern asozial und der Neofeudalismus wird schaerfer ins Licht ruecken. Viel mehr Menschen als jetzt werden dann das Gefuehl des Abgehaengtseins bekommen. Hallo nahe Zukunft, hallo neue Welt!

Was soll das eigentlich bedeuten? Dass wir verlieren werden, verzichten werden, dass alles wieder etwas grauer wird, dass unser Blick aber endlich wieder freigestellt wird. Dass wir lernen muessen, dass wir nicht mehr alles jederzeit verfuegbar haben und dass wir oefter einmal ein Hemd, eine Hose, ein T-Shirt auchmal durch drei Jahre tragen statt durch bloß durch eines. Und nicht einen Pulli stricken, weil es grad hip ist und öko wirkt, dann aber am naechsten Tag wieder 300 Euro bei Prada oder Gucci durch den Wind jagen. Dann ist vielleicht nur noch Pulli stricken und Socken stopfen angesagt, und wer das ohne kompensierenden Luxuskonsum ertraegt, ist schon fast der neue Mensch des Westens.

Wir werden zurueckfallen gegen den Osten. Wir sind die neuen Schwellenlaender hier im Westen, und zwar gehts fuer uns schwellenwaerts nach unten. Und von wegen dann: ''Deutschland, Insel der Seligen''. Das war dann einmal.

Aber wie ich andernorts schon zu Genuege ausfuehrte, ist dies nun der Punkt, an dem wir eine Avantgarde sein koennen, an dem wir eine Utopie zu leben beginnen koennen: uns abkoppeln von dem, was man mal ''Erfolg'' genannt hat. Uns abkoppeln von dem, was man die ''Leistungsgesellschaft'' nennt. Wollen wir nocj soviel leisten? Fuer wen? Zu welchen Preis? Worumwillen? Damit wir nochmal schoen ausgehen koennen jedes Wochenende, damit wir kaufen, bis der Arzt kommt mit dem Attest fuer Arbeitsunfaehigkeit wegen Ueberarbeitung (''ich war dumm jung und brauchte das Geld''?! Die arbeiten, arbeiten, arbeiten da alle um uns herum wie bloed und wofuer?

Bei meinem Nachbar geht morgens um halb fuenf das Licht an und er schleppt sich zur Arbeit. Auf dem Asphalt stoeckeln Damenschuhe und schleppen sich mit einem schweren Seufzer zur Arbeit. Muetter zerren an ihren Kindern, liefern sie um kurz nach sieben schon in der Ganztags-Kita ab, muessen zur Arbeit. Dort, in der Kita schon, wird dann auf die ein oder andere perfide Art Leistungsgesellschaft geuebt. Das geht spaeter in der Schule weiter: ''macht was Vernuenftiges, am besten BWL, dann kriegt ihr auch einen Job''. Und dann Bewerbungen ueben statt Goethe lernen. Der BDI schickt Vertreter in die Schule, Banker lehren angehende Sechszehnjaehrige den maximalen zukuenftigen Anlagevorteil fuer ihr Gehalt. ''What's my lesson today, teacher? It's the economy...stupid!!''

Die Muellmaenner haben auch gar keine Lust, wenn sie um Punkt sieben mueden Schrittes und mit 160 Dezibel, die den Frieden noch des herrlichsten Morgens brachial brechen, die stinkenden Muelltonnen aus der Kehrseite des Hofes hervorziehen und unseren Wohlstands- und Konsumdreck, die leere Huellen unseres Konsumdrecks, abholen. Den Gestank der kapitalistischen Kehrseite. Am Arsch des Kapitalismus haengen die Schmeißfliegen und die Penner. Den pestilenzartigen Brodem unserer Leistungsgesellschaft entfernen. Die Muellmaenner haben natuerlich keinen Bock auf diese Arbeit. Der Banker hat auch kein Bock mehr, den Menschen Scheiß Versicherungen oder miese Kredite anzudrehen, aber er glaubt noch an das easy money und die Provision. Die Provision ist die kleine dreckige Moehre vor unseren verbohrten Eselskoepfen, die wir doch nie zu beißen bekommen. Incentives. Gier und Drang. Das alles geht weiter noch eine Weile.

Wenn der kleine Junge vor meinem Fenster auf seine zur Arbeit aufschnallende Mutter wartet, wartet er auf ihre leitende Hand in dieser aufscheinenden Ratlosigkeit erratisch vollzogener hektischer Bewegungen all der Erwachsenen um ihn herum, blickt auf die ausparkenden Autos wie auf gigantische Fragezeichen und ergreift statt der ihn leitend geglaubten Hand der Mutter nur die Schultasche, die sie ihm in die Hand gedrueckt hat, fasst den Saum ihres in Eile an ihm vorbeihuschenden (Luxus-)Kleides und der Junge will eigentlich nur spielen mit der Mutter auf dem Spielplatz, aber die Leistungsgesellschaft weist der Mutter und damit ihm seinen Platz. Außerdem braucht er ein neues Fahrrad, neue Klamotten, weil man sich schon an den Kindern vergleicht und die Kinder indoktriniert werden, sich selbst immer frueher zu vergleichen im ''ich habe mehr als Du''.

Das alles ist der Systemzusammenhang. Der Systemzusammenhang sind die Typen, die zu dritt um 8.30h am fruehen Morgen auf einer Holzbank am Netto sitzen und Bier saufen. Waren nie so die primaeren Leistungstraeger. Sind so bequeme Zielscheiben fuer ausgestreckte Fingerspitzen: ''guck mal die Asozialen''. Im Bedarfsfall sind dann zusaetzlich noch die Auslaender schuld, die Hartz-IV-Empfaenger und die Deutsche Einheit. Woran schuld? Ja, eben am Niedergang der Leistungsgesellschaft.

Aber den Finger mal auf die eigene Brust druecken, mal ganz so auf die Rippen, dass es drueckt, dass man begreift: ich bin das doch auch. Ich bin doch selbst so ein frivoles Schwein. Das ist so ein großer Schritt...

Dass man naemlich das mal alles auflaufen laesst. Dass man Verzicht ÜBT. Dass man stark wird, durch das Ertragen des Weniger. Dass man dabei tiefer wird. Die Oberflaechlichkeit abstreift wie die polyacryl-leichte stickige Huelle, die sie nunmal ist und als die sie soviele von uns umgibt.

Weniger Muell reden und zu wahren aufrichtigen Worten finden. Wir labern alle soviel Scheiße Tag fuer Tag. Das ganze leere Gesaeusel und Geranze in den Bluemchen-Blogs und Twitter-Accounts, diese ganze leere Phrasen-Emphase, dieses verlogene Schultertaetscheln und sich Mutlosigkeit zusprechen und Auf- und Abwinken und dieses ganze dumme Smiley-Gegrinse zum Ende kilometerlanger Kommentarlaeufe. ''It's the stupidity, that's making economy...''! Eine Ökonomie der Dummheit und Verdummung. Auch das ein ganz anderes Thema.

In den Bueros ist es dasselbe, ueberall nur Stumpfsinn, der die Kommunikation praegt und zuhause wirds dann auch nicht besser. Gegen den Stumpfsinn hilft abends nur noch abschalten...das Hirn wird abgeschaltet. Man bewegt sich komplett in der Phrase...ich muss die Erregung nun wirklich beenden.

Es hat mich wieder ein bisschen verweht. Wir muessen weniger leisten, das wollte ich eigentlich sagen mit Worten, die ein bisschen so klingen sollen, als haette ich sie mir aus dem Herz gerissen. Mit Worten, die ich auch mit dem eigenen Blut schreiben koennte.

Aber ich bin sicher, wir lernen es wieder, anders zu leben. Den Akzent auf etwas zu legen, das weiter reicht als nur von A nach B, um zur Arbeit zu gelangen. Es gibt wirklich sehr viel zu tun, also lassen wir es sein. Entspannen wir uns, ruhen wir uns ruhig auch am fuenften und am sechsten Tage mal aus, das haben wir uns zwar nicht verdient, aber wir koennen es auch nicht kaufen...

''I wonder if I'll ever get to where I want to be
Better believe it: I'm working for the cash machine,
the cash machine...
the cash machine...
...there's a hole in my pocket, my pocket, my pocket...''

Hard-Fi, Working for the Cash Machine

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Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy

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