Fahrenheit 77-die Buchlöschtaste

Zukunft des Buches I Eine milde ''Büchervernichtung'' auf Zimmertemperatur

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''They don't have to burn the books, they just remove them...''

Rage against the machine, Bulls on parade

...diese Aussage von RATM bezieht sich auf die Tatsache, dass in den USA seitens der Regierung in den 90-er Jahren mehr Geld in die Ruestung investiert wurde als in das gesamte nationale Kulturwesen. Die Einsparungen betrafen zu der Zeit vor allem oeffentliche Bibliotheken. Spaeter, im durch Praesident Bush verfuegten Patriot Act, der die ''Heimatfront'' vor der Perfidie der Terroristen bewahren sollte, entfernte man auch gezielt missliebige Buecher aus Bibliotheken und Universitaeten.
Was dabei als ''missliebig'' zu gelten hatte, wurde von der konservativen Regierung festgesetzt.

Und damit erst einmal herzlich willkommen, lieber Leser! Dieser Eintrag stellt einen ersten holprigen Teil einer kleinen losen Reihe zur Zukunft des Buches dar. Die Leser sind ausdrücklich dazu aufgerufen, auf Schwachstellen der Argumentation hinzuweisen.

Stellen wir uns eine sehr nahe Zukunft vor, in der nach bestem Dafuerhalten der dafuer Verantwortlichen alle verfuegbaren Buecher dieser Erde, die je gedruckt wurden und noch existieren, endlich eingescannt sind und als digitale Versionen verfuegbar sind, ganz so, wie es ja derzeit schon ''dank'' Google und privaten Datensicherungsunternehmen passiert. Stellen wir uns nun noch dazu vor, es wuerden schon seit einigen Jahren gar keine Buecher mehr ''substanziell'' gedruckt, sondern nur noch in digitalem Textformat oder als e-book vorliegen. Die letzte Printausgabe eines Buches sei jetzt bereits, sagen wir: 5 Jahre her...

Endlich ware die von Borges ersonnene Bibliothek von Babel also da: ein weltengleiches Gesamtkompendium menschlichen Buchwissens, verfugbar auf einen blick/click, wenn man so will. Ein Paradies der schnellen Verfuegbarkeit und Zuführbarkeit von Lektuere und eine Konservierung schriftlich tradierten Wissens aller Epochen.
Ein einzigartiger analoger Kulturschatz, in die digitale Welt hinübergerettet...(auch wenn dieser Kulturschatz nur retroperspektive Wirkung zeitigen würde, da das Internet an sich ja schon einen solchen Wissenspeicher darstellt)...

Jetzt aber wollen wir einen Blick zurueck werfen in finstere deutsche Zeiten, Mai 1933. Studenten verbrennen Buecher. nochmal zum Mitschreiben. STUDENTEN verbrennen Buecher! Dieser barbarische Akt allerdings, wenn auch nur dieser Akt der Nazis, ist im Rueckblick reine Realsatire, und das aus folgenden Hauptgruenden:
die Nazis wussten genau, dass sie niemals jegliches ''zersetzendes, undeutsches Kulturgut'', sprich: EIN JEDES ihnen missfallende Buch haetten verbrennen konnten. Die Buecherverbrennungen waren absurde Schauprozesse gegen den freien Geist und seine Manifestationen im geschriebenen Wort. Es wurden exemplarisch Buecher verbrannt, die spaeter nicht mehr gedruckt werden sollten. Wenn aber nun die indizierten Buecher in Privatbeständen der Bevölkerung weiterhin aufzufinden waren : DAFUER hat die Gestapo jedenfalls nicht an der Haustuer geklingelt. Voellig mueßig fast zu erwaehnen, dass auch die Nazi-''groeßen'' die meisten der verbrannten Dichter in altdeutsch-biederem bürgerlichen Bildungsstolz in ihren Buecherschraenken stehen hatten.

Eine ganz andere Absurditaet der Buecherverbrennungen durch die Nazis:
zwar wurden einige der verbrannten Dichter letzthin vergessen, aber in ihrer großen Menge erfreuen sich die Namen damals verbrannter Dichter noch oder gerade großer Beliebtheit in heutiger Zeit. Es gab Dichter wie Bertolt Brecht oder Oskar Maria Graf, deren Werke von den Flammen verschont worden waren und die daher in Gedichten darum bettelten, nachtraeglich in literaturam verbrannt zu werden, um nicht gerade darum als Gebrandmarkte oder Verfemte dazustehen, dass sie NICHT verbrannt worden waren. Graf stand (bis auf eines seiner Werke, das verbrannt wurde) sogar auf der Weißen Liste der durch die Nazis empfohlenen (sic!) Buecher. Das ließ dieser nicht auf sich sitzen, forderte eine Buecherverbrennung fuer sein GESAMTES Werk und bekam diese spaeter dann auch ''nachgereicht''.

Das Buecherverbrennen hat vor allem in unserer schoenen Heimat eine denkwuerdige Tradition. Schon Goethe erinnert in seinen Memoiren an die Buecherverbrennungen, die er als junger Mensch in Frankfurt miterleben musste und auf dem Wartburgfest 1817, auf dem burschenschaftliche STUDENTEN! Buecher verbrannten, warf man im Sinne der Wiedererstarkung und nationalen Neueinigung des deutschen Reiches vorwiegend jüdische Schriftsteller ins Feuer. Auch Heinrich Heine fand sich unter den indizierten Autoren, ihn hat dieses Ereignis spaeter zu dem nun einmal wirklich visionaeren und allgemein bekannten Zitat bewogen:

''Das war ein Vorspiel nur! Dort wo man Buecher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.''

Wie heiß nun also muss es sein, dass Buecher anfangen zu brennen? Dafuer braucht es 242°Celsius, das sind Fahrenheit: 451! das ist die ideale Betriebstemperatur fuer die Schergen des radikal-totalitaeren staates der gleichnamigen Utopie von Ray Bradbury aus dem Jahre 1954.

Die Schergen dieser dystopischen Gesellschaft haben vor allem eines im Sinn: alle Buecher zu verbrennen, die in dieser duesteren Version der Zukunft noch ''verfuegbar'' sind. Denn, davon ist man in dieser simplifizierten Gesellschaft ueberzeugt, Buecher sind der Anfang vom Ende des Staates, der seine Untertanen durch Dummzüchtung und permanenter Unterhaltung gefügig macht. Buecher impfen den Menschen nur dumme Ideen und gegenlaeufige Meinungen, Zweifel und Renitenz ein! Nein, ein Staat, der wie geschmiert bestehen soll, braucht dumme arbeitende und willfaehrige Bevoelkerung, die sich abends nach der Arbeit auf die Couch knallt und sich berieseln laesst von Unterhaltung und Werbung und Konsumimperativen im Non-Stop-Modus. Es sei nochmal angefuegt: das Buch spielt in der Zukunft...

Die U-Bahnstationen zB heißen dort wie die groessten Konzerne dieser Gesellschaft (puh, Glueck gehabt! gut, dass wir hier in Deutschland in der U-Bahn auf dem Weg zur Allianz-Arena noch im ''Prinz Leopoldplatz'' halten) und die Medien reduzieren sich auf bewegte dumme Bilder auf Monitoren und riesige, auf Bildschirmen laufende oeffentliche Werbung. Das alles dürfte uns mittlerweile alltäglich bekannt vorkommen.
in dieser Gesellschaft gibt es den seligen Exekutor Guy Montag, der das Buecherverbrennen liebt, bevor er sich dann in ein Maedchen verliebt, das noch verbotene Buecher besitzt und ihm eine neue Sicht auf die kranke Welt dieser Gesellschaft beschert.
Irgendwann im Buch verraet Montag's Vorgesetzter diesem das Betriebsgeheimnis dieser buecherlosen Kultur:

''cram them full with non-combustible data...''

Also: ''stopf sie mit nicht-entzuendlichen ideen voll'', sie, also:
das dumme Volk, das dadurch immer duemmer werden wird und dann auch so behandelt werden will.
Im Terminus ''non-combustible'' steckt ein Doppelsinn: erstens sind diese Daten nichtentzuendlich und somit ganz sicher schonmal keine brennbaren Buecher und zweitens werden diese Datenreize den Leuten ganz sicher keine Geistesblitze/-funken bescheren.
Sie werden also nicht auf ''dumme Ideen'' kommen.

Nun aber zurueck zu unserer Konstellation der gluecklich-gelungenen Gegenutopie all der universal gespeicherten Buecher in nicht allzu ferner Zukunft, die wir eingangs aufnahmen. Alle auffindbaren Buecher sind digitalisiert und global jedermann, so er nur mag, zugaenglich. Die erste Frage, die sich daraus ergäbe, waere:

Was passiert nach dem Einscannen jetzt eigentlich mit den gedruckten Büchern? Mit den greifbaren Buechern eben? Sie sind allesamt in irgendeiner Art und Weise Museumstuecke, aber was geschieht mit ihnen, im Laufe der, sagen wir: naechsten 200 Jahre? Werden sie weiterhin konserviert, gepflegt, säurebefreit etc...? Sicher nicht alle...und wenn nicht alle, welche dann? Und warum dann diese und die anderen nicht? Wer wird darüber befinden?

In dieser imaginierten Zukunft: wer verfuegt da eigentlich ueber die Inhalte der digitalen Buecher, rechtlich betrachtet? Der ''Einspeicherer''?
Wie wird er diese Inhalte bereitstellen, nur auf Anfrage, nur auf Bestellung, gegen Gebuehr? Wem gehoert der Zentralserver, auf dem die Bibliothek bereitgestellt wird, wer wacht darueber? Eines ist bereits in diesen Tagen abzusehen: vieles läuft verstärkt auf eine Privatisierung des derart erhaltenen Wissens hinaus.

Wie infam wäre es, gäbe es dann die eine Taste, die all dies Wissen, aber vor allem auch: all diese kulturelle Vielfalt auf immer ausloeschen kann, die ABCD-(All Books Completely Deleted)-Taste, den push-button ins geistige Nirvana...
Es waere das effizienteste Autodafé aller Zeiten, das absoluteste, das unwiderruflichste, das kuehlste auch!

Es faende auf einen Knopfdruck/click statt, bei 25°Celsius Raumtemperatur vielleicht, 77°Fahrenheit...

''they don't have to burn the books, they just remove them...''

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy

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