Nächte mit Meijer

Importierte Toleranz Kleiner Beitrag über einen großen Duldsamen aus Berlin

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(...für M., der mit dieser Geschichte einverstanden wäre...)

''I live uptown...
I live downtown...
I live all around...
I'm a changeling, see me change...''

The Doors, The Changeling

Eigentlich kann man dazu stehen, wie man will, aber der Meijer steht unter Garantie immer duldend zu den meisten Dingen, die anderen Leuten mindestens fünf schlaflose Nächte bereiten würden.

Der Meijer macht die meisten, die ihn nur oberflächlich kennen, anfangs immer ganz bekloppt mit seiner Art. ''Hey, wie gehts dir denn so, Meijer?'', fragen die ihn, der erwidert darauf immer nur geduldig: ''Ja, is ok. Ich bin...''

Ganz Holländer, ist der Meijer auf Berlin-Exil seit 12 Jahren irgendwie dort haengengeblieben. Zuvor das kaputte Rotterdam der 90-er in der Hausbesetzerszene erlebt, dann aber ist ihm das alles zu oede geworden und er ist in Berlin gestrandet. ''Ich strande immer noch hier'', hat er nach zehn Jahren Berlin festgestellt und da ist uns nicht ganz klar gewesen, hat Meijer jetzt ein deutsches Wort in seiner Begriffsspanne falsch verstanden oder ist es seinerseits ein geniales Wortspiel?

Niemand kann sagen, womit der Meijer sein Geld verdient. Der eine behauptet, ihn mal als Darth Vader mit Plastikleuchtschwert im tiefsten Berliner Schnee vor dem Brandenburger Tor als Touri-Photo-Sidekick beobachtet zu haben, andere meinen, der Meijer zehrt von einem Erbe seiner Großtante, von der er viel altes Interieur in seiner Bude geerbt hat, wie zB einen uralten mottigen tonnenschweren und tiefroten Theater-Brokatvorhang, der im Grunde ganze zwei Zimmer durch seine Präsenz komplett erdrückt und ein paar bizarre Patina-überlaufene Kronleuchter, die er zu irgendetwas Funktionalem umgelötet zu haben meint und auf dem Boden angebracht hat und dergleichen Nippes mehr.

Dem Meijer ist das mit den beiden durch den Vorhang erdrückten und inexistent gemachten Zimmern ganz egal, den erlebt man sowieso nur in seiner Küche zwischen all den Flaschen und dem Spülwerk (wenn er dazu sagt: ''Ja, is ok. Den mache ich morgen sauber''...meint der Meijer da den Spülberg oder nur einen einzelnen erlesenen der unzaehligen aufgestapelten Teller?).
Da sitzt er dann jedenfalls an einem riesigen dunklen Holztisch mit Löwenkopffüßen und fragt die Besucher nach ihrer Berlin-Motivation oder ihrer Einstellung zur Arbeit oder einer politischen Begebenhet aus, je nach Laune und Pegel. Dabei ist es ihm eigen, in seinen Ausfuehrungen in der Mitte aufzuhören, sodass der Meijer eigentlich nie einen Satz zuende bringt, was man entweder fuer ziemlich zerstreut oder furchtbar genial halten mag. Erzaehlt ihm jemand zB, wo er wohnt, sagt der Meijer (der immer noch klingt wie ein Holländer, der nicht länger als zwei Wochen in Deutschland verbracht hat) oft sowas wie:

''Ah ja, das kenn ich, da habe ich auch mal, da bin ich so...war schön. Also...ist gut, dass du da wohnst.'' ''Ja, ich habe aber davon schon gehört, das hat...gut. Bin ich da...ich erinnere mich. Hat mir gefallen.''

Und man weiß bei Gott nie, was er jetzt eigentlich meint, aber es klingt immer sehr weltgewandt und so, als goenne der Meijer es jetzt diesem oder jenem Gesprächspartner einfach so von ganzen Herzen, dass er in Neukölln, in Kreuzberg im Bergmannkiez oder meinetwegen auch in Oberschöneweide wohnt.

Der Meijer hat auch immer eine schöne Frau an seiner Seite. Das gehört bei ihm dazu, eine schöne Frau sei wie gelungene Innenarchitektur, so hat er sich mal ausgedrueckt...eine Freundin von ihm, von der keiner sagen kann, welche Art von Beziehung die beiden zueinander pflegen, ist eigentlich immer bei ihm und erzählt den lieben langen Tag eine nach der anderen rauchend, die Mejier ihr immer wieder geduldig und nach holländischer Art als unglaublich dünnen Spliff dreht und ihr dann in die Hand drueckt und sie ihr anzuendet, von ihren Meditationskursen beim Guru in Neukoelln und über ihre Gemüsekiste (6 Quadratmeter!) auf dem Flugfeld Tempelhof am Schiller-Kiez und wie der Meijer letztes Jahr vergessen hat, als sie in Mali im Urlaub war, taeglich im Hochsommer zur Gemuesekiste zu fahren und sie zu gießen, ihre geliebten Anden-Tomaten zu gießen und das als Hollaender. Von den 20 Tagen, die sie weg war, sei er nur die ersten vier Tage vor Ort gewesen (Meijer dazu: ''Es fing mit Lust an, aber nach eine Zeit denke ich: ''Scheiße, diese Gießen nervt, so ich hab gedacht, ich kann mit dem Schlauch hundert Liter im Voraus gießen, das reicht die Tomaten fur drei Wochen, dann brauche ich auch nicht jeden Tag zu besuchen die Dinger.'') und die Freundin fuehrt dazu den Gemüseernteverlust durch Absaufen und Wurzelfäule in einer riesigen Tirade auf, zu der Mejier dann nur wohlwollend nickend und seinen rotblonden Vollbart kraulend sein: ''Jajajajajajaja...jajajajja...'' im Stakkato unter heftigem Nicken abläßt.

Der Mejier hat die Angewohnheit, immer betrunken bis angeheitert zu wirken. Ob das nun daran liegt, dass er dauernd betrunken ist, oder er diese Rolle nur perfekt eingenommen hat, kann jetzt auch schon keiner mehr sagen. Ist aber genau so richtig, wie er ist. Der Typ passt dann oft auch einfach. Wenn man eine existentiell wichtig erscheinende Frage hat, so meinte mein Kumpel Robert mal, dann sollte man sie einfach 1:1, bevor man unzaehlige Naechte darueber durchwacht, an den Mejier weitergeben, dem fiele darauf immer etwas ein, das einen troeste, und sei es auch der allerletzte Schwachsinn. Der Mejier hat immerhin die feine Art an sich, keine Frage oder Äußerung zu verlachen, selbst wenn dann seine Antworten für Leute, die ihn nicht kennen, immer wie konstruierte Sprüche ausfallen. Wer ihn besser kennt, bekommt bei dem Typen nie mehr das Gefuehl, dass er diese Antworten plant. ''Der meijert wieder'', sagt der Robert oft und fügt hinzu: ''Der Meijer verkoerpert einfach etwas Authentisches, ich weiß nur nicht was genau.''

Beim Meijer hat man auch oft das Gefuehl, der wartet auf nichts und erwartet auch nichts vom Leben. Aber ohne Resignation, sondern der ist angefuellt mit einer Lebensfreude, die permanent understatement faehrt, sich aber nicht erschuettern laesst. Der steht voll im Leben, dem geht es nicht, sondern der IST, ganz so, wie er selbst immer sagt: ''Ich bin, ich existiere und komme außerdem eigentlich aus Holland.''

''Kommt Jungens, trinkt noch'', sagt der Meijer abends am Tisch oft und gießt sich noch einen weiteren Rotwein ein und nippt ihn dann weg. Wenn er richtig was losmachen will, bietet er uns immer ''Rotterdamer Nächte'' an, so nennt er die Plörre, die kein Mensch runterbekommt, die er aber tatsächlich trinkt: je 0.2l Bier und Rotwein und Milch zu gleichen Teilen in ein Glas geschuettet ''und inoffiziell schuetteln ohne Löffel''. Das trinkt nur der Meijer, ''mein Lebenselixier'', wie der ja auch selbst von den ''Rotterdamer Nächten'' sagt.

Einmal, dessen erinnere ich mich noch sehr gern, hatte der Meijer nach dem Genuss wer weiß wievieler ''Rotterdamer Nächte'' wieder seine Phase. Im Hintergrund lief ''The Changeling'' von den Doors zum x-ten Mal auf Replay, dass man meinen koennte, es sei der Soundtrack zum ''Liegenden Hollaender'', wie Robert unseren gemeinsamen Freund auch oft nannte. Wir waren alle ziemlich angeheitert, hatten uns in einem Anfall von Jahrhunderthunger, der typisch ist fuer Maenner mit leerem Kuehlschrank, Magen und temporär mindermotivierten Kochambitionen, einfach die vom Meijer aus Holland importierte 3.5kg Jumbopackung Backofenpommes (''die sind extraordentlich lecker!'') in den Gasherd geschoben und dort in der Getriebenheit des Hunger mehr auftauen als -backen lassen. Da saßen wir also mit unseren halbrohen, innen noch kalten und den Gaumen verklebenden Pommes in der Kueche und der Meijer wollte ''spezielle Pommes''. ''Macht sie mir speziell, lasst euch was einfallen, Jungens...''

Da haben wir dann ihm gewaltige Prisen roten Chili und Sambal Oelek und vor allem immer wieder voellig wahllos Salz und Pfeffer und Knoblauchpulver auf die Fritten schneien lassen, dem Mejier war das noch nicht scharf genug. Die Pommes waren schon tiefrot vom Chili. Irgendwo im Kuehlschrank war noch Mayonnaise, die ihre besten Tage schon mindestens ein halbes Jahr hinter sich hatte, da haben wir immer wieder voll auf die Tube gedrueckt, der Meijer hat das alles weggelutscht, der hatte Hunger, dem kam man nicht bei, derweil wir vor Lachen nicht mehr ruhig sitzen konnten. ''Datt is scho lecker'', meinte der Meijer nur selig. Unsere Aermel waren schon voller Fett, weil die verkommene Mayo aus der Drücktube schon ueber die ganze Tischplatte gesifft war und teils auf der Kuechentapete verteilt: ''Datt isch egal, muss i nit streichen'', meinte der Meijer auch dazu nur, und aß ruhig seine chiliübersäten halbrohen Fritten zuende.

''Die Pommes ist eine richtig gute Performance von euch, Jungens...'', hat Mejier uns noch dafuer gelobt und wer das so schoen sagt, dem mag man einfach nicht widersprechen und dem glaubt man gefaelligst, dass ihm seine Fritten gut schmecken. Wer würde einem Meijer widersprechen wollen?

Wir lieben die Art, wie der Meijer jede konkrete Frage, die ja immer was von einem harten Zwieback hat, bis zur Unkenntlichkeit einweicht und dann im Vagen schweben laesst. Klar, Robert hat ihn das genauso mal gefragt:

''Sag mal, Meijer, wovon lebst du eigentlich?''

Meijer: ''Na, wie du von die Luft und die Essen und all das...''

Robert: ''Ja, aber: wie finanzierst du dein Leben?''

Meijer: '' Ein bisschen mit Geld und ein bisschen mit meine Möglichkeiten.''

Robert: '' Aber was arbeitest du?''

Meijer: '' Meine Projekte. Meine Kunst ist, den Leben ein bisschen zu beobachten...''

Und wer hätte wiederum DA dem Meijer widersprechen wollten? Da fragt man nicht weiter nach, wie er das meint, man fuehlt einfach: der Kerl hat es raus. Man weiß nicht einmal, was genau der Meijer da jetzt raus hat, aber man kommt einfach nicht an ihn ran, der ist eine ganz hohe Hausnummer, der hat irgendwas im Leben kapiert, das andere nie kapieren werden. Vor allem auch seine unangestrengte Toleranz, die sich zB darin ausdrueckt, dass er einen benachbarten Kampfhundehalter, der seinen Hund nicht angeleint hatte und den Meijer eines Morgens boese ins Bein gebissen und tiefe Wunden an der Wade verursacht, schon mehr gerissen als gebissen hatte, nicht angezeigt und die ganze Sache auf sich beruhen lassen hatte. Der Meijer dazu:

''Ja, datt is ok. Datt ist ein Kampfhund, der will nicht spielen, sondern beißen. Datt ist seine Natur. Soll ich zur Polizei gehen und mich beschweren ueber seine Natur?''

Der Meijer kann die Menschen, Tiere und Dinge (bis vielleicht auf Anden-Tomaten in Beeten) lassen, wie sie sind. Das mag der eine naiv, der andere ''Scheißegaleinstellung zum Leben'' nennen, wir nennen ihn Meijer und er hat es einfach verdient, dass man derlei Lobeshymnen auf ihn schreibt...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy

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