Pleitegeier nach Athen tragen oder: Du bist Griechenland

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''Der Schuldner darf erst gar nicht beginnen mit der Unart, seine Schulden bezahlen zu wollen. Faengt er das erst an, oeffnet er die Tuer auf seinen Weg ins Verderben.''

Honore de Balzac,
Ueber die Kunst, seine Schulden zu bezahlen, ohne einen Sous dafuer aufzubringen

Ich moechte heute einen Beitrag ins die Welt entlassen, der dem ein oder anderen Menschen vielleicht bitter aufstoßen mag, der diesen eventuell als Plaedoyer fuer das Schuldenmachen lesen moechte. Aber bitte lesen Sie doch erst einmal...

Wenn wir derzeit den Blick nach Athen und auf die Weltfinanzmaerkte werfen, dann faellt uns auf, wie sehr das nicht sehr schoene deutsche Wort ''Schulden'' von ''Schuld'' kommt. Jemand hat sich Geld geliehen, das man ihm anvertraut hat (lateinisch: ''credire'' gleich ''glauben, anvertrauen'') und jetzt ist dieser jemand, der das Geld nicht mehr zurueckerstatten kann, schuldig oder steht in der Schuld. Das deutsche Wort ''schuld'' wiederum entstammt der etymologischen Wortfamilie um ''sollen'' (siehe auch: das ''Soll'' auf dem Konto).
Man ''soll' also das geliehene Geld bitte schoen auch wieder zurueckzahlen (zudem natuerlich, dies zumindest im Geschaeftsbereich: mit Zins). Man soll...

Aber wenden wir uns doch eine kleine Weile dem Schoepfer meines Eingangszitates, dem durchweg sympathischen Honore de Balzac zu. Dieser ist hinlaenglich bekannt fuer seine ich weiß gar nicht wieviel baendige (und unendlich umfangreiche) ''Comedie humaine'', DEM Sittenbild des Frankreichs des 19. Jahrhunderts. Aber eines seiner Werke lag ihm besonders am Herzen und es ist das kleine Buechlein, dem unser Eingangszitat entnommen ist. Auch wenn sich das aus seiner eigenen Erfahrung bestens gespeiste Buechlein auf den ersten Blick satirisch liest, dem guten Balzac war es bitterernst damit. Er wusste: entweder verzweifelt er an seinen unermesslichen Schulden oder er nimmt sie auf die leichte Schulter...und lebt umso besser!

Aber zurueck zur Gegenwart: es bliebe uns viel Leid erspart, wenn so ein verlogenes Wort wie ''Zahlungsmoral'' dringend aus unserem Wortschatz gestrichen wuerde. Geld hat nicht viel mit Moral zu tun, das Zurueckzahlen von geborgenem Geld noch viel weniger...
zudem muss man sich klarmachen, wem man Geld schuldet. Voellig sorgenfrei lebt es sich zB, wenn man einer Bank Geld schuldet: wer mit derart offensiver Werbung, (die sensiblere Zeitgenossen leicht als Noetigung auffassen koennten) und zudem mit Wucherzins Geld verleiht, wie Banken es tun, muss sich nicht wundern, wenn der zukuenftige Schuldner sich bei dieser Art von Geschaeftsverhaeltnis von vornherein nicht sonderlich ''schuldig'' fuehlt fuer den Fall, dass er das Geld nicht zurueckzahlen kann/wird.
Wer in unseren Tagen die Begriffe ''Serioesitaet'' und ''Banken'' noch ganzlich ironiefrei zusammendenken kann, dem ist ohnehin nicht mhr zu helfen.Also kann man sich guten Gewissens der spielerischen Heiterkeit der Banken im Umgang mit Geld zu seinen eigenen Zwecken anpassen.

Natuerlich bedarf es auch im Falle des Schuldner(da)seins eines nicht unerheblichen Maßes an Indolenz und Schmerzfreiheit, den Anfechtungen der Glaeubiger zu widerstehen. Oft reicht es schon, zwischendurch gegenueber dem Glaeubiger charmant und verstaendnisvoll und mit frischem Aplomb aufzutreten. Auf jeden Fall sei jedem Schuldner empfohlen, sich aeußerst schnell selbst beizubringen, dass er keineswegs schuldig ist, sondern womoeglich lediglich ''a bisserl schlampert'', wie der Bayer sagen wuerde und dass er etwas ueber Gebuehr zum ansonsten immer sympathisch wirkenden Schlendrian neigt...

Schauen wir nun einmal, das laesst sich nicht vermeiden, eine Weile hinueber zur Akropolis nach Athen. Aufmerksameren Betrachtern mag nicht entgangen sein, dass das Brandenburger Tor (aufgrund dann wegen fehlenden Bundesgeldes nicht mehr zu bezahlender Instandsetzungsarbeiten) demnaechst wohl von vielen auslaendischen Touristen fuer die antike Akropolis gehalten werden mag, wenn wir weiterhin munter die Schulden nonchalanter europaeischer Schuldnerstaaten bezahlen oder Investmentbanken weiter Geld zuscheffeln. Nun mag ich hier gar nicht weiter darueber diskutieren, ob eine Zahlungshilfe fuer Griechenland angemessen ist oder nicht oder wie sehr Europa und/oder zumindest der Euro auf dem Spiel steht oder nicht, sondern allein die Frage sei aufgeworfen:
warum nicht etwas gaenzlich Neues ausprobieren? Den generellen und fast absoluten SchuldenREZESS!

Was steckt dahinter? In alten Land der Babylonier (dem heutigen Irak von ca.3000-500 v.Chr.) (chronistische Einteilung ohne Gewaehr) hatten die mesopotamischen Koenige eine großartige Idee, die dem inneren Frieden des Landes dienlich sein sollte: alle 30 Jahre findet ein Schuldenrezess statt, d.h. alle Schulden, private und oeffentliche, werden geloescht, die Schuldnertafeln vernichtet und somit rechtlich auf ewighin ungueltig gemacht (wie das praktisch ablief kann ich jedoch weder erklaeren noch nachvollziehen, da ich zurzeit an Recherchefaulheit leide).
''recess'' bedeutet im amerikanischen Englischen auch: ''Ferien'', so dass hier also die Schulden mal eine Auszeit nehmen, mit dem nicht unangenehmen Kollateralnutzen, dass diese Ferien eben auf ewig gelten.
Schulden auf Urlaub klingt dann auch schon wieder ganz nach dem mediterranen Flair und finanziellem laisser-faire von Griechenland...

aber nach diesem etwas beilaeufigen Exkurs nun zurueck zum Schuldnerindividuum bzw dem immer etwas bizarren Verhaeltnis zwischen Glaeubiger und Schuldner:
natuerlich kennt sich der ein oder andere von uns auch in der Glaeubigerrolle ganz gut aus: man hat irgendeinem Freund/Bekanntem/Verwandtem etwas mehr oder weniger Geld geliehen und jetzt sehen wir davon nichts und hoeren auch nicht mehr viel von dem Geld. Da kommt sich mancher ziemlich verarscht vor und wuenscht seinem Schuldner wahlweise die Pest oder den Gerichtsvollzieher and den Hals. aber dennoch sollte man als Glaeubiger gegenueber diesem bekannten/verwandten/befreundetem Schuldner bedenken:
hat er mich gezwungen, mir das Geld zu leihen oder habe nicht vielmehr ich es ihm eben geliehen und mich damit der Ungewissheit (und IMMER zu antizipierenden Unzuverlaessigkeit der Dinge, die da kommen moege) freiwillig uebergeben? Wer, in solcher Funktion, einem notleidenden Freund zB unter Stipulation Geld geliehen hat, ist ohnehin nicht mehr zu retten und vom Schuldner nicht als wirklicher Freund zu erachten.
Wo Geld ist, da lauert auch das Risiko und die Ungewissheit und damit muss jeder rechnen, der es verleiht oder gar noch Zinsen nimmt. Das Leihen von Geld hat nur in den allerseltensten Faellen etwas mit Gutmuetigkeit, vielmehr dagegen fast immer mit Berechnung zu tun... das sollte nie vergessen werden, wenn man sich als Schuldner gerade mal wieder unendlich pressiert fuehlt, weil außer den Glaeubigern gerade keiner sonst an einen denkt.

Ich versuche mich in meiner eher seltenen und recht marginalen Rolle als Glaeubiger uebrigens zutiefst in fast christlicher Menschenliebe: egal, wer mir Geld schuldet/-e: ich laufe ihm nicht wie ein Feldherr mit einem Tross an Anwaelten hinterher, um meine miesen Muecken wiederzuerlangen. Geld ist wie das Glueck, Risiko und Chance in einem, es gehoert niemanden wirklich, es ist fluechtig und zum Weiterreichen ist es gemacht.

Ueberhaupt ist das Schuldner/Glaubigerverhaeltnis ein unseliges, gezwungenes und passt in keine intelligente Leichtigkeit des Seins, wenn man es immer noch unter archaischen Aspekten beschreibt. Jeder Glaeubiger empfindet einen irrationalen Schmerz, wenn er sein Geld nicht zurueckerhalt. Wenn man diesen Schmerz nicht stillen kann, weil der Schuldner sein Geld nicht zurueckfuehrt, fuehrt dieser nach innen gewendete Schmerz des Glaeubigers zu Reaktionen, die nach Rache und genugtuung schreien.
Beispiel antikes Rom: hier wurde man als Schuldner, konnte man seine Schulden nicht bedienen, zum Leibeigenen (wie noch bis in die fruehere europaeische Neuzeit hinein!) oder zum Sklaven.
Eine alternative Stipulationsklausel war die ''physische Satisfaktion'', in der sich der Glaubiger am nicht zahlungsfaehigem Schuldner ergehen konnte, indem er ihm mit gluehenden Zangen Fleisch vom Leib abzwackte, was an debilem Sadismus wohl kaum zu ueberbieten ist und dem Glaeubiger dubiose Befriedigung ganz anderer Art verschafft haben duerfte...

Das unselige Verhaeltnis zwischen Schuldnern und Glauebigern fasst Peter Sloterdijk in seinem ansonsten eher schwachen Werk ''Zorn und Zeit'' ganz gut zusammen:

''beide (Schuldner und Glaeubiger) sorgen dafuer, dass das Leben des Belasteten an einen in der Vergangenheit gebundenen Knoten gebunden bleibt. Gemeinsam stiften sie einen rueckwaertsgewandten Beziehungszwang, wodurch das Gewesene seine Vorherrschaft ueber das Kommende aufrechterhaelt.''

Will heißen: man sieht sich fast der Form einer saekularisierten negativen Ehe ohne Liebe ausgesetzt, wenn man das Schuldner/Glaeubigerverhaeltnis naeher betrachtet. Wenn man derart hohe Schulden abstottern muss, das man seinen Lebtag im Grunde nur noch freudlos fuer die Bedienung seiner Schulden arbeitet, dann liegt der Verdacht der Zinsknechtschaft (die im Mittelalter gang und gaebe war),auch in den heutigen Zeiten weiterhin sehr nahe.

Sloterdijk, um noch einen letzten kleinen Moment bei ihm zu verweilen, betrachtet einen Schuldenerlass uebrigens als durchaus zu erwaegende Form des Maezenatentums. Will heißen: der Glaeubiger verzichtet in großraeumiger Barmherzigkeit auf sein Recht, sich das Schuldnergeld beizutreiben und sieht sich lieber als Maezen, der so vielleicht im Idealfall noch einem Kuenstler zu großer Inspiration und befluegeltem Arbeiten verhilft:

''Diese Geste kann sich als ein Schuldenerlass und als Verzicht auf die gewaltsaem Eintreibung eines Darlehens vollziehen.''
Peter Sloterdijk, Zorn und Zeit (S.53)

Gewaltsam! ein Wort, ueber das hier unbedingt noch zu sprechen ist: wer geliehenes Geld mit Gewalt wieder eintreibt, beweist definitiv, dass er ''sein'' Geld nie aus Menschenliebe oder hoeheren Motiven an uns lieh. Dieser Glaeubiger hat von Anfang an gerechnet, mit uns gerechnet, uns ausgerechnet, uns berechnet, aber nie (um nochmal auf den ''Kredit'' zurueckzukommen): an uns GEGLAUBT!
Wir haben indes auch gerechnet und befunden: wir tragen keine Schuld.

Es ist an der Zeit fuer eine Aufforderung, die so naiv ist wie bedingungslos ernst gemeint und dringend auf unsere Zeit anzuwenden, in der wir in Schulden versinken:

liebe Glaeubiger, behaltet euer Geld in Zukunft. Das, was man euch schuldet allerdings, das schenkt nun ein fuer allemal den Schuldnern, statt sie bis zur Hetzjagd zu bedraengen. Wenn Geld nur noch zur Schuldenbedienung fließt, dann verliert es seinen Zweck und laesst Schuldnerindividuen UND die Gesellschaft erstarren.

Glauebiger, ihr muesst lernen: Geld ist nun einmal, das liegt in seiner Natur, leichtglaeubig...seid ihr es auch.

...naechstens dazu sicherlich mehr...






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Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy

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