Gift und Gulag

Putin-das ist Krieg! Vlad Putin in den Strafisolator nach Sibirien, Heizung aus! Путин – это война

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''Es ist so viel besser, sich in der Gnade zu irren als in der Strafe.’’

Fjodor Dostojewskij, ''Tagebuch eines Schriftstellers’’

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''Путин – это война’’-

''Putin-das ist Krieg!’’, Boris Nemzow (1959-2015), russischer Oppositioneller

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Der vermeldete Tod Alexei Nawalnys heute hat mich bis ins Mark erschüttert. Er traf mich mitten in meinem Arbeitstag und es gelang mir nicht gut, weiterzuarbeiten. Nicht, dass sein Tod allzu plötzlich oder allzu überraschend kommt, dafür kennen wir das Mörderregime eines Vlad Putin schon allzu gut. Aber es dann doch so zu lesen, trifft einen hart. An diesem Tag soll mein kleines Gedankentagebuch für die Wenigen dem und auch den Helden der russischen Freiheit gehören.

Zur Erinnerung: der russische Oppositionelle Nawalny, der im Jahr 2020 mit dem selbst heute noch recht schwer nachweisbarem und extrem starken Nervengift Nowitschok vergiftet worden war und fast im Sterben lag, wurde direkt danach nach Deutschland zur Behandlung in die Charité in Berlin geflogen und blieb dann zur weiteren Rekonvaleszenz bis Januar 2021 in Deutschland. Zu dieser Zeit wurde ihm in Moskau der Prozess gemacht und er flog nach Russland, um sich diesen Schauprozessen zu stellen. Irrwitziger Mut. Der Mut eines anderen, der einen selbst als Beobachter fast wütend werden lässt, weil man ihn für so leichtsinnig hält, bevor man begreift, dass aus dieser Wut die Angst des Feiglings am Schreibtisch spricht, der sich nicht vorstellen könnte, so etwas selbst zu tun. Wahnsinn!!

Jedenfalls wurde er nach einigen Schauprozessen wegen einer Unzahl ihm angehängter konstruierter Verbrechen, der Prozess gemacht und er zu einer surreal hohen Haftstrafe verurteilt. Zunächst trat er diese unweit von Moskau an, als die Schergen des Systems jedoch merkten, dass noch zu viel vitales Umgebungsinteresse an Nawalny herrscht, wurde er im Herbst vergangenen Jahres nach Art der zaristischen oder sowjetischer Unrechtsregime im Umgang mit ihren Oppositionellen nach Charp in Westsibirien verlegt, in die gefürchtete Strafkolonie Nr. 3, ''Polarwolf’’ (man beachte die zynische Offenheit, mit der hier die Brutalität der Maßnahme durch die Bezeichnung zugegeben wird). Allein die drakonische Note, die eine ohnehin schon völlig ungerechtfertigte Verurteilung auf Dekaden hin, noch durch eine solch abgeschmackte Grausamkeit bekommt, Menschen in Straflager zu stecken. Eine Schikane, die natürlich nicht nur für den Delinquenten gestrickt ist, sondern auch seine Familie und Angehörigen, seine Anwälte, Journalisten und Menschenrechtler treffen soll.

Plötzlich also ist im Jahr 2024 auch die gesamte russische Lagerliteratur wieder spannend, von Tschechows ''Die Insel Sachalin’’ über Dostojewskijs ''Aufzeichnungen aus einem Totenhause’’ hin zu meinem absoluten Lesebefehl der Lagerbücher des Sowjetdissidenten Alexander Solschenizyn, ''Der Archipel Gulag’’ (zu dem in einiger Zeit an diesem Orte hier noch ein eigener Eintrag aus aktuellem Anlass erfolgen wird). Übrigens verlebte ja auch Solschenizyn nicht bloß elend lange Jahre in Lagerhaltung, sondern wurde 1973 selbst Opfer eines KGB-Giftmordversuches, damals allerdings noch mit Rizin-Gift. Nowitschok wurde da gerade erst entwickelt.

Denn tatsächlich wurde das Gift vom Sowjet-Geheimdienst KGB in den frühen 1970ern von einem Chemiker, dessen Name an dieser Stelle keine Erwähnung und somit Ehre gebührt, entwickelt, um Oppositionelle oder Gegenspione unbemerkt auszuschalten. Dabei war die Vorgabe, dass das Gift nicht nur extrem effektiv, sondern zugleich völlig undetektierbar sein sollte, ein Gespenst. Mit den damaligen Mitteln war es tatsächlich nicht nachzuweisen. Heutzutage ist es etwas besser möglich, erfordert aber immer noch unheimlichen Aufwand und, naturgemäß, Vorsicht bei den untersuchenden Wissenschaftlern. Ein perfides Gift! Aber in langer russischer Tradition, denn schon die Ochrana, der Geheimdienst der Zaren, hatte Giftmorde seit eh und je in ihrem Repertoire. Da hat der KGB, bzw in den frühen Jahren der russischen Sowjetrevolution die Tscheka bis eben heute hin zu Putins FSB eine Tradition gewahrt, die so antimodern erscheint und doch ein Systemschlager ist. Der Gulag und das Gift.

Wer sich eine Vorstellung machen wollte, unter welchen Bedingungen sich zB Nawalny eingesperrt sah, konnte sich bis vor einiger Zeit in einigen Metropolen Europas, wie u.a. auch Berlins, ein Freiluft-Faksimile eines sog. ''Strafisolators’’ anschauen und für einige Minuten nachvollziehen, wie Isolations- und Dunkelhaft auf einen wirken. Exakt in einen solchen Strafisolator gehörte Vlad Putin gesteckt, der Kleptokrat und Schlächter, der schweinsäugige Oberlehrer russischer Propagandageschichte, in genau so einen Isolator. Am besten weit weg im Strafexil im tiefsten Osten Sibiriens, in ein Büßergewand gekleidet, vielleicht die abscheulich monotonen Routan-Inseln in der Nähe der kleinen Ödnisstadt Pewek, weit oben am Nordmeer. Aber wahrscheinlich wäre selbst das noch zu idyllisch. Aber in der Maßlosigkeit meiner rachsüchtigen Gedanken verstoße ich selbst gegen die Essenz des so klugen Dostojewskij-Zitates über diesem Eintrag. Aber meiner traurigen Wut ist heute nicht gut Einhalt zu gebieten.

Das Perfide an diesen Schauprozessen gegen die Systemopposition in Russland ist ja zugleich, dass der Tod der Betroffenen nicht nur (vielleicht einmal mit Ausnahme des Mordes am damals wichtigsten russischen Putin-Kritikers Boris Nemzow am 27.2.2015, der drei Stunden nach einem Live-Radiointerview, in welchem Putin explizit als Mörder und Verbrecher bezeichnet hatte, in Moskau auf der Großen Moskwa-Brücke quasi auf offener Straße erschossen wurde) durch Giftattacken an sie herantritt, sondern in ähnlichen Fällen auch ganz inkrementell erfolgen kann, dass man also etwas weniger stark vergiftete (oder eben wider Erwarten überlebende Oppositionelle) danach auf Dekaden hinaus wegsperrt in irgendwelche Lager, um dann jedoch einen inkrementellen Tod derer herbeizuführen. Natürlich überlässt der russische Geheimdienst da nichts dem Zufall und ein natürlicher Tod durch Folgeschäden einer Ursprungsvergiftung wird dann noch durch ''Maßnahmen’’ massiv beschleunigt. Etwas in dieser Art dürfte nun den Tod Nawalnys herbeigeführt haben. Und etwas in dieser Art dürfte bald, traurige Prophezeiung, einem weiteren unendlich mutigen Putin-Kritiker widerfahren, der exakt wie Nawalny seit Jahren Putin in öffentlichen Interviews, zB im amerikanischen Fernsehen, so deutlich kritisiert und ''offenlegt’’ wie kein zweiter. Ein Mann, der selbst bereits zweimal schwer vergiftet wurde, mit schweren Folgen für seine Gesundheit überlebt hat und ebenso wie Nawalny aus dem sicheren amerikanischen Exil heraus zur Terminstellung seiner Schauprozesse nach Russland zurückgekehrt ist, wohlwissend, dass er seine Frau nie wieder sehen wird. Diesen mutigen Mann kennen auch in Deutschland noch die wenigsten und ich möchte meine Leser schon allein aus Respekt vor und Solidarität mit den russischen Oppositionellen darum bitten, dieses Interview mit ihm von vor sechs Jahren unbedingt komplett zu schauen. Bitte keine Ausreden!

Apropos Interview. Vor dem Hintergrund der Ermordung Nawalnys nun erscheint das arschkriecherische Interview des ehemaligen Fox-News-Showhosts Tucker Carlson, welches dieser vor ca. 2 Wochen mit Putin geführt hatte, NOCH abscheulicher als es ohnehin schon war. Der russische Staatsdiktator bekam dort die einfachsten Softball-Fragen gestellt und spöttelte als Dankeschön sogar noch ziemlich offen über den willfährigen Schmeichelkasper Carlson. Dieser hatte natürlich der Trump-Base (also den Trump-Wählern, dem ja immer sog. MAGA-movement) einen Gefallen tun und ihre Putin-Liebe noch erweitern wollen. Auch vor diesem Hintergrund übrigens stelle man sich noch einmal vor, welche krassen Konsequenzen eine Wiederwahl des Putin-Fanboys Trump für die internationale Weltbühne hätte.

Was übrigens die Authentizität eines Interviews mit Putin durch konservative amerikanische Showhosts betrifft, hätte Carlson vielleicht besser zuvor das im Jahr 2018 auf Fox News ausgestrahlte Interview von dem irgendwie immer unbestechlichen Chris Wallace schauen können. Ein konservativer Showhost (der aber bereits vor drei Jahren seine Zusammenarbeit mit Fox News eingestellt hat, weil er mit der zunehmend radikaler werdenden Ausrichtung des Senders nicht mehr klar kam oder klar kommen wollte), der es tatsächlich wagte, Putin vor den Augen von knapp 80 Millionen amerikanischen Zuschauern folgende Frage zu stellen:

''Mr. Putin, why is it that so many of the people that oppose Vladimir Putin end up dead or close to it?’’

BOOM! Da bedarf es tatsächlich der legendären ''cojones de acero’’, einem russischen Präsidenten eine solche Frage ins Gesicht zu stellen. (Natürlich sei hinzugefügt, dass die wahren ''cojones de acero’’ natürlich Leute wie Nawalny und Kara-Mursa haben.)

…or close to it! Da ist dann auch wieder der inkrementelle Tod ins Spiel gebracht.

Wie geht es jetzt weiter? Als trauriger Ausblick vielleicht: Vladimir Kara-Mursa fristet sein Dasein zur Zeit an einem uns völlig unbekannten Ort, wie wir seit dem 29.1.2024 wissen. Davor war er noch im Straflager IK-6 im fernen sibirischen Omsk, in einem ganz ähnlichen Strafisolator wie Alexei Nawalny ihn ''bewohnte’’, inhaftiert. Aber wohin er auch deportiert worden sei: er ist ohnehin ein ''dead man walking’’, jemand, der seines inkrementellen Todes harrt, ein ''Toter auf Urlaub’’, wie sich einmal der russisch-deutsche sozialistische Revolutionär der Räterepublik, Eugen Leviné, im Jahr 1919 benannte, kurz bevor er von konservativen Kräften im Gefängnis Stadelheim im Zuge eines Gerichtsprozesses erschossen wurde.

Jedenfalls ist Kara-Mursa unter Putin ein solcher Toter auf Urlaub. Der Mut dieser Menschen. Ich möchte an dieser Stelle also aus Anlass als Schlusswort für diesen Nachruf auf Nawalny und andere russische Oppositionelle (von denen natürlich längst nicht alle namentlich aufgeführt wurden, die Liste ist leider lang) exakt das Schlusswort aufnehmen, welches besagter Vladimir Kara-Mursa im Schluss seines Schauprozesses Ende April 2023 den Richtern entgegenwarf, uns allen aber mehr zum Be-als Gedenken vermachte:

''Ich weiß, dass der Tag kommen wird, an dem die Dunkelheit über unserem Land wieder verschwunden sein wird. Wenn der Krieg in der Ukraine auch wirklich ''Krieg’’ und der Usurpator im Kreml ''Usurpator’’ genannt wird. Wenn die, die diesen Krieg entfacht haben, ''Verbrecher’’ genannt werden, anstatt dass man diejenigen so nennt, die versucht haben, ihn zu beenden. Und dann wird unser Volk die Augen öffnen und erschaudern beim Anblick der entsetzlichen Verbrechen, die seinem Namen verübt wurden.’’ (Übersetzung aus dem Englischen von mir)

…nächstens mehr…

…und gedenken Sie Alexei Nawalnys.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Paul Duroy

Der Weg in die neu aufgeklaerte und entspannte Gesellschaft ist moeglich und noetig

Paul Duroy

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