Kairo-Göttingen-Belgrad

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ich war heute beim Entwicklungspolitisches Bildungszentrum (EPIZ) in Göttigen, um über die Rolle der sozialen Medien im arabischen Frühling zu sprechen. Es war eine tolle Veranstaltung, und wie bei allen Veranstaltungen zu diesem Thema traf ich wieder Leute, die auch gerade unten waren. Es waren Aktivisten aus antirassistischen Initiativen, die mit einer internationalen Delegation Tunesien besucht hatten. Die Einschätzungen über Tunesien und Ägypten ähneln sich sehr: Übergangsregierungen, die von der revolutionären Aufbruch getrieben werden, stärkere Druck auf die neuen soziale Bewegungen, weiterhin Zuspitzung von ökonomischen Problemen und Destabilisierung. Die Parole von einer "2. Revolution" macht die Runde unter den Aktivisten.

Wir ware uns auch einig, dass "Facebook"-Revolution nicht der richtiger Terminus ist. Internet macht keine Revolution, es sind Menschen, die in gewissen entscheidenden Momenten das richtige tun. Sicher, Youtube ersetzte das Fernsehen, lieferte die Bilder und schaffte Empathie und kollektive Identität. Facebook hat mit "We are all Khales Said" eine Stimmung gegen die Polizeibrutalität konkreten Ausdruck verliehen, eine latente Dissidenz wurde verdichtet. Twitter war entscheidet bei vielen Verabredungen. Aber dies alles waren letztlich Werkzeug in der Hand von aktivistischen Netzwerken im Untergrund. In Kairo waren es vor dem Aufstand vor allem die pluralistische Gruppe "6. April", die linken von "Jugend für Freiheit und Gerechtigkeit", und die liberalen von "Jugend für Al Baradai". Sie hatten jeweils 2-300 Aktive vor dem Aufstand, aber dies war die kritische Masse, die die Vorbereitungen für den 25.1. getroffen hatte. Taktische Vorüberlegungen, welche Viertel, welche Strasse, welche Fluchtwege. Aber auch politische: "Wir fingen in einem Armen Stadtteil nahe Tahrir mit zwei Parolen an - Brot für alle, und 1200 Pfund (150 Euro) Mindestlohn", erzählte mir Salma von Jugend für Al Baradai.

Aktivisten von "6. April" waren im Herbst zuvor zu Besuch im Schulungszentrum von der Gruppe "Otpor" in Belgrad, die Bewegung, die die Diktatur von Milosevic zum Sturz brachte. Viele an Organisierungsformen und Taktiken für Straßenaktionen wurden von dort übernommen. Aktionstrainer haben hier Erfahrungen aus urbanen Mobilisierung verallgemeinert, auch Formen der Organisation. Sowohl bei Otpor als auch in den Kairoer Gruppen findet man eine Homologie in Form von Netzwerken, in denen autonomen Arbeitsgruppen mit einer zentralen koorinierenden und repräsentativen Struktur gekoppelt sind.

Eine ältere Aktivisten, die viel zwischen Tunis und Belgrad pendelt, erzählte mir, dass bei Otpor gerade viel Besuch sei: viel aus Asien, Leute aus China und Thailand. Na denn, lassen wir uns schulen, ich hoffe es gibt Billigflieger aus Madrid.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Pedram Shahyar

Blog aus den Metropolen des globalen Aufstandes

Pedram Shahyar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden