Der Unsichtbare: Wenn Habecks Heizungsgesetz einen in Existenzangst versetzt
Wut Mutmach-Sprüche wie Olaf Scholz’ „You’ll never walk alone“ machen Mattis Husmann wütend. Über einen, der droht, von dem Heizungsgesetz der Ampel an den Rand seiner Existenz gebracht zu werden. Und was das mit ihm macht
Mattis Husmann fragt sich: Wäre ein Tempolimit statt neuer Heizungsgesetze nicht effektiver?
Foto: picture alliance/Frank May
Das ist die Geschichte von Mattis Husmanns* Wut. Oder eher: Es ist die Geschichte, wie Mattis Husmann unsichtbar wurde. Und wie wütend das macht.
Husmann konnte es am Anfang selbst gar nicht glauben. Dass er einfach so, von einem Tag auf den anderen, unsichtbar geworden sein soll. Ist ja auch seltsam, wie man auf die Idee kommen kann, Husmann zu übersehen. Er ist groß, breit, er ist freundlich und kann gut reden, er arbeitet und zahlt seine Steuern.
Die Kurzfassung der Geschichte von Husmanns Wut geht so: 2020 war er ein Soloselbstständiger mit komfortablen Rücklagen und abbezahltem Haus. 2024 ist er ein Soloselbstständiger, dessen Rücklagen aufgezehrt sind, dessen Einnahmen sich halbiert haben und dessen Angst wächst, sein Haus auch noch zu verlieren.
Was ist passiert? Wenn man Husmann fragt: Robert Habecks Heizungsgesetz.
Husmann ist Ende 50, er lebt in Friesland, in Niedersachsen, an der Nordsee. Seine Stimme klingt durchs Telefon nach Zigaretten und schwarzem Rollkragenpullover, aber beides stellt sich als falsch heraus, wenn man ihn besucht. Husmann ist Nichtraucher und trägt eine Fleecejacke in Übergröße, wie man sie bei Aldi aus den Gitterkörben der Sonderangebote herausfischen kann, günstig und warm. Das Einfamilienhaus, in dem er wohnt, sieht in die Jahre gekommen aus, so, als sei schon länger nichts mehr dran gemacht worden.
Als Mattis Husmann vor fast einem Jahr von der geplanten Novelle des Gebäudeenergiegesetzes erfährt, weil ihr Entwurf im Februar 2023 an die Bild-Zeitung durchgestochen wird, fängt er an, sich kundig zu machen. Dort ist vorgesehen, dass ab 2024 nur noch solche Heizungen eingebaut werden dürfen, die 65 Prozent ihrer Wärme aus erneuerbarer Energie erzeugen, vorzugsweise mit einer Wärmepumpe. Husmann stockt der Atem. Er hat eine Ölheizung älteren Datums, ihm ist klar, dass er bald von dem Gesetz betroffen sein könnte.Er befragt insgesamt drei oder vier Energieexperten von verschiedenen Verbraucherzentralen, dann redet er mit zwei Heizungstechnikern und noch zwei örtlichen Heizungsbauern. Alle hätten ihm gesagt: Eine Wärmepumpe, das sei technisch gar nicht möglich. Oder anders: Ja, er könne wohl eine Wärmepumpe einbauen. Aber damit werde er sein Haus nicht warm kriegen, und richtig teuer würde es dann auch, weil die Wärmepumpe gar nicht effizient arbeiten könne.Gaspreisbremse? Nicht fürs ÖlDas liegt an der Bauweise seines Hauses. Es stammt aus den 1960ern, ist energetisch auf dem Stand der 1980er-Jahre, will heißen: insgesamt ziemlich schlecht isoliert. Mit einem teilrenovierten Dach zwar, aber wenn man in den Keller hinuntersteigt, dann steht da Husmanns Verhängnis: Eine Ölheizung aus dem Jahr 2001. Es ist ein Heizkessel Logobloc Typ L25 der Firma Brötje, hergestellt nach DIN 4702. Ordnungsgemäß gewartet, tut tapfer seinen Dienst. Bis jetzt.Wollte man hier eine funktionierende Wärmepumpe einbauen, so haben es ihm die verschiedenen Berater und Heizungsleute vorgerechnet, müsste er: Die Rohrleitungen des Heizungssystems im ganzen Haus auswechseln, die Wände dämmen, die Fenster austauschen, neue Heizkörper einbauen, am besten auch das Dach verbessern. Und dann die Wärmepumpe als Krönung. Eine Schätzung eines Heizungstechnikers hat über den Daumen gepeilt, dass für alles zusammen 150.000 Euro wohl kaum reichen würden.Hätte Husmann noch Rücklagen, wäre das möglicherweise eine sinnvolle Investition. Hat er aber nicht. Während Corona ist das Einkommen des Soloselbstständigen längere Zeit zu 100 Prozent weggebrochen. Coronahilfen bekam er nicht, weil er damals in einem Bundesland lebte, wo es nichts gab.Als sich nach dem Beginn des Ukrainekriegs seine Heizkosten vervielfachten, ging er wieder leer aus: Die von der Bundesregierung beschlossene Gaspreisbremse galt nicht für ihn, weil er eine Ölheizung hat. Und jetzt, so versteht es Husmann, will man ihn zwingen, eine Heizung einzubauen, für die er kein Geld mehr hat.Ein halbes Jahr ist die Hochphase der Heizungsdebatte nun zwar schon vorbei, und das Gesetz ist am 1. Januar vorerst in abgeschwächter Form im Kraft getreten. Die Pflicht zur nicht-fossilen Heizung gilt so lange nur für Neubauten in Neubaugebieten, bis eine kommunale Wärmeplanung erledigt wird. De facto hat Husmann also jetzt ein paar Jahre Aufschub. Oder: Noch ein paar Jahre Unsicherheit.Im Moment, sagt er, „esse ich und heize. Mehr ist nicht drin. Kein Urlaub. Keine neuen Klamotten.“ Restaurantbesuche schon gar nicht. Husmann nennt es einen „perfekten Sturm“.Nun ist Mattis Husmann aber jemand, der nicht nur sich selbst im Blick hat, sondern sich interessiert: für andere, für die Politik, die Gesellschaft. Was die Sache, man muss es so sagen, noch viel schlimmer macht. Je mehr Husmann sich informiert, desto wütender wird er, auf eine stille Art. Und je mehr er sich einliest, desto mehr zweifelt er. Neun Monate Heizungsdebatte: für ihn ein schleichender Prozess zunehmender politischer Vereinsamung.Je mehr er sich mit der Politik beschäftigt, desto verbitterter wird er: Wie kann es sein, dass die Regierung den Leuten derart enorme Kosten aufbürdet, wenn doch der Ertrag – klimapolitisch – so klein ist? Und wie kann es sein, dass man genau denjenigen derart hohe Kosten aufbürdet, die das gar nicht stemmen können?Was den Ertrag angeht, so hat Husmann nicht unrecht: Bis 2030 sollen durch das Heizungsgesetz nach Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums 39 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Wenn es gut läuft. Wenn es nicht so gut läuft, dann werden es wohl nur zehn Millionen Tonnen CO2. Das wären weniger als zwei Millionen Tonnen pro Jahr, weniger als 0,3 Prozent der CO2-Emissionen, die in Deutschland im Jahr 2023 emittiert wurden.Husmanns eigener ökologischer Fußabdruck ist – abgesehen von der Ölheizung – denkbar gering: Er hat kein Auto, ist überhaupt noch nie geflogen, sondern fährt Fahrrad und Zug. Wenn alles denn angeblich so furchtbar dringend ist, fragt Husmann: Warum macht man dann kein Tempolimit? Damit könnte man pro Jahr dreimal so viel CO2 einsparen, wie im ungünstigsten Fall mit dem Heizungsgesetz eingespart werden. 6,7 Millionen Tonnen pro Jahr, laut einer neuen Studie. Ohne dass es jemanden was koste. Ohne dass jemand ruiniert werden muss, so wie er.Jetzt redet Husmann sich langsam in leise Rage. Was ihn am meisten aufrege: Wie können alle sagen, „Geht doch!“, wenn das gar nicht stimmt? Wie können die Zeitungen voller Artikel darüber sein, dass in fast allen Bestandsimmobilien Wärmepumpen eingebaut werden können, wenn das nicht zutrifft, er selbst sei doch ein wandelndes Beispiel dafür? Aber nicht nur er, auch viele andere in seinem Dorf seien „Unsichtbare“.Am 2. Januar schrieb der Spiegel: „Wärmepumpen gelten als teuer und nur für Neubauten geeignet. Doch eine Studie zeigt: Die Heizungen in vielen Bestandsgebäuden ließen sich problemlos umrüsten, und in den meisten anderen Fällen reicht der Tausch von Heizkörpern.“ Liest man den Text, sieht man: „Viele Bestandsgebäude“, das sind 50 Prozent, „die meisten anderen“, das sind noch mal 40 Prozent. Wunderbar! Was im Umkehrschluss heißt: von den fast 20 Millionen Wohngebäuden, die es in Deutschland gibt, fallen zehn Prozent, also zwei Millionen raus. Was sollen die Besitzer dieser zwei Millionen Gebäude machen? Das erfahren sie in diesem Spiegel-Text leider nicht. Herr Husmann wohnt in einem dieser zwei Millionen Häuser.100.000 Euro WertverlustDasselbe gilt für die Besitzer von Ölheizungen: Als die Gaspreisbremse kam, fielen die Ölheizungsbesitzer irgendwie unter den Tisch. Kann schon mal passieren, die übergroße Mehrheit in Deutschland hat ja eine Gasheizung. Guckt man aber nach, dann gab es 2022 noch mehr als vier Millionen Ölheizungsbesitzer in Deutschland. Noch mal vier Millionen Unsichtbare.Was jetzt vielleicht ein ganz guter Moment ist, sich selbst an die eigene Nase zu fassen. Der Kontakt mit Mattis Husmann kam ja zustande, weil er in der Freitag-Redaktion anrief: Wir hätten geschrieben, es gebe wohl kein Gebäude, in das man nicht auch eine Wärmepumpe einbauen könne. Aber das stimme nicht, er könne das gerne erläutern, am Beispiel seiner eigenen Haut. Also: seines Hauses.Daher kommt also Mattis Husmanns Wut. Die wächst, wenn er Mutmach-Sprüche wie die von Olaf Scholz hört: „You’ll never walk alone“. Wenn wir uns unterhaken, sind wir stark. Mattis Husmann fühlt sich nicht untergehakt. Er fühlt sich so, als hätte die Ampel ihm ein Bein gestellt; nun liegt er am Boden, aber es interessiert sich niemand dafür.Man will ihn besänftigen: Es sind herausfordernde Zeiten, seien Sie zuversichtlich. Aber Husmann ist nicht zuversichtlich, er ist Ende 50 und hat die Gewissheit, dass er im Alter arm sein wird. Er hat die Rechnung, dass ein verkorkstes Gesetz ihm jetzt schon über 100.000 Euro Wertverlust seines Hauses beschert hat. Und dass es vielleicht sein endgültiger Ruin sein könnte, wenn es kein Umdenken gibt.Husmann sagt nicht: Was soll die Scheiße, verdammt noch mal!?! Er sagt: „Wir haben derzeit multiple Krisen, die Coronakrise, die Ukrainekrise, aber jetzt kommt zur Staatskrise noch eine Medienkrise hinzu.“Er spürt all die Krisen am eigenen Leib: als Einnahmeausfall während der Pandemie, als Energiepreisschock für Heizung und Inflation beim Essen und als Unsichtbarkeit für seine Anliegen. Husmann glaubte sich politisch aufgehoben und fand heraus, dass er den Krisen schutzlos ausgeliefert ist. Oder genauer: Der Politik der Ampel-Regierung.„Es ist diese Regierung, dieser Staat, die mich ausrauben und mich fertig machen“, sagt er. Vielleicht, ohne es zu merken. Aber das macht es ja nicht besser. Husmann sagt: „Ausrauben, das klingt vielleicht querulatorisch, aber für mich ist das so: Man nimmt mir alles weg, ohne dass ich Schuld dran hätte.“ Es gehe in der Sache nicht mehr um eine politische Meinungsverschiedenheit: „Sondern man bekommt das Gefühl, angegriffen zu werden“.Bei einem letzten Telefonat im Januar 2024 sagt Husmann noch, nach den jüngsten Haushaltsbeschlüssen der Ampel-Regierung gefragt: „Es wird immer schlimmer.“ Und: „Ich muss an den chinesischen Fluch denken: Ich wünsche dir interessante Zeiten! Ich finde meine Zeiten viel zu interessant.“Wie kann Mattis Husmann wieder sichtbar werden?Placeholder infobox-1
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