In der Griechenlandkrise hat sich zumindest eines gezeigt. In aller Klarheit trat zutage, was Kritiker der EU schon lange vorgeworfen hatten: dass der Neoliberalismus als Idee ihrer Herrschenden nach wie vor ihre herrschende Idee sei. Es nützte nichts, dass sich Wirtschaftsprofessoren auf ihren Blogs die Finger wund schrieben, wie grundfalsch und ökonomisch widersinnig all die Rezepte der EU und des IWF zur vorgeblichen „Rettung“ Griechenlands seien: Die EU fuhr am Ende mit der Austeritäts-Dampfwalze drüber, im Motor die deutsche Regierung, die dazu Bonmots über die schwäbische Hausfrau verlautbarte.
Genau gegen dieses Verhältnis hat sich nun ein Webportal gegründet, das der Kritik am Neoliberalismus als ideologischem Programm der EU eine Stimme geben will: „Brave New Europe“ heißt die noch etwas windschiefe Seite, die der in Berlin lebende Investigativreporter Mathew D. Rose auf die Beine gestellt hat. Eine europäische Plattform soll sie sein, durchgängig auf Englisch verfasst, weil Englisch nun mal die Lingua franca der EU sei, und „expertise with a radical face“ unter das europäische Volk bringen.
Vor 15 Monaten hat Rose das Projekt mit zwei anderen Mitstreitern angeschoben: dem britischen Journalisten Nick Shaxson, der vor allem zu Steueroasen publiziert hat, und David Shirreff, dem früheren Korrespondenten des Economist in Frankfurt. Als Ziel habe man sich gesteckt, mindestens 30 Autorinnen und Autoren zu gewinnen, vor allem aus dem akademischen Feld, die dem neoliberalen Dogma nicht nur Meinung, sondern kritische Wissenschaft entgegensetzen sollten.
Jene schienen auf die Einladung bloß gewartet zu haben, dass sie hier ein Sprachrohr bekommen sollten und eben nicht mehr darauf warten mussten, bis die Medien auf sie zukamen, um ihre Beiträge dann zu kurzen Soundbites zu verwursten. Man hat wohl offene Türen eingerannt, eine Ermutigung für Rose: Heute stehen 120 überwiegend männliche Autoren als Startmannschaft auf der Seite, von Heiner Flassbeck bis Mark Blyth, von Wolfgang Streeck bis zu der feministischen Ökonomin Diane Elson. Und Yanis Varoufakis darf dabei natürlich nicht fehlen.
Dabei ist die erklärte Zielsetzung die, dass Aktivistinnen und Aktivisten sich hier wie in einer Munitionskiste mit Argumenten versehen können, um die vorwiegend ökonomische Expertise für die politische Auseinandersetzung fruchtbar zu machen. Unter den ersten Beiträgen findet sich etwa eine datengespickte Analyse des DIW-Ökonomen Karl Brenke, der den Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit in der EU, den die Europäische Kommission als Erfolg reklamiert, als eben nur scheinbaren und bloß statistischen Effekt ausweist.
Dazu kommt ein Plädoyer für eine Reform der Zentralbanken, ein weiteres für eine Demokratisierung der EU-Institutionen. Manches ist genauso knochentrocken, wie man sich das vorstellt, wenn Akademiker nur leicht redigierte Abhandlungen verschicken. Nur: Es ist nun mal der Gegenstand, der eine derartige, ihm angemessene Auseinandersetzung verlangt. Das neoliberale Projekt perpetuiert sich ja stets von neuem in der Sprache der Ökonomen, der EU-Direktiven, den Argumenten der Policy Papers der Brüsseler Thinktanks. „Brave New Europe“ führt den Kampf auf ebendem Schauplatz, auf dem er auszutragen wäre.
Im Netz unter: braveneweurope.com
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