Stellte sich Mahmoud Abbas morgen einer Wahl, wäre er nicht mehr Präsident. Nicht wegen seiner Verharmlosung des Holocausts, sondern weil er als Kollaborateur mit Israel gilt
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Es ist eine mittelgroße Tragödie für die Palästinenserinnen und Palästinenser, dass Mahmoud Abbas als ihr Präsident amtiert. Eine mittelgroße: keine so schlimme Tragödie wie ein Massaker, aber schlimmer als, sagen wir, auf dem Weg zur Arbeit von israelischen Grenzpolizisten an einem Checkpoint herumgeschubst zu werden. Immerhin war schon lange vor dem 16. August offensichtlich, dass der 87-jährige Abbas kein fähiger oder würdiger Präsident ist. Sondern eben ein notorischer Relativierer der Schoa, ein Holocaust-Verharmloser, der sich auch immer wieder antisemitisch geäußert hat. Auch in Deutschland waren seine Ansichten bekannt, er hat sie ja in seiner Dissertation an der Moskauer Universität der Völkerfreundsch
schaft 1982 dargelegt und 1984 in einem Buch veröffentlicht, das den Titel trägt: „Die andere Seite: Die geheimen Beziehungen zwischen dem Nationalsozialismus und dem Zionismus“.Auch das gehört zur mittelgroßen Tragödie: Mit diesen seinen Ansichten ist Abbas wohl nicht repräsentativ für die Palästinenserinnen und Palästinenser. Und eins ist so gut wie sicher: Würde er sich morgen einer Wahl stellen, wäre er nicht länger Präsident. Nicht vordergründig wegen seiner verqueren Ansichten über die Historie, sondern weil er in seinem Amt so schwach agiert, dass viele Palästinenser ihn der Kollaboration mit der israelischen Regierung zeihen.Wer aber ist Mahmoud Abbas? Geboren wurde er am 1935 in Safad/Safed, einer Stadt in Galiläa, im Norden dessen, was damals das britische Völkerbundmandat Palästina war und heute Israel ist. Als Abbas 13 war, mussten er und seine Familie Galiläa verlassen und nach Damaskus fliehen. Gewiss hat er damals am eigenen Leib erfahren, wie umkämpft Geschichte sein kann: Was für die einen der Unabhängigkeitskrieg einer neuen Nation, in die sich Holocaust-Überlebende retten konnten, war für die anderen Vertreibung und Zerstörung einer ganzen Gesellschaft, erinnert als Nakba, als Katastrophe. Was er damals und später aber offenbar nicht lernte: dass Geschichte nicht beliebig deutbar ist. Dass es Ereignisse gibt, Verbrechen, die so groß und schrecklich sind, dass aus ihrer Verharmlosung nichts Gutes entstehen kann.In Syrien wuchs Abbas auf und studierte an der Universität Rechtswissenschaft, bevor er dann in Katar für das dortige Bildungsministerium arbeitete und sich mit anderen Palästinensern im Exil der Befreiungsbewegung Fatah anschloss. Abbas wurde ein Kader der Fatah und später der PLO, ein Funktionär des palästinensischen Widerstands. Kein Kämpfer, sondern ein Organisator, oft unterwegs auf diplomatischer Mission zwischen den Golfstaaten, Nahost und der Sowjetunion.Dort, in Moskau, verfasste Abbas auch seine bereits erwähnte Dissertation. Darin ging es ihm vor allem darum, das Pferd, das die Geschichte ist, von hinten aufzuzäumen. Denn wenn, so muss man Abbas verstehen, die Palästinenser ihre Heimat verloren, weil Juden aus Europa sich in Palästina einen Zufluchtsort aufbauten, und wenn diese das taten, weil sie im Holocaust vernichtet werden sollten, dann gilt es ebendiesen Holocaust kleinzureden, zu relativieren, dann gilt es, den Zionisten selbst die Mitschuld daran zu geben: weil so der Rechtfertigungsgrund für die Staatsgründung Israels angezweifelt werden kann. Die Zahl der ermordeten Juden? Die sei übertrieben, schreibt Abbas. Er leugnet nicht, er verharmlost. So stellte er sich ja auch am 16. August im Kanzleramt an: Auf die Frage, ob er sich für das Massaker an israelischen Athleten bei den Olympischen Spielen in München 1972 entschuldigen würde, sagte er: Wir Palästinenser haben noch viel mehr Massaker erlitten! 50 Massaker, 50 Holocausts.Es hilft nicht, dass Abbas mit seiner Geschichtsklitterei nicht allein ist: dass sich etwa Israels Ex-Premier Benjamin Netanjahu 2015 zu der Behauptung verstieg, eigentlich habe ja ein Palästinenser, Muhammed al-Husseini, der Mufti von Jerusalem, Hitler erst zum Holocaust animiert. Es hilft auch nicht, die Sache als Ausrutscher eines 87-Jährigen zu verkleinern. Dass Abbas so denkt, war bekannt. Es hatte nur lange niemand gestört.Womit wir beim nächsten Teil der mittelgroßen palästinensischen Tragödie wären: wie es dazu kam, dass ein Mann mit einem derart wackeligen Bezug zur geschichtlichen Wahrheit, obendrein ein Funktionär ohne Charisma, zum Präsidenten wurde. In das Amt gehievt haben Abbas die US-Regierung und die EU: Weil ihnen PLO-Präsident Jassir Arafat zu altersradikal und unnachgiebig war, drängten sie 2003 darauf, dass der als moderat geltende Abbas ein Gegengewicht abgeben sollte. Abbas wurde also Premier. Und dann, 2005, zum ersten und zum letzten Mal tatsächlich zum Präsidenten gewählt, nachdem Arafat starb. Seitdem amtiert er als Chef einer Autonomiebehörde, die in 18 Prozent des Westjordanlands allein das Sagen hat. 2009 war seine Amtszeit eigentlich zu Ende, aber Abbas blieb im Amt und tut es seitdem. Weil man sich außerstande sah, eine Wahl anzuberaumen, die er oder ein genehmer Nachfolger gewinnen könnte.Seit 2009 ist Abbas Präsident von Gnaden der USA, der israelischen Regierung und der EU. Seine Legitimität vor Ort aber nahm über die Zeit stark ab. Abbas gilt nicht nur als Erfüllungsgehilfe der israelischen Regierung. Er steht für viele auch für eine Entwicklung, dank der die Sprösslinge der zurückgekehrten PLO-Granden durch Geschäftemacherei und Vetternwirtschaft reich geworden sind, während die meisten Palästinenser keine Perspektive auf Besserung für sich sehen.Eigentlich besteht die wahre Tragödie um Mahmoud Abbas ja darin, dass sie keine Entwicklung und kein Ende findet: dass sie vor allem im fortwährenden Stillstand besteht.