Katja Diehl hat sich schon für eine Mobilitätswende engagiert, bevor das cool war. Oder: bevor die Klimakrise Druck in diese Richtung machte. Ihr Buch heißt Autokorrektur – und so meint sie das auch! Aber was ist eigentlich die „Mobilität für eine lebenswerte Welt“, von der Diehl spricht?
Katja Diehl: Allein dass Sie mich danach fragen, ist doch ein gutes Zeichen: Es wurde in Deutschland noch nie so viel über eine Bahnfahrkarte diskutiert wie über das 9-Euro-Ticket. Eher hat sich der Tankrabatt als das Strohfeuer herausgestellt, das er von Anfang an war.
r das 9-Euro-Ticket. Eher hat sich der Tankrabatt als das Strohfeuer herausgestellt, das er von Anfang an war.Was ist gut am 9-Euro-Ticket?Jahrelang hatten wir Rabatte fürs Autofahren, das künstlich verbilligt wurde, also finde ich es gut, dass es so was auch mal fürs Bahnfahren gibt. Dass man damit eine Flatrate hat, ein Ticket für alle Verkehrsverbünde, finde ich fantastisch. Weil ich aber jahrelang bei Verkehrsunternehmen gearbeitet habe, hätte ich das Ganze schon anders aufgezogen.Und zwar?Ich hätte die Verkehrsbetriebe, die das betrifft, von Anfang an mit einbezogen, damit sie davon nicht – wie jetzt – erst aus der Zeitung erfahren. Ich hätte mit ihnen darüber gesprochen, wo es ihnen an Material und Personal mangelt. Denn natürlich gibt es in den Sommerferienzeiten sowieso schon übervolle Züge. Ich hätte das Ticket über sechs Monate laufen lassen, für 18 Euro pro Monat, sodass wir auch den Herbst mitgenommen hätten. Denn der Sinn ist ja, das Pendeln mit der Bahn zu unterstützen – und nicht nur die Ferienreisen im Sommer. Und ich hätte es so gestaltet, dass die Laufzeit sich mit der des Tankrabatts nicht überlagert: So stehen beide Maßnahmen im Wettstreit – das ergibt wenig Sinn.Mich hat überrascht, welche Ängste das 9-Euro-Ticket auslöst: Bahnpendler fuhren wieder mit dem Auto, weil sie in den Zeitungen lesen konnten, dass am 1. Juni die Welt untergeht.Man darf nicht vergessen, dass die Bahn seit Jahrzehnten politisch gewollt kaputtgemacht worden ist. Wir haben nach der Wende mehr als 4.000 Kilometer Gleise stillgelegt, wir fahren zum Teil noch auf Stellwerken aus den 1950er Jahren. Aber wir sollten nicht über die Schlechtleistung der Bahn meckern, solange wir nicht auch die Verantwortlichen dafür benennen: Das sind all jene Politiker, die lieber Geld in Autobahnen statt in die Bahn stecken.Sie setzen sich als Autorin, Podcasterin und Aktivistin für eine Mobilitätswende ein: Was genau ist damit gemeint?Mein Ausgangspunkt ist, dass die Art, wie wir Mobilität derzeit organisieren, total ungerecht ist. Und nicht, wie wir immerzu hören, eine Art Garten Eden, aus dem wir jetzt des Klimas wegen vertrieben werden.Ungerecht, weil …?Der Status quo ist nicht nur schlecht für die, die kein Auto fahren. Sondern auch für die, die zwar selber Auto fahren, aber darunter leiden, dass sie ihren eigenen Lebensraum damit beeinträchtigen: dass das Auto ihnen Raum in der Stadt wegnimmt, dass sie auf gute Luft und Ruhe verzichten müssen. Und nicht nur das: Wir haben uns in ein System hineinmanövriert, in dem ein Zwang zum Auto besteht. Wir befördern und zementieren dieses System, diesen Zwang zum Auto, mit Subventionen wie dem Dienstwagenprivileg, dem Dieselprivileg, der Pendlerpauschale, aber auch durch die Art, wie wir Städte planen und wie wir unsere Arbeit und Freizeit organisieren.Worin soll dieser Zwang zum Auto bestehen?In vielen Gegenden in Deutschland können Sie mit dem 9-Euro-Ticket auch drei Monate lang stehen, da kommt trotzdem kein Bus. Also müssen Sie mit dem Auto fahren. Das ist ein Ergebnis von Politik. Ortskerne wurden verlassen, neue Siedlungen drum herumgebaut, aber ohne Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Ergebnis von Politik. Genauso, wenn Sie eine Behinderung haben oder im Rollstuhl sitzen: Dann können Sie nicht mit der Bahn fahren, wenn Sie sich nicht 14 Tage vorher anmelden, damit Personal für Sie bereitgestellt werden kann. Selbst in den neuesten ICE, der jetzt im Februar vorgestellt worden ist, kommt ein Mensch mit Rollstuhl nicht selbstständig rein. Das ist eine Beschränkung, die sich in einem Zwang zum Autofahren auswirkt. Und schließlich fährt jemand, der nicht der weißen Mehrheitsgesellschaft angehört, weniger Bus und Bahn, wenn er oder sie da Rassismus, Sexismus oder Transfeindlichkeit erlebt.Das Klima spielt in Ihren Argumenten keine große Rolle.Tatsächlich ist mein größter Antrieb, mich für eine andere Art der Mobilität einzusetzen, nicht die Klimakrise. Und ich hätte mir gewünscht, dass wir in Deutschland von alleine so weit kommen, ein gutes Mobilitätssystem für alle zu schaffen. Aber ohne Elon Musk und ohne die Klimakrise wären wir in der Diskussion nicht so weit, wie wir es jetzt endlich sind. Die Klimakrise bringt jetzt den Druck drauf.Placeholder infobox-1Was war denn Ihr Beweggrund?Tatsächlich ist mein Hauptantrieb die Ungerechtigkeit. Ich kenne Menschen, die im Rollstuhl sitzen; Menschen, die abgehängt im ländlichen Raum leben; Menschen, die sich kein Auto leisten können. Und ich kenne Menschen, die gerne mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren würden, aber es nicht tun, weil sie als Frauen oder BIPoC da nicht sicher sind. Mich macht das wütend, weil diese Ungerechtigkeit so glasklar ins Auge sticht: Für alle diese Menschen hat der Staat keine Lösung, er hat ihr Mobilitätsproblem einfach privatisiert.Aber wenn man auf dem Land wohnt, hat man halt oft wirklich keine Alternative zum Auto.Ja. Aber bei dieser Feststellung sollten wir nicht stehenbleiben! Ich war heute in einer Leipziger Schulklasse und habe mit SchülerInnen der 10. und 11. Klasse diskutiert, die haben auch nur auf die Probleme geguckt. Da kommt, wenn ich von Mobilitätswende rede, sofort der Einwand: Aber wenn man auf dem Land wohnt, wie soll das gehen?Was antworten Sie da?Ich habe gesagt: So wie ihr das schildert, bedeutet es, dass jemand ohne Führerschein nicht auf dem Land leben kann. Ist das etwa fair? Ist das gut so? Oder sollten wir das ändern? Guckt doch mal auf die Chancen, die eine Mobilitätswende bringt! Da meinte ein Junge: Aber das Auto ist doch für viele auch ein Hobby …Den jungen Leuten steckt die Autokultur schon in den Knochen.Das Freiheitsnarrativ, das um das Auto gestrickt wird, haben die schon komplett verinnerlicht. Das führt auch zu solchen Folgen wie der, dass die Mobilität – vor allem das Auto – bei den Diskussionen um die Entlastungen wegen der hohen Energiepreise einen sehr hohen Stellenwert eingenommen hat. Dabei haben Menschen, die in Armut leben, viel seltener ein Auto als andere. Und die Heizungs- und Stromkosten werden sie im Winter viel härter treffen, als es der Spritpreis derzeit tut.Läuft es in Deutschland auf eine reine „Antriebswende“ hinaus – also auf die Umstellung von Verbrenner- auf Elektromotor, um die hiesige Autoindustrie zu retten?Das Absurde daran ist, dass das Narrativ von Deutschland als dem Autoland halt auch einfach nicht stimmt: Hierzulande arbeiten eine halbe Million Menschen weniger in der Autoindustrie als in der Pflege. Aber die machen ja auch nur Menschen gesund!Wir sprachen vom E-Auto als „Tor zur Zukunft“ …Ja. Natürlich ist der Umstieg auf den Elektroantrieb alternativlos, aus Klimaschutzgründen. Aber eigentlich sollte es darum gehen, Alternativen zum Auto zu schaffen. Solche Alternativen müssen verfügbar sein, sicher, barrierearm, bezahlbar und klimagerecht. Wenn all das sichergestellt ist, denke ich, würden viele der Menschen umsteigen, die jetzt noch gegen ihren Willen im Auto sitzen.Manchmal klingt es so, als würden wir einfach Verbrenner durch E-Autos ersetzen, und alles andere bleibt, wie es ist.Ja, klar. Es droht eine Elektrifizierung der Autos, aber nach den gleichen Mustern und Gedankenstrukturen wie in der fossilen Ära. Das wäre keine Mobilitätswende. Wenn wir wirklich die Lebensqualität in unseren Städten verbessern und eine gerechtere Mobilität für alle schaffen wollen, brauchen wir erstens weniger Autos, zweitens mehr geteilte und drittens kleinere. Ich würde so weit gehen, zu sagen: Jedes Auto, das nicht gebaut wird, ist das beste Auto. Denn auch ein E-Auto verschlingt Ressourcen aus dem Globalen Süden, es produziert immer noch Feinstaub und Mikroabrieb, es nimmt uns den Platz weg, weil es den zum Parken und zum Fahren braucht, es ist immer noch eine ungesunde Art der Mobilität.Die Reichen rüsten um auf Teslas, während die Armen auf ihren Verbrennern sitzenbleiben, deren Betrieb immer teurer wird.Menschen in Armut werden immer als Ausrede dafür gebraucht, nichts zu verändern. Dabei ist es ja so: Derzeit ist Autofahren – genau wie Fliegen – so günstig, weil wir die tatsächlichen Kosten für Klima und Luft nicht einpreisen. Wenn man das tut, werden sich nicht mehr alle das Autofahren leisten können. Das ist aber erst dann nicht mehr unsozial, wenn wir Alternativen geschaffen haben, sodass jeder und jede problemlos umsteigen kann.So wie Sie das schildern, heißt Verkehrswende, am ganz großen Rad zu drehen.Ja! Eigentlich müssen wir, wenn wir über Mobilität reden, darüber sprechen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Wir brauchen ja nicht nur eine neue Bepreisung von Mobilität, sondern auch eine neue Idee von Gemeinwohl. Und wir müssen unsere Art und Weise, zu arbeiten, überdenken: Müssen wir wirklich die ganze Zeit pendeln? Und warum müssen wir 40 Stunden arbeiten? Was ist mit dem Grundeinkommen? Jeden Tag, den wir warten, wird der Transformationsdruck größer.