Gesucht: Jung, Mutig - Mockingjay

Kritik Kapitalismus in seiner besten Form. Wer von seiner Arbeit sicher leben möchte, der ist nicht erwünscht auf dieser Welt. Einen Mockingjay aber sucht man vergebens.

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Jeden Tag grüßt er uns, der Kapitalismus. Mal in Form eines EZB-Chefs oder in Gestalt vier großer Autobosse auf Zeit Online.

Pünktlich zur Mindeslohndebatte tauchen die sonst dezent im Hintergrund agierenden großen Chefs der Automobilindustrie auf, und erklären den Standort Deutschland für gescheitert, sollte der Mindeslohn kommen und Leiharbeit sowie Werksverträgen ein Riegel vorgeschoben werden. Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit stehe auf dem Spiel und somit hunderttausende Jobs.

Das Ganze mag für Ökonomen natürgemäß Sinn ergeben, heißt es doch immer, das Flexibilität und Produktivität in all ihren Facetten ein Garant für einen starken Wirtschaftstandort sind. Dabei scheint aber vergessen zu werden, dass die Wirtschaft für die Bevölkerung da ist und nicht die Bevölkerung für die Wirtschaft. Die Tendenz ist nur zu eindeutig, wird ein wager Blick auf die Millionen sozial abgehängten Menschen geworfen, die Tag ein, Tag aus versuchen, mit prekären Jobs über die Runden zu kommen.

Derweil bestimmt gerade die Autoindustrie sämtliche Gesetze mit, wie beim Ökolabel oder niedrigere CO2-Werte für Autos auf EU-Ebene. Die Autokonzerne verweisen auf die starken Absatzzahlen ihrer Autos, die nach Übersee verschifft werden und dort fleißig die Straßen verstopfen. Dass hier keine Konsequenzen für die Industrie zu fürchten sind, steht leider fest. Dabei trügt der Schein, der uns in Sprüchen wie "Deutschland geht es gut" suggeriert wird.

Deutschland sieht sich aktuell zu Recht in der Kritik, ein zu großes Handelsdefizit aufzuweisen. In deutschen konservativen Kreisen wird das gewohnt anders gesehen. Deutschland, als Wirtschaftslokomotive Europas, hat alles richtig gemacht. Europa soll sich Deutschland als Vorbild nehmen. Vom kranken Mann zur Leitfigur in Sachen Wirtschaft. Dabei muss wieder gefragt werden - wohin mit all den Produkten, wenn jedes Land in Europa ein solch großes Handelsdefizit aufweisen würde. Bedeutet: Wer soll all die Waren kaufen, die Europa dann exportiert? Das schaffen selbst die Amerikaner am "Black Friday" nicht.

Würde sich Deutschland der Kritik ernsthaft annehmen und das Defizit ausgleichen, müsste es zwangsläufig Lohnsteigerungen geben. Denn die Wirtschaft beruht aktuell auf einem großen und auch steigenden Niedriglohnsektor, der durch Leiharbeit und Werksverträge regelmäßig gefüttert wird. Sollte hier ein flächendeckender Mindestlohn von gerade einmal 8,50€ (!) Einzug finden, sehen hier vier große Wirtschaftsbosse schwarz. Und nun muss sich wieder gefragt werden - 8,50€ , 1.360€ brutto im Monat (40 Stunden Woche). Was kann sich ein Arbeitnehmer davon leisten?

Hinzu kommt wohl auch, dass es Menschen gibt, die aktuell unter dieser Marke von 8,50€ liegen. Sonst wäre diese Diskussion nicht zu führen. Es ist somit absurd zu denken, dass hier früher oder später ausgleichende Gerechtigkeit herrscht, müsst doch ein System überwunden werden, das aktuell wie eine Pyramide steht. Oben die Reichen, gefolgt von einer Mittelschicht, getragen von einer immer weiter wachsende Mehrheit an Arbeitern, die irgendwann zu den Leuten da oben zählen wollen. So, und nicht anders funktioniert Kapitalismus. Dass jeder, der hart arbeitet, es auch nach oben schaffen kann, ist ein gängiger Mythos, der jedes Jahr aufs Neue widerlegt wird. Belegen doch Studien die stetig steigende Kluft zwischen arm und reich. Irgendwo her müssen die Zinserträge schließlich kommen.

Aber eine stetig schwelende Angst geht unter Politikern um. Vier Jahre Regierungszeit ist nicht lang. Die nächste Wahl steht an und es gilt um jeden Preis Arbeitsplätze zu erhalten und somit Wählerstimmen. Ob diese Arbeitsplätze auch den Menschen oder sogar eine Familie ernähren können, sei dahin gestellt. In Frankreich sehen wir, was mit denen passiert, die eine Tendenz in Richtung Gerechtigkeit versuchen. Natürlich kann das nicht funktionieren, ist Frankreich nicht die Welt, sondern muss sich der Welt anpassen. Schlussendlich stocken sich die Steuerzahler hier in Deutschland via Kinder- oder Betreuungsgeld selber auf, damit die Wirtschaft funktioniert. Der einzige Spieler, der immer davon kommt, ist die Wirtschaft. Aber Hauptsache die Deutschen bleiben flexibel und produktiv. Doch bis jetzt hat noch keine Partei den Mut gehabt das System zu verändern. Denn aktuell werden die belohnt, die eine bestmögliche Strategie zur Ausbeutung des Menschen mitsamt seiner Umwelt schaffen.

Und dabei geht es nicht um den scheinbar ewigen Kampf zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Es geht um eine Weiterentwicklung des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die nicht im Kapitalismus enden darf. Kapitalismus hat ohne Zweifel einer großen Menge an Menschen Reichtum verschafft, doch dieser ist bis heute auf Kosten einer noch größeren Basis an Menschen und der Umwelt entstanden. Wir sollten also nicht überlegen, wie wir dauerhaft Wachstum generieren können, sondern den Status Quo halten und uns nachhaltig weiter entwickeln. Denn es steht mittlerweile außer Frage, dass Wohlstand nicht mehr am Bruttoinlandsprodukt gemessen werden kann, sondern andere Faktoren wie zum Beispiel Freizeit oder Ehrenamt mit steigendem Wohlstand eine größere Rolle spielen.

Dass steigender Wohlstand für eine breite Masse an Menschen aber die bedroht, die sich fest in ihrer kleinen und reichen Welt bewegen, steht ebenfalls außer Frage und hier ist das Problem. Die einen, wenigen, leben den Traum, die anderen träumen vom Leben. Nicht umsonst rennen die Leute massenhaft in die Kinos, um wenigstens im fiktiven Leben eine Chance haben zu wollen - mit Blick auf Catching Fire.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Jelinek

Europäer 🇪🇺 & Anhänger der Menschlichkeit. @Peter_Jelinek

Peter Jelinek

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