Kolumne #1: Keine faulen Kompromisse

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London hat sich von Kontinentaleuropa verabschiedet. Der Rest stemmt sich gegen den Schuldenberg. Auch wir Bürger müssen anpacken – und mit einer Lüge aufräumen.

Aus meiner ersten Sonntagskolumne von www.peterknobloch.net

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Was macht eine gute Kolumne aus? Gute Frage. Viele Kolumnen haben ein bestimmtes Thema oder ein Motto. Ich entschied mich, den Zufall für mich bestimmen zu lassen und wartete auf ein gutes Zitat. Dann fand ausgerechnet Kanzlerin Merkel die passenden Worte auf dem Brüsseler Euro-Gipfel in dieser Woche: „Keine faulen Kompromisse!“

Vom Scheitern des Gipfels sprachen manche Kommentatoren am Freitagmorgen. Dabei sperrte sich nur ein Partner in der EU gänzlich gegen den von Merkel und Sarkozy verordneten Sparkurs: Großbritannien. Dass die Briten den deutschen Stabilitätskriterien nicht zustimmen würden, war zu erwarten. Das forderte neben der britischen Tradition des ständigen Out-optens vor allem die Londoner Finanzbranche. In dieser Hinsicht ist David Cameron konsequent geblieben. Löblich war auch die Konsequenz der 17 Euroländer und sechs weiterer EU-Mitglieder. In der entscheidenden Phase wiesen sie den britischen Premier in die Schranken. Anders als sonst, ließen sie es nicht zu, dass sich das Königreich noch einmal ein Hintertürchen offen lässt. Das war wichtig und richtig – auch wenn es einen Bruch bedeutet.

Zu Camerons „Nay“ fand der britische Ex-Außenminister David Miliband einen Kommentar, der den Nagel auf den Kopf traf. „Das Vereinigte Königreich ist mit Ungarn in ein Ruderboot neben dem 25-Nationen-Supertanker gesprungen.“Das sei „Schwäche, nicht Stärke“, twitterte der Labour-Politiker über den Premier aus dem Lager der Konservativen.

Am Freitagmorgen hieß es noch, Ungarn würde das Paket ebenfalls ablehnen. Im späteren Verlauf wurde das jedoch dementiert. Wie die Regierungen von Tschechien und Schweden müsse man sich noch das Okay aus dem heimischen Parlamente holen. Dabei wäre ein ungarisches Nein, "Nem", ebenfalls konsequent gewesen. Denn häufig spielt der ungarische Premier Viktor Orbán mit antieuropäischem Populismus. Zum ungarischen Nationalfeuertag am 15. März polterte Orbán: „Treu zu unserm Schwur haben wir es 1848 nicht geduldet, daß uns aus Wien diktiert wird. 1956 und 1990 haben wir nicht geduldet, daß uns aus Moskau diktiert wird. Wir lassen es auch jetzt nicht zu, daß uns aus Brüssel oder von sonst irgendwoher diktiert wird.“ Ganz davon abgesehen, wird die ungarische Neuverschuldung mit nahezu sicherer Gewissheit die Drei-Prozentmarke im kommenden Jahr wieder knacken. Sanktionen aus Brüssel sind damit vorprogrammiert.

Nun wurde in den vergangenen Tagen viel über das Europa der zwei Geschwindigkeiten geredet. Manche sprechen schon über Großbritanniens Abspaltung von Kerneuropa. Kontinentaleuropa muss (und will) weitergehen, mit oder ohne die Briten. So viel ist sicher. In den Medien hat Camerons endgültiges Opt Out vor allem eines bewirkt: Es hat die Diskussion der europäischen Journalisten auf die Metaebene gehoben. Viele sehen im europäischen Schicksal der Krisenerfahrung schon den Segen einer identitätsstiftenden Kollektiverfahrung, an der es für eine echte politische Union der Staaten Europas bisher mangelte. Durch das gemeinsam geteilte Leid können mit der Hoffnung auf ein Happyend für alle alte nationale Egoismen leichter über Bord geworfen werden – und dem 25-Nationen-Supertanker Europa so eine Seele geben.

Doch die Krise auf den Anleihenmärkten geht weiter – ganz gleich, ob die Feuilletonisten nun damit beginnen, in Euromantik zu schwelgen. Pünktlich vor dem Gipfel drohte die amerikanische Ratingagentur Standard & Poor’s Europa mit der kollektiven Herabstufung. Angela Merkel reagierte gelassen. „Das ist nur eine Meinung von vielen“, sagte EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier.

FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle hatte den Eindruck „dass amerikanische Ratingagenturen und Fondsmanager gegen die Euro-Zone arbeiten.“ Diesen Standpunkt vertraten auch viele Kommentatoren in der Presse. Amerika attackiere den Euro, um von den eigenen Haushaltsproblemen abzulenken und den schwächelnden Dollar wieder global zu etablieren. Der amerikanische Schuldenberg ist schon ein Thema für sich.

Andere sehen in den Ratings längst ein Spätwarnsystem. Dass Europa im kommenden Jahr eine Rezession drohe, sei klar. Auch ohne die Urteile von Agenturen wie S&P werde das Vertrauen der Anleger in europäische Staatspapiere weiter schwinden und damit auch die Zinsen steigen.

Richtig ist beides! Es stimmt, die amerikanischen Analysten bewerten die Lage in Europa gewiss nicht völlig objektiv. Ihre Auftrag- und Geldgeber sind in aller Regel amerikanische Unternehmen. Und die USA kommen bei den Ratings durch die Agenturen angesichts ihrer erschreckend hohen Staatsschulden viel zu gut weg.

Wahr ist aber auch: Die Agenturen zeigen nur auf, was längst alle wissen. Europa ist überschuldet. Radikale Sparmaßnahmen scheinen für Länder wie Griechenland, Spanien, Portugal und Italien der letzte Ausweg zu sein. Mit Wirtschaftswachstum wird ihre finanzpolitische Askese aber nicht belohnt. Im Gegenteil, sie treibt die Südländer weiter in die schirr unabwendbare Rezession. Ein tödlicher Cocktail: Tausende verlieren ihre Arbeit, verunsicherte Investoren bleiben weg, es werden neue Kredite aufgenommen, deren Zinslast droht, die ohnehin schwächelnden Schuldner zu erdrücken.

Natürlich. Es ist ein moralisches Unding, wenn auf die Pleite ganzer Staaten und damit das Elend von Millionen von Menschen spekuliert wird. Ganz abgesehen davon, dass es keinen wirtschaftlichen Mehrwert erzeugt. Ohne die Spekulanten von ihrer moralischen Verantwortung entlassen zu wollen, muss man aber gestehen: Sie können nur gegen den Euro zocken, weil wir uns so maßlos verschuldet haben.

Wir? Ja, wir Bürger tragen eine Teilschuld! In diesen Tagen ist populär, Politiker und Banker zu kritisieren. Und ja, es zeugt von einem fragwürdigen Demokratieverständnis, wenn Politiker nur danach zu eifern scheinen, wie sie das Vertrauen der Märkte zurückgewinnen können, während sie das Vertrauen ihrer eigenen Bürger längst verloren haben. Man könnte sagen, die Politik ist Volksverdrossen.

Tatsache ist aber auch, wir Bürger haben den Schuldenberg mit angehäuft. Wir sind der Staat. Wir sind es, die an der Wahlurne die Verantwortung tragen, verantwortungsbewusste Volksvertreter zu wählen. Zu oft haben sich die Europäer von ihren Politikern verführen lassen. Sie ließen sich mit Geschenken auf Pump von Parteien aller Couleur kaufen. Ein gutes Beispiel ist nicht nur Griechenland, wo Wahlgeschenke auf Kredit fast eine historische Tradition besitzen.

Wir Deutschen sind keinen Deut besser. Wagen wir einen Blick ins Jahr 2009: Wir waren es, die Union und FDP in die Regierung gewählt haben. Die meisten von uns taten das nicht obwohl, sondern gerade weil Schwarz-Gelb Steuersenkungen versprach – mitten im Sturm der Finanzkrise. Bei einer Staatsverschuldung, die sich auch damals um die 80 Prozent eines Bruttoinlandsproduktes bewegte, muss das Naivometer ultraviolett aufgeleuchtet haben. Schade, dass wir mit dem menschlichen Auge ultraviolettes Licht nicht wahrnehmen können.

Sie werden hart, die Sparmaßnahmen, die auch die Bundesrepublik wird anpacken müssen – besser früher als später. Sie sind jedoch der Preis, den wir Wähler dafür zahlen, dass wir uns mit Fresspaketen haben korrumpieren lassen. Es gibt nur einen Weg aus der Schuldenfalle: Wir müssen lernen zu verzichten – auch mit Blick auf die Umwelt und schwindende Ressourcen. (Unser ökologisch verschwenderisches Verhalten unterscheidet sich in nichts zu dem, wie wir mit unseren Staatschulden umgehen.)

Wie man den Weg bestreitet, ist Geschmackssache. Die einfachste Methode ist die der amerikanischen Teapartybewegung: Lass uns den Staat so lange verschlanken, bis wir ihn auch ganz abschaffen können – und mit ihm alle Schulden. Das bedeutet Anarchie, Rechtlosigkeit und Raubtierkapitalismus nach dem Prinzip: Survivals of the fittest.

Uns Deutsche, so sagt eine neue OECD-Studie, schlägt soziale Ungleichheit stärker aufs Gemüt als zum Beispiel Amerikanern. Und dass die Ungleichheit in der Bundesrepublik gewachsen ist, ist ebenfalls eine Erkenntnis der Studie. Wollen wir weiterhin einen Sozialstaat haben, der das Wohl seiner Bürger zu einem Mindestmaß schützt, dann werden wir nicht darum herumkommen, die Steuern zu erhöhen – nicht um neue Sozialleistungen zu schaffen, sondern alte Schulden zu begleichen. Die Kanzlerin hat ausnahmsweise einmal Recht. Die europäische Schuldenbremse muss her. Und es darf keine faulen Kompromisse mehr geben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Knobloch

Seit September arbeite ich als ifa-Redakteur bei Radio Neumarkt in siebenbürgischen Neumarkt, Târgu Mureș

Peter Knobloch

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