Es ist Samstag, ich will mir etwas gönnen. Am besten Ruhe und Natur: Ein Blick auf Googlemaps, ins Auto gesetzt und los zum Calimani Nationalpark am nördlichen Fuß der Ostkarpaten (Für meine Ungarn: Kelemen havasok). Mein Ziel ist das Örtchen Lunca Bradului, was so viel heißt wie die Wiese der Tannen. Der Name ist Programm.
Nach den ersten Kilometern habe ich meine Furcht vorm heimischen Braunbären überwunden – oder besser gesagt verdrängt. ‚Wenn sterben, dann in diesem Idyll‘, ein bisschen Fatalismus ist mein Rezept gegen die Ohnmacht vor Mutter Natur. Ich fülle meine Lungenflügel mit dem Duft von Tannenharz. Um mich herum, Stille. Nein. Da ist ein Berg-Bach, der mir entlang meines Weges entgegenrauscht. Ab und zu ein Rascheln, wenn sich trocken-braune Blätter von den wenigen Laubbäumen lösen und auf sanft auf die Erde rieseln. Hin und wieder krächzt ein Rabe, oben in den Wipfeln. Und: mein Magen knurrt.
Ich spüre, den Kies unter meinen Füßen knirschen, die Kälte in meine Ohrläppchen beißen, das Blut vom schnellen Schritt durch meine Beine pumpen. Der Duft des Waldes entfaltet sich breit wie eine Farbpalette in allen Nuancen.
Aber was ist das? Es duftet – irgendwie undefinierbar – nach Essen. Vielleicht eine Pilz-Soße: Pfifferlinge. Frische Pfifferling, selbst gesammelt, wie es damals mit meinem Großvater. Direkt aus dem Wald in die Pfanne. Braten, salzen, genießen. Nein, verschlingen! Meine Phantasie geht mit mir durch. Oder Forelle, langsam im Backofen gegart, mit Knoblauch, Petersilie und ordentlich Zitrone. Dazu Pellkartoffeln, leicht angebraten, mit Butter darüber zerlassen, dazu Böhnchen, im perfekten Verhältnis zwischen weich und knackig, dazwischen hauchdünne Karottenstreifen, gut gepfeffert, dazu Bohnenkraut und eine zarte Prise Zucker darüber.
Es ist mein erster Fasten-Tag – schon beginne ich zu halluzinieren. Und was heißt schon Fasten, immerhin habe ich eine bereits zwei Äpfel und eine Fläschchen Buttermilch zu mir genommen. Ja. Und eine Hand voll Erdnüsse. Konnte ich ahnen, dass die Tüte noch offen im Auto liegt? Aber wozu fasten, wenn’s so schwer ist?
Nun, hinter mir lag ein erfüllendes Mitarbeitertreffen: deftiges Essen, viel Hirnarbeit und lange, freut-fröhlich verrauchte Nächte in Don Titi‘s Hermannstädter Kellerkneipen. Für den Don wäre eine Sperrstunde Gotteslästerung. Und so griff er persönlich gerne zur Opfergabe an Bacchus und schenkte reichlich hausgemachte Tuica ein…
Nach der ganzen Völlerei war das die perfekte Gelegenheit für Heilfasten. Die Idee schwirrte mir seit langem durch den Kopf. Spätestens seitdem ich erlebte, wie mein lieber Qi-Gong-Trainer Jan während seiner drei-Wochen Fasten fit wie ein Turnschuh war (keine Angst: so viel mute ich mir nicht zu).
Zum Teil geht es mir ähnlich. Ich fühle mich frisch, entspannt und agil. Und meine Haut fühlt sich geschmeidig an. Verdammt geschmeidig. Brrrr. Ich fließe so durch den Tag. Na gut. Ab und an kommt eine kleine Müdigkeit auf, aber die ist schnell überwunden. Zumindest schneller, als wenn ich sonst mal einen Durchhänger habe. Zwischendurch erschrecke ich, weil ich bei einem sonst banalen Einfall vor Begeisterung jauchze. Außerdem kann ich länger arbeiten. (Anders wäre dieser Text auch wohl nicht drin).
Also alles tipptopp: Wäre da nicht dieser ständig aufkommende Appetit. Oder ist es Hunger. Okay. Ich muss dazu sagen, das Thema Abführen habe ich ziemlich weiträumig umschifft. Das soll man gegen den Hunger tun. Und zur Darmreinigung versteht sich. Von Glaubersalz wurde mir abgeraten. Das sei aggressiv. Außerdem wüsste ich nicht, wie ich das in der Apotheke auf Rumänisch verlangen sollte. Natriumsulfat trifft es eben nicht ganz. Und wie das Dekahydrat davon auf rumänisch heißt: nu stiu?!? Ich könnte mit der Formel kommen: Na2SO4•10H2O. Oder einem anderen Tipp folgen: Einlauf. Soll am sanftesten sein.
Also ich hätte kein Problem damit, das zu machen. (Ich war Zivi). Nur stelle ich mir die Situation in der Apotheke vor. Ich versuche mit Händen und Füßen zu erklären, dass ich mir ein Röhrchen in den Allerwertesten schieben will … und so weiter. Die Apothekerin könnte ein Bild von mir im Kopf haben, von dem ich definitiv nicht will, dass sie es in ihrem Kopf hat. Echt prüde, ich weiß. Vor allem paradox, da ich Dir lieber Leser, dieses Bild jetzt aufgezwungen habe. Wie geschmacklos!
Mal von alle dem abgesehen: ich habe ein Problem mit diesen rumänischen 24-Stundenapotheken. Mir scheint, im Zentrum von Neumarkt geht man keine zehn Schritte von der einen bis zur nächsten. Und die Leute gehen da wirklich hin. Nachts! Erschreckend, wie krank oder abhängig die von diesem Service sein müssen. Huxleys Soma lässt grüßen.
Jedenfalls probiere ich es mit Buttermilch. In den ersten Tagen auch mit Äpfeln. Die sollen wie die Buttermilch nicht nur abführend wirken, sondern auch reinigen und entgiften. Perfekt. Nur funktioniert das noch nicht ganz, auch mit Qi-Gong nur schwerlich.
Wie auch immer: ich glaube, Hunger ist gar nicht mein Problem. Es ist viel mehr der Ritus, die Gewohnheit des Essens. Der in den Alltag einprogrammierte Genuss. Das Sich-Verwöhnen, die Stimulation des Limbischen Systems im Gehirn, zuständig für Gefühle und Triebe, der Teil, der die gewaltige Mehrheit unserer Entscheidungen trifft, wie die Hirnforschung sagt. Das weiß ich jetzt seit einem Seminar beim Mitarbeitertreffen. Danke Tobias.
Egal wie agil ich mich auch fühle, mein Limbisches System japst nach Betüddelung. Und was mache ich Idiot: Ich greife zur Zigarette. Kein Kaffee, kein Kohlenhydrate, nix. Tee, Wasser, Buttermilch, Apfelsaftschorle, ab und an ein Apfel, auf der Arbeit auch mal ein Kakao. Und abends die verdammte Kippe im Maul. 100 Prozent Gift! (Falls ihr mitlest liebe Eltern: bitte einmal kräftig den Kopf schütteln!) Davor habe ich locker eine Woche ohne Fluppe ausgehalten.
Auf dem Pfad der Askese hat mir mein limbisches System einen Streich gespielt und mich aus der Bahn geworfen. Was soll’s, ich faste ja, damit es mir gut geht. Falscher Ehrgeiz ist genauso giftig wie Nikotin – glaube ich, *hust*.
Am meisten freue ich mich ohnehin aufs Fastenbrechen. Die kulinarische Wunschliste wird mit jedem Tag umfangreicher. Allein der Gedanke an Pellkartoffeln mit Blattspinat – wie (scheiss-)banal! – macht mich wahnsinnig. Für Rumpsteak könnte ich jetzt töten. Ich habe mich selbst bei manch gierigem Blick auf der Straße ertappt. Zum Glück lebe ich nicht mehr in Berlin, wo aus jeder Ecke die Versuchung quillt und ihre Reizstoffe direkt ins Limbische System pumpt: Mustafas Gemüsekebab. Obwohl. Auch der ist mir in den vergangen Tagen schon über den Gaumen gespukt. Brutzeln mit den Atzen: Crevetten in Knoblauch-Soße. Stopp, sonst drehe ich durch. Glaub mir lieber Leser, ich leide Qualen bei diesen Zeilen. Selbst wenn ich morgen den ganzen Quatsch abbrechen sollte, weiß ich jetzt immerhin: Fasten regt die Phantasie an.
Und welchen Käse isst der Yogi? As-Kese, gibt's überall und kostet nix!
SCHÖN WIE DER MOND
Um ganz ehrlich zu sein, hatte ich bei der Wanderung die ganze Zeit einen Ohrwurm von Connie Francis - Shein vi di Levone. Aber das hätte nicht ins Bild gepasst ... ich musste diesen Ohrwurm sogar verdrängen:hiermit und hiermit
Kommentare 8
Wenn Sie noch ein paar Tagen durchhalten, geraten sie in einen "erleuchteten" Zustand. Sas Hungergefühl ist weg, schreiben Asketen.
Schöner Text. am
Die Überschrift ist auf jeden Fall schon mal gut. Ich hol mir erfstmal ein Steak!
Danke. Gestern war's schon besser. Hatte eigentlich gar keinen Hunger. Nur habe ich deutlich meinen Magen gespührt als ich abends im Bett lag. Er wirkte klein und hart wie ein Stein, schmerzen tut er aber nicht ...
Das Gefühl kenne ich: Bilder und Düfte von schmackhaften Gerichten und Lebensmitteln dehnen sich vor einem aus und man kann nicht eher aufhören, als bis die letzten Nüsse oder Salzstangen im Schrank weggeknabbert sind.
Aber nach den ersten zwei Tagen wird das besser, vor allem wenn der Darm leer ist, daher wird manchmal empfohlen, Buttermilch oder Sauerkrautsaft zu trinken. Ist gewöhnungsbedürftig, aber nach ein paar Tagen verspürt man weniger Lust auf üppige Lebensmittel und weiß eine gekochte Kartoffel mit Quark wieder zu schätzen... Länger als eine Woche schaffe ich es allerdings nicht, denn man wird doch irgendwie wieder in seine Alltagsgewohnheiten hineingezogen, wenn man nicht gerade als Eremit im Wald wohnt. Beneidenswert.
Auf jeden Fall weiter viel Erfolg!
Es ist deshalb so schwierig zu verzichten, weil schon in dem Begriff "Verzichten" eine Absicht steckt und dadurch wiederum eine Kausalität erschafft an deren Anfang zugleich das Ende vorausschaubar ist.
So erkannte jemand vor 3000 Jahren, Tun im Nichtun, führt dich zum Heil. Also entsage der Entsagung und handle ohne Wunschziel.
Wu-Wei ist mir bekannt, das umsetzen bzw. nichtumsetzen ist nicht so leicht ...
Jetzt habe ich blöder Weise gelesen, dass man 10 Tage minumum durchziehen sollte, weil es sonst Vergiftungseffekte geben kann.
"Laut ÄGHE sollte das therapeutische Heilfasten nicht weniger als zehn Tage dauern und am besten betreut sein. Wenn Patienten schon nach dem fünften oder sechsten Tag abbrechen, kann es zu Störungen im Verdauungstrakt kommen."
"Die Phase ohne feste Nahrung sollte mindestens zehn Tage dauern, um gefährliche Rückvergiftungen zu vermeiden. Die Entgiftungstendenzen beginnen etwa mit dem vierten Fastentag. Ab dem siebten Tag scheidet der Körper große Mengen Gift (z. B. eingelagerte Schwermetalle) aus. Nach dem zehnten Tag darf der Fastende wieder mit dem Aufbau beginnen."
Könnt ihr das bestätigen? Wie ich ja geschrieben habe, bin ich ohnehin nicht so überstreng. Rauche leider wie gesagt (2-3 pro Tag), habe gestern auch eine Tütensuppe gegessen mit dünner Nudeleinlage (ich weiß völlig bescheuert), heute habe ich mal wirklich gar nix gegessen, dafür zwei Becher Kakao, dazu noch ausm Automaten, getrunken ... ohnehin gönne ich mir jeden Tag ein fläschchen Lapte Batut, ist in etwa wie Buttermilch, oder Kefir. Bin seit Samstag dabei und würde gerne ab Sonntag wieder aufbauen. Keine gute Idee? Bin etwas verunsichert, wie unschwer zu lesen ist.
Zu Wu-Wei: Wenn ich jetzt aufhören würde zu wollen, würde ich sofort wieder essen, vermutlich ziemlich ungehemmt. Irgendwie läufts momentan nicht besonders. Auch wenn ich keinen Hunger habe, bin ich muffelig.
Ich glaub ich sollte mal den Rechner ausmachen und mir ne Runde Qi Gong gönnen ....
Gehen Sie mal davon aus, dass das “wollen“ also, ich will, eine Willenserklärung ist und dass in ihrem Unterbewusstsein eine Vielzahl von ersehnen abgespeichert ist und dass das jetzige Wunschziel, sich mit allen in Ihnen vorhandenen Willensentscheidungen und ebensolche Absichtserklärungen abgeglichen wird und so eine Kausale Kette in Bewegung setzt, die mit denen, in der Vergangenheit gesammelten Erfahrungen übereinstimmt. Sodann kennen Sie auch schon das Ergebnis des Fastens. Würden Sie, das Wollen und das Wunschziel Aufgeben und überhaupt sich einfach nur lassen, - wie es ein bekannter Mystiker in einer Rede ausdrückt, dann findet das Unbewusste kein übereinstimmendes gespeichertes Abbild und dementsprechend geschieht etwas neues ,unvorhergesehenes. Viel Spaß.
"Was wir uns da einreden: Wir müssten diese Dinge fliehen und jene suchen, diese Menschen, diese Dinge, diese Richtung, diese Beschäftigung –
nein, - nicht die Lage oder die Dinge hindern dich, zur rechter (Meditation) Abgeschiedenheit zu gelangen, sondern du bist es in den Dingen selber, was dich hindert:
Deine Einstellung zu den Dingen ist verkehrt. Bei Dir also setzte den Hebel an und lerne, "Dich zu lassen!"
Denn wahrlich:
Lässest du dich nicht zuerst, so findest du überall nur Behinderung und Unfrieden.
Frieden suchen in äußeren Dingen – an bestimmten Orten, auf irgendwelche Weise, durch Menschen oder Werke, durch Einsiedlertum, Armut, Fasten und Selbsterniedrigung, wie fromm es auch aussehen möge -, das ist alles nichts und gibt keinen Frieden."
Wen es interessiert: Ich habe gerade Kartoffelpüree mit Spinat gegessen. Nach etwa 10 Tagen Fasten.
Und a propos tun im Nichtun: dieser Artikel ist in der gedruckten Ausgabe des Freitag erschienen. Einfach so. Was dafür getan habe ich nicht. :)
@Martin Gebauer: Ihre Erinnerung daran, meine Ziele nicht zu ernst zu nehmen, hat mir geholfen, relativ gelassen eine passable Zeit lang weiterzufasten. Danke.
So jetzt ist aber auch gut mit fasten.