Zucker in den Tank überall

50 Jahre Graswurzelrevolution Die Zeitung tritt auch im 50ten Jahr ihres Bestehens konsequent gegen jeden Krieg immer und überall ein. Ein Gespräch mit Lou Marin und Bernd Drücke, die seit vielen Jahren in der Redaktion der GWR arbeiten.

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Prägende Jahre: Lou Marin und Bernd Drücke engagieren sich schon lange für generationsübergreifende Projekt GWR
Prägende Jahre: Lou Marin und Bernd Drücke engagieren sich schon lange für generationsübergreifende Projekt GWR

Wie seit Ihr zur Redaktion der Graswurzelrevolution gekommen?

Bernd: Meine erste Ausgabe war das Sonderheft zur Sozialen Verteidigung. Das habe ich als Schüler auf einer Demo gegen den NATO-Doppelbeschluss 1981 in die Finger bekommen. Als ich dann 1986 zum Studieren nach Münster gezogen bin, hat meine Polit-WG die Graswurzelrevolution (GWR) abonniert.

Lou: 1979 war die Anti-AKW-Bewegung schon im Gange. In der Nähe eines Gymnasialorts in Bayern, Wertingen, im Dorf Pfaffenhofen (nicht das Dorf Pfaffenhofen, in dem dann ein AKW gebaut wurde), sollte den Bauern/Bäuerinnen ein Grund für ein AKW abgekauft werden. Die Bauern/Bäuerinnen weigerten sich und es fand 1979 ein Anti-AKW-Festival dort statt. Dort habe ich an einem Stand meine erste GWR gekauft. In der Ausgabe wurde intensiv der Aufruf "Waffen für Nicaragua" diskutiert und dagegen Position ergriffen. Das hat mich sofort gepackt. So ansozialisiert, habe ich dann den Kriegsdienst verweigert und bin in eine gewaltfreie Aktionsszene hineinsozialisiert worden - worin ich dann bei der GWR geblieben bin und den gewaltfreien Anarchismus kennenlernte Es war eine hippie-mitbeeinflusste Jugendszene, die bereits weitgehend gewaltfrei war - heute bei Jugendlichen m.E. undenkbar. So wurde ich geprägt und bin immer bei der GWR geblieben.

Lou, Du hast zu einer Zeit bei der GWR mitgearbeitet, als es noch keine digitale Verarbeitung kam. Kannst Du einige Sätze zur damaligen Produktion der Zeitung sagen?
Lou: Ich war von 1984-1988 Mitglied einer Regionalredaktion Süd, dann in Heidelberg 1988 bis 1992 Hauptredaktion, und dann wieder von 1993-2001 Regionalredaktion Süd. In Hamburg nach 1984 gab es Treffen der Regionalredaktionen. Es wurde dort gerade das erste Satzgerät eingeführt, ich war lange Jahre noch dagegen vehementer Verteidiger der Scheibmaschine und habe Artikel noch bis 1988 in Schreibmaschine geschrieben. Dann ab 1988 erste Computergeneration Atari mit Programmen Timeworks und Calamus. Wir konnten nur Floppy-Disks verarbeiten und Spalten ausdrucken. Die Spalten mussten noch auf Druckvorlegen geklebt werden. Überschriften in Letraset. Dann im Laufe der Neunzigerjahre MS-Dos-Computer und Übergang zu Druckvorlagen direkt an Caro-Druck in Frankfurt. Damals noch Zusammenarbeit mit selbstverwalteten Druckreien, heute nicht mehr.
War es nicht ein Full-time-Job mit viel Selbstausbeutung?
Lou: Ja, zumal wir 1988 in einem Streit reformistische Gewaltfreie (u.a. Bernd Ulrich, heute Vize-Redakteur . bei der Zeit und Buchautor für Auslandseinsätze der Bundeswehr) versus gewaltfreie Anarchist*innen als überwältigender Sieger hervorgegangen sind. Seither ist die Zeitung organisatorisch getrennt von Organisation FöGA (Föderation gewaltfreier Aktionsgruppen), für die sie vorher Sprachrohr war. FöGA existierte noch bis 1997. Ende 1980er- bis Mitte 1990er-Jahre gab es die Veröffentlichtung mehrerer Aktionszeitungen für Anti-AKW-und Friedensbewegung in höherer Auflage, extra neben der GWR. Die höchste Auflage der Zeitun lagg 1983 bei 5500, die höchste Auflage der Massen-Aktionszeitung 55000. Unser größter Erfolg war das Einbringen und die Durchsetzen dezentraler Aktionsstrategie in der Anti-AKW-Bewegung. Statt zentrale Bauzaunschlachten wars die Strategie der Autonomen war konnten wir die gewaltfreie Strategie der Störung der atomaren Infrastruktur via Atomtransporte durchsetzen. Auf einem Schlag wurde Tausende von Kilometern Aktionsfeld für Castor-Blockaden. Meines Erachtens hat diese Strategie, die in den 90er und Nullerjahren umgesetzt wurde, der Atomindustrie das Genick geb

Was macht das besondere der Graswurzelrevolution aus?

Bernd: Die Graswurzelrevolution strebt eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft an und ist seit 1973 assoziiertes Mitglied der War Resisters‘ International, der antimilitaristischen Internationalen, der rund 90 Organisationen in 45 Ländern angehören. Anders als z.B. die taz druckt sie weder Bundeswehrwerbung noch Kriegspropaganda ab. Sie ist einerseits ein Sprachrohr sozialer Bewegungen, andererseits aber eine redaktionelle Zeitschrift, in der nur gut redigierte Erstveröffentlichungen erscheinen. Im Moment sind wir eine der wenigen Zeitschriften, die Kriegsverbrechen aller Kriegsparteien benennt und klare Kante gegen die Kriegsindustrie von Rheinmetall bis Heckler und Koch zeigt.

Hättest Ihr Euch vorstellen können, dass die Zeitung 50 Jahre alt wird?

Bernd: Ja. Ich habe in den 1990ern zur Anarchistischen Presse in Ost- und Westdeutschland promoviert. Da war die GWR schon so etabliert in den Neuen Sozialen Bewegungen, dass ein Ende nicht absehbar war. Die GWR ist ein generationsübergreifendes Projekt und der Herausgeber:innenkreis ist für mich und andere auch eine warmherzige, libertär-sozialistische „Familie“, in der Anarchist:innen in Würde altern können und Gegenseite Hilfe, statt Ausbeutung und Konkurrenz gelebt werden. Gelebte Utopie in finsteren Zeiten sozusagen.

Lou: Nein, ab 1988 haben wir die letzte Produktionswoche ALLE Nächte durchgemacht, um Artikel abzutippen und zu kleben und zu produzieren. Vertriebszuammenarbeit damals mit Contraste, die auch in Heidelberg produziert wurde, sogar im selben Stadtteil.
Bisher haben wir es immer wieder geschafft, Leute aus neuen Generationen für die Zeitungsarbeit zu begeistern. So lange das klappt, so lange wird die Zeitung leben.

Wie hoch ist die Abo-Zahl und wie ist die aktuelle Entwickung?

Bernd: Die Abozahl liegt stabil bei etwa 2.400, die Auflage wurde wg. Corona auf 3.000 abgesenkt. Die GWR ist eine klassische WG-Zeitung, in der Regel wird jede Ausgabe wahrscheinlich von drei bis vier Leuten gelesen. Viele GWR-Artikel werden in andere Sprachen übersetzt und erscheinen in Schwesterzeitungen in anderen Ländern oder werden online gespiegelt.

Leidet die Graswurzelrevolution unter dem Zeitungssterben im digitalen Zeitalter?

Bernd: Ja. Das macht sich bemerkbar. Wir stellen deshalb nur einen kleinen Teil der Artikel auf unsere Homepage graswurzel.net, aber viele junge Menschen lesen wahrscheinlich trotzdem nur die Onlinetexte. Das ist ein Problem, weil die GWR fast nur durch die Abos und Spenden finanziert wird.

Wie reagiert Ihr als Pazifisten auf den Ukraine-Krieg?

Bernd: Wir verstehen uns als antimilitaristische Anarchist:innen oder Anarchopazifist:innen. Wir kämpfen für Menschen, nicht für Staaten. Nationalismus, Kapitalismus und Staatlichkeit wollen wir überwinden, zu Gunsten einer solidarischen, freiheitlich-sozialistischen, basisdemokratischen und menschenfreundlichen Gesellschaft. Jeder Krieg ist für uns ein Verbrechen an der Menschheit und wir kämpfen mit Direkten Gewaltfreien Aktionen und Agitation dafür, alle Kriege zu stoppen. Das heißt, dass wir antimilitaristische, emanzipatorische Bewegungen auf allen Seiten unterstützen und die Kriegsverbrechen aller Seiten benennen. Der Krieg und die Re-Militarisierungen müssen überall sabotiert werden, jeder Panzer, der durch Zucker im Tank unbrauchbar wird, ist gut. Wir stemmen uns gegen jede Aufrüstung und Kriegspropaganda und setzen uns für die Geflüchteten und Deserteure aller Kriegsparteien ein. Es ist ein Verbrechen, dass 18- bis 60-jährige Männer die Ukraine nicht verlassen können und dass es für Deserteure aus Russland keine Chance gibt, in die EU zu fliehen. Putin ist ein Kriegsverbrecher. Ein Generalstreik in Russland gegen den Angriffs-Krieg ist zwar noch nicht in Sicht. Aber das autokratische Regime wird untergehen, spätestens wenn Europa endlich aus den fossilen Energien aussteigt und Putins Regime nicht mehr mit Milliardenzahlungen für Öl und Gas stützen.

Interview: Peter Nowak

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

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