Wie seit Ihr zur Redaktion der Graswurzelrevolution gekommen?
Bernd: Meine erste Ausgabe war das Sonderheft zur Sozialen Verteidigung. Das habe ich als Schüler auf einer Demo gegen den NATO-Doppelbeschluss 1981 in die Finger bekommen. Als ich dann 1986 zum Studieren nach Münster gezogen bin, hat meine Polit-WG die Graswurzelrevolution (GWR) abonniert.
Lou: 1979 war die Anti-AKW-Bewegung schon im Gange. In der Nähe eines Gymnasialorts in Bayern, Wertingen, im Dorf Pfaffenhofen (nicht das Dorf Pfaffenhofen, in dem dann ein AKW gebaut wurde), sollte den Bauern/Bäuerinnen ein Grund für ein AKW abgekauft werden. Die Bauern/Bäuerinnen weigerten sich und es fand 1979 ein Anti-AKW-Festival dort statt. Dort habe ich an einem Stand meine erste GWR gekauft. In der Ausgabe wurde intensiv der Aufruf "Waffen für Nicaragua" diskutiert und dagegen Position ergriffen. Das hat mich sofort gepackt. So ansozialisiert, habe ich dann den Kriegsdienst verweigert und bin in eine gewaltfreie Aktionsszene hineinsozialisiert worden - worin ich dann bei der GWR geblieben bin und den gewaltfreien Anarchismus kennenlernte Es war eine hippie-mitbeeinflusste Jugendszene, die bereits weitgehend gewaltfrei war - heute bei Jugendlichen m.E. undenkbar. So wurde ich geprägt und bin immer bei der GWR geblieben.
Was macht das besondere der Graswurzelrevolution aus?
Bernd: Die Graswurzelrevolution strebt eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft an und ist seit 1973 assoziiertes Mitglied der War Resisters‘ International, der antimilitaristischen Internationalen, der rund 90 Organisationen in 45 Ländern angehören. Anders als z.B. die taz druckt sie weder Bundeswehrwerbung noch Kriegspropaganda ab. Sie ist einerseits ein Sprachrohr sozialer Bewegungen, andererseits aber eine redaktionelle Zeitschrift, in der nur gut redigierte Erstveröffentlichungen erscheinen. Im Moment sind wir eine der wenigen Zeitschriften, die Kriegsverbrechen aller Kriegsparteien benennt und klare Kante gegen die Kriegsindustrie von Rheinmetall bis Heckler und Koch zeigt.
Hättest Ihr Euch vorstellen können, dass die Zeitung 50 Jahre alt wird?
Bernd: Ja. Ich habe in den 1990ern zur Anarchistischen Presse in Ost- und Westdeutschland promoviert. Da war die GWR schon so etabliert in den Neuen Sozialen Bewegungen, dass ein Ende nicht absehbar war. Die GWR ist ein generationsübergreifendes Projekt und der Herausgeber:innenkreis ist für mich und andere auch eine warmherzige, libertär-sozialistische „Familie“, in der Anarchist:innen in Würde altern können und Gegenseite Hilfe, statt Ausbeutung und Konkurrenz gelebt werden. Gelebte Utopie in finsteren Zeiten sozusagen.
Wie hoch ist die Abo-Zahl und wie ist die aktuelle Entwickung?
Bernd: Die Abozahl liegt stabil bei etwa 2.400, die Auflage wurde wg. Corona auf 3.000 abgesenkt. Die GWR ist eine klassische WG-Zeitung, in der Regel wird jede Ausgabe wahrscheinlich von drei bis vier Leuten gelesen. Viele GWR-Artikel werden in andere Sprachen übersetzt und erscheinen in Schwesterzeitungen in anderen Ländern oder werden online gespiegelt.
Leidet die Graswurzelrevolution unter dem Zeitungssterben im digitalen Zeitalter?
Bernd: Ja. Das macht sich bemerkbar. Wir stellen deshalb nur einen kleinen Teil der Artikel auf unsere Homepage graswurzel.net, aber viele junge Menschen lesen wahrscheinlich trotzdem nur die Onlinetexte. Das ist ein Problem, weil die GWR fast nur durch die Abos und Spenden finanziert wird.
Wie reagiert Ihr als Pazifisten auf den Ukraine-Krieg?
Bernd: Wir verstehen uns als antimilitaristische Anarchist:innen oder Anarchopazifist:innen. Wir kämpfen für Menschen, nicht für Staaten. Nationalismus, Kapitalismus und Staatlichkeit wollen wir überwinden, zu Gunsten einer solidarischen, freiheitlich-sozialistischen, basisdemokratischen und menschenfreundlichen Gesellschaft. Jeder Krieg ist für uns ein Verbrechen an der Menschheit und wir kämpfen mit Direkten Gewaltfreien Aktionen und Agitation dafür, alle Kriege zu stoppen. Das heißt, dass wir antimilitaristische, emanzipatorische Bewegungen auf allen Seiten unterstützen und die Kriegsverbrechen aller Seiten benennen. Der Krieg und die Re-Militarisierungen müssen überall sabotiert werden, jeder Panzer, der durch Zucker im Tank unbrauchbar wird, ist gut. Wir stemmen uns gegen jede Aufrüstung und Kriegspropaganda und setzen uns für die Geflüchteten und Deserteure aller Kriegsparteien ein. Es ist ein Verbrechen, dass 18- bis 60-jährige Männer die Ukraine nicht verlassen können und dass es für Deserteure aus Russland keine Chance gibt, in die EU zu fliehen. Putin ist ein Kriegsverbrecher. Ein Generalstreik in Russland gegen den Angriffs-Krieg ist zwar noch nicht in Sicht. Aber das autokratische Regime wird untergehen, spätestens wenn Europa endlich aus den fossilen Energien aussteigt und Putins Regime nicht mehr mit Milliardenzahlungen für Öl und Gas stützen.
Interview: Peter Nowak
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