Braucht die Linke Geschichtsmythen?

History is unwritten Eine Gruppe von fünf HistorikerInnen widmen sich der Konstruktion von Geschichte.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Er sei froh, dass er die Behauptung nicht mehr hören muss, dass sich die Gefangenen des NS-Konzentrationslagern Buchenwald selber befreit hätten, erklärte einer der letzten überlebenden Gefangenen bei einer Gedenkveranstaltung in Buchenwald. Die Selbstbefreiung der Gefangenen wurde vor allem in der DDR zur offiziellen Geschichtsdarstellung. Aus der Luft gegriffen war sie nicht. US-Soldaten der Anti-Hitler-Koalition waren erstaunt, als sie in Buchenwald ankamen Dort waren die SS-Leute und die anderen NS-Schergen bereits entwaffnet worden. Das im Wesentlichen von Kommunisten gestellte illegale Widerstandskomitee hatte unmittelbar vor dem Eintreffen Soldaten den Aufstand gewagt und das Lager übernommen Es ist daher verständlich, dass vor allem Angehörige des kommunistischen Widerstands, die Tatsache der Selbstbefreiung in den Mittelpunkt stellten. Da die These zur DDR-Staatsraison geworden war, wurde sie nach dem Ende der DDR stark angezweifelt. Auch das von Bruno Apitz in dem Roman Nackt unter Wölfen in die Literatur gehobene im KZ-Buchenwald versteckte jüdische Kleinkind ist weiterhin Objekt einer heftigen Geschichtsdebatte. Anders als bei den Diskurs um die Selbstbefreiung sind hierbei allerdings eindeutig revisionistische Töne zu hören. So wird dem illegalen Buchenwald-Widerstand unterstellt, sie hätten für die Rettung des jüdischen Kindes den Tod eines Romajungen in Kauf genommen. Dieser Vorwurf ist infam. Die Nazis wollten sowohl das versteckte jüdische Kind als auch den Romajungen umbringen lassen Es ist ein Verdienst der Widerstandskämpfer, einen der vom NS zum Tode verurteilten gerettet zu haben und dabei selber Qualen bis zum Tod in Kauf genommen zu haben.

Auch die Geschichtsdarstellung wird konstruiert

Die beiden Kontroversen um Buchenwald zeigen aber einmal mehr deutlich, dass nicht nur Geschichte gemacht wird. Auch die Lesart ihrer Darstellung ist konstruiert und immer wieder umkämpft. Dabei sollte vor allen eine linke Bewegung Mythen entweder ganz vermeiden oder zumindest immer wieder kritisch hinterfragen. Das ist zumindest die These von Loukanikos. So hieß der Straßenhund, der während der Zeit der griechischen Massenproteste in den Jahren 2012 und 2013 auf vielen Fotos zu sehen war. Sein Tod im letzten Jahr war der Süddeutschen Zeitung einen Artikel Wert. Doch das Tier schrieb noch auf eine ganz besondere Weise Geschichte. Nach ihm benannte sich eine Gruppe von fünf Historikerinnen und Historikern, die in den letzten Jahren Diskussionen über den linken Umgang mit Geschichte vorangetrieben haben. „Was macht die Linke mit Geschichte?“ lautete die Fragestellung einer Konferenz, die der AK Loukanikos im Dezember 2013 in Berlin organisierte. Neben HistorikerInnen und SoziologInnen waren politische Aktivisten eingeladen, die sich mit geschichtspolitischen Themen befassten.

Unter dem Titel „History is unwritten“ hat der AK Loukanikos im Verlag Edition Assemblage ein Buch herausgegeben, dass mehr als der erweiterte Konferenzbericht ist. Die 25 dort veröffentlichten Aufsätze geben einen guten Überblick sowohl über den Stand der linken Geschichtsdebatte in Deutschland.

Ein eigenes Kapitel des Buches ist den Beiträgen linker geschichtspolitischer Initiativen gewidmet. Die Gruppe audioscript stellt einen audiovisuellen„Stadtrundgang zur Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden zwischen 1933 und 1945 in der Dresden vor. Die in der außerparlamentarischen Linken der Elbestadt aktive Gruppe sieht diese Arbeit als „politische Intervention gegen den in dieser Stadt herrschenden Erinnerungsdiskurs mit der Betonung auf deutsche Bombenopfer“. Die Antifaschistische Initiative Moabit (AIM) aus Berlin betonen die Aktualität antifaschistischer Geschichtspolitik in einer Zeit, in der die „deutsche Erinnerungslandschaft gepflastert ist mit Stolpersteinen und Orten der Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen“. Als Beispiel für eine antifaschistische Erinnerungspolitik führt die AIM die „Fragt uns Broschüren“ an, in denen junge AntifaschistInnen die letzten überlebenden NS-Widerstandskämpfer und Verfolgten interviewen. Dort werden also Menschen gefragt, die die Selbstbefreiung des KZ Buchenwald bestätigen und solche, die diese Version bekämpfen. Chris Rotmund stellt die Initiative für einen Gedenkort ehemaliges KZ-Uckermark e.V. vor, die mit feministischen Bau- und Begegnungscamps den Ort bekannt gemacht und erschlossen hat, auf dem zwischen 1942 und 1945 Mädchen und junge Frauen eingepfercht wurden, weil sie nicht in die NS-Volksgemeinschaftsideologie passten.

Wie umgehen mit Geschichtsmythos?

„Die Suche nacheiner neuen linken Perspektive in der geschichtspolitischen Auseinandersetzung und die Frage, welche Bedeutung linken Mythen hierbei zukommt“, benennen die HerausgeberInnen den roten Faden des Buches. Die Historikern Cornelia Siebeck erteilt jeglichen linken Geschichtsmythen eine Absage: „Was emanzipatorische Zukunftspolitik ganz sicher nicht braucht, ist die eine historische Erzählung, um ihre Anliegen zu begründen“ Ihr widerspricht der Historiker Max Lill. „Viele Intellektuelle der radikalen Linken laben sich - inzwischen buchstäblich seit Jahrzehnten – am Misstrauen gegenüber jedem Versuch, größere Zusammenhänge herzustellen. Fragend schreiten sie im Kreis, “ kritisiert er die Versuche einer postmodernen Geschichtsdekonstruktion. Der Historiker Ralf Hoffrogge, der in den letzten Jahren vergessene Teile der Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland erforschte, plädierte in seinen „FünfThesen zum Kampf um die Geschichte“ dafür, die sozialistische Bewegung als Tradition künftig anzunehmen und in der Kritik an den gescheiterten linken Bewegungen bescheidener zu sein. „Auch wir werden im politischen Leben Fehler machen und unseren Ansprüchen nicht gerecht werden, das Richtige Leben im Falschen nicht erreichen, und die Abschaffung des Ganzen falschen wohl auch nicht.“ Linke Mythen kritisch oder lieber gar nicht verwenden? Darauf gibt das Buch keine definitive Antwort. Aber es motiviert die LeserInnen Geschichte kritisch zu betrachten und sich immer vergegenwärtigen, Geschichte ist nicht die objektive Widerspiegelung des Vergangenen, sondern, dass was gesellschaftlich als das Vergangene erkannt wird.


Peter Nowak

Autor_innenkollektiv Loukanikos (Hg.) Linke Geschichtspolitik und kritische Wissenschaft, , Edition Assemblage, Münster 2015, 400 Seiten, ISBN: 978-3-942885-77-5, 19,80 Euro

https://historyisunwritten.wordpress.com/



Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden