Der Chronist des Prager Frühlings

Josef Koudelka C/O Berlin zeigt eine Retrospektive des Fotografen des Prager Frühlings und dessen Ende

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Ein Arm stößt ins Bild. Die Uhr am Handgelenk zeigt die Zeit an, als am 22.August 1968 in Prag Panzer der Warschauer Vertragsstaaten einrollten, um das Experiment des Prager Frühlings erst massiv einzuschüchtern und schließlich ganz zu beenden. Josef Koudelka heißt der Fotograf, der das weltbekannte Foto in Prag geschossen hatte .Noch bis zum 10.9. ist im C/O Berlin im ehemaligen Amerikahaus, eine Retrospektive seiner Arbeiten zu sehen. Die Ausstellung ist in die drei Kategorien Invasion, Exile und Walls eingeteilt. Der erste Teil zeigt Fotos, des längst nicht immer gewaltfreien Widerstand gegen die Panzer in Prag. Da sieht man auch Fotos von Menschen, die mit Transparenten die Panzer blockieren, wir sehen aufgebrachte Bürger_innen, die auf die Soldaten einreden und die eher hilflos als aggressiv wirken. Wir sehen das Bild eines älteren Mannes mit Aktentasche, der einen Ziegelstein gegen einen Panzer schleudert und wir sehen wütende junge Männer, die mit grimmigem Gesichtsausdruck Brandsätze gegen die Panzer schleudern, einige gegen Flammen auf. Diese Aktionen scheinen sehr organisiert. Ob es sich bei den jungen Männern um Angehörige jener rechten Kleingruppen handelt, die sich 1968 in der Tschechoslowakei während des Prager Frühlings organisierten? Die Ausstellung im C/O Berlin stellt solche Fragen gar nicht erst. Dort ist schließlich unhinterfragt klar, wer in Prag 1968 die Guten und wer die Bösen wären. Für Ambivalenzen gibt es da keinen Raum.

Sozialismus vernichten oder vermenschlichen?

Einen Kilometer weiter in der Galerie Klaus Geritt Friese war Platz für solche Ambivalenzen. Dort waren bis zum 2.9. Zeichnungen von Peter Handke aus seinen Notizbüchern ausgestellt. Interessanter aber als die kleinteiligen Kritzeleien waren die Bücher von Handke, die dort gelesen werden konnten. Dazu gehörte auch ein Suhrkamp-Band aus den späten 1960er Jahren, wo sich unter der Rubrik "Politische Versuche "auch einige Aufsätze zu Themen drin sind, die damals die Welt bewegten. Der Prager Frühlingund sein Ende gehörte dazu. Dort findet sich ein sehr kluger Aufsatz von Handke, in de das Vorgehender Warschauer Vertragsstaaten klar verurteilte, aber auch erwähnte, dass das was unter dem Label Prager Frühling gehypt wurde, längt nicht immer mit Demokratie und Sozialismus zu tun hatte. Handke erwähnte, wie sich alter Klerus, tschechische Nationalist_innen und ähnliche Kräfte in Prag wieder versammelten und drohten den Kommunismus vernichten zu wollen. Abgesehen davon, dass in Prag weder vor noch nach 1968 Sozialismus existierte, deckte Handke auch auf, wie die FAZ ihren Beitrag zur Eskalation leistete. Sie druckten den Text einer Prager Oppositionsgruppe mit einem entscheidenden Unterschied. Während es im Originaltext hieß, dass des das Ziel sei, den Sozialismus zu vermenschlichen, stand in der Übersetzung der FAZ, das Ziel sei, den Sozialismuszu vernichten. Ob da die damals noch mächtigen Vertriebenenverbänden in den Text hinein redigiert haben? Zurück zu Koudelka, der noch in der Tschechoslowakei Kontakt zu Kolleg_innen von Großbritannien aufgenommen hat und dort Fotos über das Leben nach dem Ende des Prager Frühlings lieferte, die mit dem Kürzel PP, das für Prager Photographierstand, veröffentlicht wurden.Später ging Koudelka ins Exil nach Westeuropa und bereiste die ganze Welt. Die Fotoserien sind im zweiten Teil der Ausstellung unter dem Label Exile zu sehne. Sie zeigten das Leben beispielsweise im faschistischen Spanien oder die fortdauernde Diskriminierung der Roma in vielen europäischen Ländern. Im dritten Teil der Ausstellung fotografiert Koudelka die Mauer zwischen Israel und den Palästinensergebieten und das Leben drum rum. Dabei betont der Künstler, dass er keine Position für oder gegen die Mauer beabsichtige. Es gehe ihm um die fotografische Dokumentation. Auf seinen Prager Fotos kann im Detail viele Dokumente finden, die heute noch zu Fragen anregen.

Welchen Einfluss hatten Maoist_innen im Prager Frühling?

Beispielsweise die, ob in der Tschechoslowakei auch Maoist_innen gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes protestiert haben. Die Frage stellt sich, weil auf einen der Fotos von Koudelka unter den gezeigten Graffitis deutlich das Wort Mao zu lesen ist. Das wäre nicht verwunderlich, weil sich doch das damals kulturrevolutionäre China eindeutig gegen den Einmarsch aussprach und die unterschiedlichen Gruppierungen in aller Welt, die sich darauf beriefen, protestierten dagegen. Es wäre interessant zu erfahren, welchen Einfluss maoistische Gruppierungen damals in Tschechien hatten. Schließlich galt damals die chinesische Kulturrevolution für viele linke Gruppen in aller Welt als eine Alternative zu Stalinismus und autoritären Staatskapitalismus auf einen und dem Spätkapitalismus westlicher Prägung auf der anderen Seite. Da wäre es nicht verwunderlich, wenn es auch in der Tschechoslowakei Anhänger_innen der Kulturrevolution gegeben hat. Schon einige Jahre später wollten viele, die damals die Kulturrevolution oft kritiklos abfeierten, damit nichts mehr zu tun haben und wurden genau so bedingungslose Anhänger_innen des real existierenden Kapitalismus. Nur 5 Minuten vom C/O Berlin im Haus für Fotografie werden Fotoarbeiten aus der Zeit der Kulturrevolution in China gezeigt, die vorher teilweise noch nie öffentlich zu sehen waren. Auch zahlreiche weitere Arbeiten chinesischer Künstler_innen befassen sich mit unterschiedlichen Aspekten der Kulturrevolution. In einigem kurzen Video werden Szenen aus der Kulturrevolution mit ihren Massenveranstaltungen mit Szenen von einer Massenbegeisterung auf Rockkonzerten in den USA aus derselben Zeit gegeneinander geschnitten. Es ist ein Verdient dieser Ausstellung, dass sie die Kulturrevolution nicht nur auf roten Terror und Gewalt reduziert. Es blitzen auch die Momente des gesellschaftlichen Aufbruchs auf, die damals ebenfalls mit der Kulturrevolution in Verbindung standen und die deshalb in aller Welt beachtet wurde. Die Ausstellung lässt die Ambivalenzen zu, die Kunst erst interessant macht.

Peter Nowak

Link zur Ausstellung von Josef Koudelka im C/O Berlin:

https://www.co-berlin.org/josef-koudelka

Link zur Ausstellung im Berliner Haus der Fotografie zur Kulturrevolution:

http://www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/museum-fuer-fotografie/ausstellungen/detail/arbeiten-in-geschichte.html

Link zur Galerie Friese, in der am Samstag die Ausstellung von Zeichnungen und Büchern von Peter Handke endete

http://www.galeriefriese.de/ausstellungen/handke-2017/

Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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