Shoah in Riga

Der Tod ist ständig unter uns Eine Sonderausstellung in der Berliner Topographie des Terrors zeigt wie die Deutschen die Juden vernichteten und benennt auch die Helfershelfer im Baltikum. Leider wird nicht erwähnt, dass sie dort noch immer geehrt werden

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„Schade, dass die Reichsbahn den Befehl nicht verweigert hat“, sagt Fred Leser in den Video, das in einer Sonderausstellung in der Topographie des Terrors in Berlin zu sehen ist. Sie widmet sich der Massendeportation jüdische Menschen nach Riga in den Jahren 1941 und 1942. Die Stadt war ein Zentrum jüdischen Lebens in Osteuropa. Die Ausstellung zeigt, wie die Stadt nach dem Einmarsch deutscher Truppen im Sommer 1941 zu einem Tatort nationalsozialistischer Vernichtungspolitik wurde. Wie auf den Tafeln in zahlreichen Beispielen gezeigt wird, kooperierten SS, Polizei, Wehrmacht und lokale Hilfstruppen bei der Entrechtung und Ermordung de Jüd*innen aus Lettland, dem Deutschen Reich und dem Protektorat Böhmen und Mähren, die ab November 1941 dorthin deportiert wurden.

Der Titel der Exposition „Der Tod ist ständig unter uns“ macht deutlich, was die Menschen erwartete. Fred Leser, der in eine jüdische Kaufmannsfamilie in Hamburg geboren wurde, hat als Einziger die Shoah überlegt. In dem Video berichtet über die unmenschlichen Bedingungen, unter denen er mit seiner Familie1941 mit Zügen der Reichsbahn nach Riga verfrachtetet wurden. Nicht wenige starben schon in den Zügen. Aber den Befehl verweigert hat nicht nur bei der Reichsbahn niemand. Die Ausstellung macht auch deutlich, wie die Entrechtung der Jüdinnen und Juden vor aller Augen stattgefunden hat. „Die Bevölkerung gaffte uns an“, erinnerte sich Liesel Ginsburg-Frenkel.

Viele beteiligen sich sogar aktiv an der Verfolgung. So wird auf einer Tafel Frieda Mihelsome, eine der wenigen Überlebenden der Deportation, über die Kooperation der Bevölkerung mit der Polizei zitiert. „Es finden sich Einheimische, die sich anbieten, sie mit der Gegend vertraut zu machen und zu zeigen, wo Juden wohnen“. Doch in der Ausstellung werden auch die wenigen Beispiele der Solidarität mit den Verfolgten gewürdigt. So konnte Carolina Knoch durch die Unterstützung eines lettischen Hilfspolizisten im Versteck überlegen. Sie reiste später in die USA aus. Auf den Tafeln zeigen Fotos wie die Jüd*innnen in verschiedenen Städten mitten in den Innenstädten abtransportiert wurden. Die Täter hatten keine Skrupel, ihre Verbrechen selber zu selber festzuhalten. Mehrere Fotos zeigen den Transport in Bielefeld, aufgenommen hatte sie Georg Hübner, der schon in den 20er Jahren in der NSdAP aktiv war. Mehrere Fotos gibt es auch vom Killesberg in Stuttgart, wo Jüd*innen aus dem ganzen Südwesten Deutschlands im November 1941 verschleppt wurde, bevor sie nach Riga verfrachtet.

Die Ausstellung zeigt auch, dass für die wenigen Überlebenden nach dem den Ende des NS die Leidenszeit nicht vorbei war. Eine Tafel ist dem Kampf um Entschädigung gewidmet. Dort wird gezeigt, wie die Anträge verschleppt wurden. „Manche befinden sich in größter Not, sind alt geworden und resignieren“, erklärte die SPD-Bundestagsabgeordnete Jeanette Wolff 1955 im Bundestag. Sie war dort als Verfolgte des Naziregimes in der absoluten Minderheit. Wie auch der mörderische Antisemitismus den NS überlebt hat, zeigt sich in der Ausstellung am Beispiel von Marianne Winter. Als sie in ihr altes Haus zurückwollte, erklärt einer der Neubewohner: „“Wenn die nicht im KZ verreckt ist, verreckt sie hier. Dann schmeißen wir sie die Treppe runter.“ In der Ausstellung wird auch gezeigt, wie ab Mitte der 1970er Jahre jüdische Verbände in den USA den Skandal öffentlich machen, dass SS-Angehörige in Deutschland Kriegsopferrente bekommen, während die NS-Oper oft in Armut leben müssen. Erst dadurch wurde in den letzten 30 Jahren auch in Deutschland eine Debatte um Gedenken und Entschädigung angestoßen. Die Ergebnisse sind aber längst nicht so positiv, wie es im letzten Teil der Ausstellung dargestellt wird. Dort sind viele Bilder von Gedenkorten in Deutschland und auch in Lettland zu sehen. Auf einer Tafel wird auch Magers Verstermanis gewürdigt, der sich große Verdiente um den Kampf für ein Gedenken in Lettland erworben hat. Unerwähnt bleibt, dass in Lettland noch immer alljährlich Verbände aufmarschieren, die in der Tradition derer stehen, die mit der Wehrmacht und SS kooperiert haben und für die Ermordung der jüdischen Bevölkerung mit verantwortlich waren.

Peter Nowak

Die Ausstellung „Der Tod ist ständig unter uns“ ist bis zum 10. März 2024 in der Topographie des Terrors in Berlin täglich von 10 – 20 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei. Termine zu den Begleitveranstaltungen finden sich hier: https://www.topographie.de/veranstaltungen/deportationen-nach-riga

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Geschrieben von

Peter Nowak

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