Und wo bleibt der Protest gegen die deutsche Aufrüstung?

Deutsche Friedensbewegung Zigtausende demonstrierten am Sonntag gegen den russischen Einmarsch in der Ukraine im Regierungsviertel. Polizei war kaum vor Ort. Dabei wurden nur wenig hundert Meter entfernt im Bundestag eine massive Aufrüstung beschlossen

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Nur wo blieben die Proteste gegen diese Beschlüsse, die der langjährige Friedensaktivist Willi van Ooyen treffend so charakterisierte:

"Mit der Schaffung eines mit 100 Mrd. Euro ausgestatteten und grundgesetzlich verankerten Sonderfonds für die Bundeswehr, die Anpassung an das 2%-Ziel der NATO und der Lieferung von Waffen an die Ukraine wird jetzt der endgültige und vollständige Bruch mit der bisherigen außenpolitischen Linie Nachkriegsdeutschlands vollzogen, um mit dieser Militarisierung wieder klassische Großmachtpolitik zu betreiben."

Was ist von Aufmärschen zu halten, in denen natürlich berechtigterweise den russische Einmarsch in der Ukraine verurteilt wird, aber die Militarisierungsbeschlüsse, die lange in den Schubladen lagen und wenige Hundert Meter weg im deutschen Bundestag beschlossen wurden, nicht verurteilt werden? Im Gegenteil wurde von vielen Demonstrant*innen sogar gefordert, dass die Nato und die Bundeswehr eingreift. Eine solche „Deutsche Friedensbewegung“ wird dann zum Claqueur deutscher Machtinteressen. Bei jeden Konflikt zwischen kapitalistischen Machtblöcken werden diejenigen hofiert, die die Politiker*innen des als feindlich markierte Blöcke bekämpfen und besonders harte Maßnahmen gegen diese einfordert. Eine Friedens- mehr noch eine Antimilitarismusbewegung hingegen, die mehr als eine Massenbewegung für den Deutschen Standort sein will, kritisiert die eigene Regierung. Sie benennt die permanente Militarisierung der deutschen Außenpolitik und benennt die Rolle, die der deutsche Imperialismus dabei gespielt hat, dass die Sowjetunion zerschlagen und damit die Herausbildung deutschfreundlicher Staaten an den Grenzen Russlands möglich wurden.



Der Krieg begann mit der Zerschlagung der Sowjetunion

Eine solche Bewegung hätte ein historisches Bewusstsein, das nicht erst beim 24 Februar 2022 beginnt. Der Krieg um die Ukraine begann viel früher, als deutsche Truppen, in diesem Fall die Wehrmacht, schon einmal einmal ukrainische Nationalisten unterstützten, die dann nach der Deutschen Niederfage Zuflucht im Reich fanden. Stepan Bandera, der mit den Nazis die Ukraine judenfrei machen wollte, auch mal mit ihnen in Konflikt geriet, gab auch im Kalten Krieg den Kampf um eine unabhängige Ukraine nicht auf. Er starb in München wahrscheinlich an einen Anschlag des KGB. Diesem Bandera werden heute in der Ukrane beispielsweise im westukrainischen Lviv, einer Hochburg der Nationalisten, ein Denkmal gesetzt. Eine große Allee ist dort auch nach ihm benannt. Denn das Ziel, „die Sowjetunion zu schälen wie eine Zwiebel“, gaben die deutschen Imperialisten nicht auf. Sie wollten Revanche für Stalingrad nehmen und nach 1989 waren sie am Ziel. Damals trat das ein, was verschiedene rechte Zirkel lange propagierten und mit Unterstützung der USA schließlich durchsetzten: der Zusammenbruch des Systems von Jalta, also der von der Anti-Hitler-Koalition gezimmerten europäischen Nachkriegsordnung. Danach bekamen in vielen osteuropäischen Staaten die politischen Kräfte wieder Oberwasser, die schon mit den Nazis kooperierten. Die alten Verbindungen zahlten sich aus, als 2014 am Kiewer Maidan der nationalistische Maidan begann, in Anwesenheit von deutscher Politprominenz von Westerwelle (FDP) und Steinmeier (SPD). Sie alle wollten die zahlreichen Alt- und Neonazis, die am Maidan mitwirkten, nicht sehen. Heute werden sogar in der Wochenzeitung Jungle World, zu deren hervorragenden Eigenschaften eine antideutsche Grundhaltung gehört(e) gefordert: „Schafft zwei, drei viele Maidans?“ Aber was ist damit gemeint? Noch mehr nationalistische Aufwallungen, bei denen deutsche Politiker*innen pardou keine Nazis und Antisemiten sehen wollen, obwohl die direkt neben ihnen stehen? Spätestens hier begann die neue Runde des Kriegs zwischen Russland, der USA und der Deutsch-EU um die Ukraine.

Keine Sympathie mit Putin und seinem Regime

Natürlich hat eine emanzipatorische Antikriegsbewegung auch keinerlei Sympathie mit den russischen Regime. Eigentlich müsste allen mittlerweile klar geworden sein, dass es sich um ein repressives kapitalistisches System handelt, das mit nationalistischen Mythen zusammengehalten wird. Wer da noch irgendwelche Illusionen hatte, sollte einfach die Rede Putins lesen, die er zur Anerkennung der abtrünnigen ukrainischen Provinzen hielt. Da wirft er den Bolschewiki vor, die nationale Frage vernachlässigt zu haben. Damit greift er die alte rechte Propaganda auf, die den Oktoberrevolutionär*innen vor, zu denen ja neben den Bolschewiki auch andere linke Kräfte zählte, nicht auf den großrussischen Chauvinismus sondern auf die proletarische Solidarität gesetzt zu haben. Es ist eigentlich zu begrüßen, dass Putin so offen die Sprache der rechten Gegenrevolution benutzt. Das gibt den Gegner*innen aller Kriege die Gelegenheit, sich in die Tradition eines linken Antimilitarismus zu stellen, der heute noch so aktuell wie vor mehr als 100 Jahren ist. Wie damals kämpfen wieder verschiedene kapitalistische Machtblöcke gegeneinander. Damals bildete sich eine sogenannte Zimmerwalder Linke heraus, benannt nach einen wichtigen Treffen von konsequenten Gegner*innen des 1. Weltkriegs in der Schweiz. Diestellte klar, dass sie gegen die Kriegspolitik auf allen Seiten kämpfte und die Parole ausgab, den kapitalistischen Krieg zum Kampf für die sozialistische Revolution zu nutzen. Die Oktoberrevolution 1917 in Russland war ein Ergebnis dieses Kampfes des linken Flügels der Arbeiter*innenbewegung. Im Anschluss gab es in weiteren Ländern Europas, unter Anderem in Deutschland im November 1918, den Versuch, den Kapitalismus zu stürzen und durch sozialistische Räterepubliken zu ersetzen. Schon damals hatten die Räte erkannt, dass der Krieg zum Kapitalismus gehört und nur bekämpft werden kann, wenn man an die Wurzel geht. Diese Frage wäre heute noch aktueller, weil der Kapitalismus mit noch tödlicheren Waffen noch gefährlicher geworden ist. Das große Problem ist, dass heute die revolutionäre Arbeiter*innenbewegung weitgehend organisatorisch entwaffnet und ideologischdesorientiert ist. Aber es gibt neue linke Perspektiven. In der Klima- und Umweltbewegung wird darüber diskutiert, dass das Kapitalozön auch hier das zentrale Problem ist. Daher könnte sich eine Kooperation zwischen der Antimilitarismus- und Klimabewegung anbahnen, zumal auch der Krieg in der Ukraine die Vernutzung der Umwelt beschleunigt.



Eigenständige Organisierung statt Teil einer deutschen Volksfront

Doch dazu ist es nötig, dass sich der linke Flügel der jeweiligen Bewegungen von der Ideologie des deutschen Imperialismus trennt. Das war schon das große Problem des linken Flügels der Arbeiter*innenbewegung während des 1. Weltkriegs. Damals sprach man von der notwendigen Trennung vom Opportunismus. Heute müsste man hierzulande von einem Bruch mit der Ideologie des deutschen Imperialismus und Nationalchauinismus reden. Das ist zunächst eine Minderheitenposition. Denn man mobilisiert erstmal keine Massen, die natürlich unter Hegemonie der deutschnationalen Ideologie stehen. Aber diese Erfahrungen mussten auch die linken Kriegsgegner*innen 1914 machen. Damals war die Lage für die antimilitaristischen Sozialist*innen wie Rosa Luxemburg noch schlechter, weil sie jetzt massiv von der SPD bekämpft werden, in die sie lange Zeit Hoffnungen gesetzt hatten. Hundert Jahre später wissen ganz viele Menschen in allen Staaten, dass sie von den jeweiligen Staatsapparaten und den politischen Parteien nichts zu erwarten haben. Auch deswegen setzen alle Eliten, ob in Russland, in der Deutsch-EU oder in den USA, auf Militarismus und Krieg. Krieg nach Innen und Krieg nach Außen gehört zum Programm der Staatsapparate in aller Welt. Es braucht wieder eine Linke, die sich von dieser Ideologie sämtlicher Staatsapparate befreit. Im Aufruf für eine solche antimilitaristische Kundgebung am 26. Februar am Brandenburger Tor in Berlin heißt es.

Statt nationalem Schulterschluss mit Kapital und Kabinett, mit Bundeswehr und NATO brauchen wir eine Anti-Kriegsbewegung, die sich dem drohenden Krieg entgegenstellt, statt mit dem „eigenen“ Kapital, mit dem „eigenen“ Imperialismus auf eine Katastrophe zuzusteuern.


Die Devise heißt. Schafft viele solcher Kundgebungen. Für eine Zimmerwalder Linke 2.0



Peter Nowak





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Peter Nowak

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