Deutsche Justiz über alles in der Welt

historische Amnesie Das Urteil des Koblenzer Oberlandesgericht gegen einen syrischen Geheimdienstmitarbeiter wird in den deutschen Medien überwiegend bejubelt. Dabei geht kaum jemand darauf ein, auf den deutschen Weltmachtsanspruch ein.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Kein Zweifel, es ist den Opfern des autoritären Regimes nicht zu verdenken, dass sie das Koblenzer Urteil als Akt einer individuellen Gerechtigkeit bejubeln. Dieses Verständnis gilt allerdings nicht für einen Großteil der Medien in Deutschland, die völlig unhistorisch das Urteil als historisch bejubeln. Denn das ist eine gehörige Portion historische Amenesie dabei. Noch in den 1990er Jahren haben Kritiker*innen des wieder gewachsenen Deutschland davor gewarnt, dass das Land und seine Institutionen sich bald als besondere Menschenrechtsweltmeister aufspielen würden. Dass nun ein Koblenzer Oberlandesgericht darüber befindet, was das syrische Regime zu tun und zu lassen hat, hätten sich wohl auch die größten Deutschlandkritiker*innen nicht träumen lassen. Heute hört man sowie kaum noch etwas von ihnen Manche haben gar in der rechten Matrix den Ausgang nicht mehr gefunden, wie der damalige antideutsche Populist Jürgen Elsässer. Andere Deutschlandkritiker*innen sind immerhin nicht ganz rechts gelandet, aber sind Pro-Westler*innen geworden und haben auch keine Kritik mehr daran, wenn die deutsche Justiz Weltgeschichte schreibt. Dabei gilt die Kritik aus den 1990er Jahren noch immer.

Revanche für Nürnberg

Mit dem Koblenzer Urteil übt Deutschland Revanche an jenen Nürnberger Prozessen, mit denen die Alliierten die Verbrechen der Deutschen im NS aburteilten. Sie werden immer als historisch bezeichnet. Daher wird ein Urteil gegen einen Mann aus dem syrischen Sicherheitsapparat jetzt gleichfalls mit diesen Prädikat gesehen. Damit soll vergessen gemacht werden, dass die Politik des NS nicht einfach eine besonders brutale Herrschaftsform war. Es waren präzedenzlose Verbrechen und genau das haben die Nürnberger Urteile deutlich gemacht. Mit dem Koblenzer Urteil soll genau dieser Unterschied nivelliert werden. So wird auch der NS zu einem der vielen autoritären Regime, die es immer wieder gibt. So werden genau die besonderen Verbrechen im deutschen NS nivelliert. Davor hatten die Kritiker*innen der deutschen Verhältnisse immer gewarnt. Heute hört man nicht mehr viel von ihnen. Dabei wird in den Medien das Koblenzer Urteil ganz offen in Beziehung zu den Nürnberger Gerichtshof gesetzt. Das wiedergutgemachte Deutschland und seine Staatsapparate nehmen nun Revanche und suchen sich natürlich ihre Gegner*innen aus. "Eine konsequente Völkerstrafjustiz kennt keine Grenzen" gibt Taz-Kommentator Dominic Johnson den deutschen Weltmachtanspruch große Hoffnung. Da geht fast unter, dass fast zeitgleich mit dem Koblenzer Urteil die französische Staatsanwaltschaft davon Abstand genommen hat, gegen ein Mitglied der syrischen Staatssicherheit, dem ebenfalls Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen wird, Anklage zu erheben. Die Begründung lautet, dass es den Rechtsbegriff "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", die hier zur Anklage stehen, im syrischen Rechtssystem nicht gibt. Es gehört aber eigentlich zum Kernbestand bürgerlicher Rechtsstaatlichkeit, dass nicht Delikte verhandelt werden, die zur Tatzeit dort keine Rolle spielten. Aber ein solches Rechtsverständnis stünde natürlich dem deutschen Menschenrechtsimperialismus im Wege. So schaffte Koblenz Raum für weitere Urteile, dass viele Kommentator*innen wie Johnson schon nicht abwarten können. Dass Deutschland wie andere sogenannte westliche Staaten noch vor nicht einmal 20 Jahren in genau das syrische Regime, das jetzt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gebrandmarkt wurde, vermeintliche Islamisten nach Syrien transportieren ließ, fällt dabei unter dem Tisch. Sie wurden dort hingebracht, nicht trotz sondern obwohl das Regime wenig Grenzen beim Unterdrücken der Opposition kennt.

Als Nazitäter hätte er mehr Glück mit der deutschen Justiz gehabt

Dass der Verurteilte schließlich zur syrischen Opposition überwechselte, bewahrte ihn auch nicht vor dem lebenslänglichen Urteil. Denn er war ja kein deutche SS-Mann und kein Mitglied der vielen Spezialbteilungen des NS-Regime, die Jüdinenn und Juden wie am Fließband ermordert haben. Dafür bekamen sie noch in den 1970er Jahren, wenn sie nicht gleich freigesprochen wurden, geringe Haftstrafen. Der Dicher Erich Fried hat ausgerechnet, für jeden Judenmord nicht mal eine Stunde. NS-Täter, die am 20. Juli 1944 gemerkt haben, dass mit dem NS-Regime zu Ende geht und daher Hitler beseitigen wollten, gelten heute in Deutschland als Helden. Über ihre Beteligung an den Verbrechen auch nur zu sprechen, galt als Sakrileg, das in den 1990er Jahren nur unverbrüchliche Deutschlandkritiker*innen mißachteten. Es wäre zu wünschen, es gäbe noch einige, die Einspruch gegen den deutschen Weltmachtsanspruch a la Koblenz erheben würden.

Peter Nowak

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden