Die Arbeiter und die Macht

Harun Farocki Der vor drei Jahren verstorbene Filmkünstler erfährt in letzter Zeit in Berlin eine besondere Beachtung. Dafür gibt es hier einige Beispiele.

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Wer die unterschiedlichen Filmvorführungen, Diskussionen und Ausstellungen besucht, kann die vielfältigen künstlerischen und sozialpolitischen Aspekte dieses Künstlers kennenlernen. Das wird schon bei einem Besuch der kleinen Exposition in der Galerie Barbara Weiss deutlich, die unter dem Obertitel „Harun Farocki und die Musik“ (http://www.galeriebarbaraweiss.de) steht und von seiner langjährigen Mitarbeiterin Antja Ehmann kuratiert wird. Die nun bis Ende Dezember verlängerte Ausstellung zeigt Arbeiten aus den verschiedenen Schaffensperioden Farockis. Beeindruckend ist ein früher Film, den er als aktivistischer Studierender Ende der 1960er Jahre gedreht hat. Dort hat er eine bekannte schmalzige Weihnachtsballade mit Bildern von den Bombenangriffen auf Vietnam gegengeschnitten. Man sieht weiße Mittelstandskinder, denen der Weihnachtsmann Geschenke auspackt und dann kommt der Satz: Auch für die Kinder in Vietnam hat der Weihnachtsmann etwas mitgebracht und wir sehen verbrannte Menschen und zerstörte Häuser. Die letzte Szene zeigt wie sich hinter Bäumen am Flussufer Kämpfer_innen des Vietcong tarnen. Vielleicht hätte Farocki in seiner späteren Schaffensphase auf solch plakative Schlussszenen verzichtet, doch seine Kritik an den gesellschaftlichen Veränderungen hat er bis zum Schluss beibehalten. Sie ziehen sich durch alle seine Arbeiten. In der Galerie Barbara Weiss findet sich ein sehr spätes Werk, in dem er mit Mitteln der Computeranimation arbeitet, was deutlich macht, wie offen Farocki auch für künstlerische und technische Neuerungen bis zum Schluss geblieben ist.

Noch bis Ende Januar 2018 ist in der n.b.k. eine Farocki-Retrospektive zu sehen (http://www.nbk.org/ausstellungen/aktuell.html), die ebenfalls die jahrelang Film- und Videoarbeiten des Künstlers in den Blick nimmt.

Die Partei ging in die Fabriken

Im Arsenal-Kino werden seit einigen Wochen Filme aus allen Schaffensperioden von Farocki gezeigt (http://www.arsenal-berlin.de/kino-arsenal/programm.html ). Sie verschaffen den Zuschauern immer überaschende Erkenntnisse. So widmete er sich in dem Film „Die führende Rolle“ den Bildern, die zwischen dem 10.Oktober und dem 25.November 1989 über die innenpolitischen Umbrüche in der DDR im Fernsehen beider deutscher Staaten ausgestrahlt wurden. Während fast alle BRD-Medien nur das Narrativ vom Kampf Demokratie versus Diktatur strapazierten und daher fast alle die gleichen Aussagen in die unterschiedlichen Bilder legten, ist Farocki aufgefallen, welch große Rolle die Fabrik im politischen Leben der DDR spielte. Sowohl der Kurzzeit-DDR-Ministerpräsident Egon Krenz als auch sein Nachfolger Hans Modrow stellten sich in der Fabrik den Fragen und Problemen der Arbeiter_innen. Und die sparten auch nicht mit Kritik an der „führenden Partei“, der bürokratisierten Gewerkschaft, aber auch an den Zuständen in der DDR insgesamt. Dabei wurde aber auch klar, dass sie auf Reformen in der DDR setzten und nicht auf ein kapitalistisches Großdeutschland.

Farocki stellte die Fragen, wann denn in der BRD im Fernsehen von Fabriken die Rede ist. Immer dann, wenn sie geschlossen werden oder ein Unfall passiert ist. Das zeigt sich aktuell bei der Berichterstattung über die Siemens-Schließungen. In den Hauptnachrichten waren die Sorgen und Probleme der Arbeiter_innen von Siemens oder von Schlecker kein Thema, bevor die Betriebe vor der Schließung standen. In der DDR war das nicht erst vor ihren Ende anders. Farocki zeigt einige Beispiele, dass dort immer die Betriebe und auch die LPG eine wichtige Rolle in den Nachrichten der DDR spielten. Leider überwogen aber die von der Partei geschönten Darstellungen. Wären die Sendungen so kritisch wie in dem untersuchten Zeitraum gewesesen, gäbe es die DDR vielleicht noch. Farocki erwähnt auch, dass einige der in seinen Film erwähnten Betriebe kurz nach der kapitalistischen Übernahme der DDR geschlossen wurden. Dieser Film zeigt die kritische Herangehensweise von Farocki, der bei politischen Ereignissen unbeachtete Details in den Fokus rückt, wie eben die mediale Präsenz von Fabriken in den Nachrichten in der DDR und der BRD. Diese Details sagen mehr über die Gesellschaften aus, als viele der immer wieder gekäuten Narrative.

Harun Farocki versus Jan Kummer - Analyse statt Ressentiment

Da greife ich mal das Porträt des Künstlers Jan Kummer im Freitag 45/2017 heraus (https://de-de.facebook.com/derfreitag/posts/10156110932797922 ). Dort äußert sich der Mitbegründer des Künstlerkollektivs AG Geige erstaunlich Wutbürgerkompatibel. So muss er betonen, wie „phantastisch es war, dass dieser Spießerstaat DDR zugrundeging“. Wer keinen Begriff von Kapitalismus hat, benutzt so vage Begriffe wie Spießigkeit zur Klassifizierung eines Staates. Als gäbe es nicht in Spießertum in allen Gesellschaften und als wäre das eine entscheidende Frage über die Stabilität eines Staates. Daher kann der Freitag-Journalist auch Jan Kummer kein kritisches Wort über den Aufstieg der AfD entlocken und dann kommt er dann noch mit der Phrase, wer in eine Diktatur gelebt hat, den erschreckt nichts. Ressentiment statt Analyse prägt das Jan-Kummer-Porträt. In den Arbeiten von Farocki hingegen finden sich Analyse statt Ressentiment. Das ist auch der Grund warum jeder von Farockis Filmen noch immer nichts von seiner Aktualität verloren haben und noch immer Gesellschaftskritik im besten Sinne sind.

Peter Nowak

Heute abend kann man sich mit der enormen Bandbreite von Farockis Arbeiten vertraut machen.

http://www.arsenal-berlin.de/kalender/tagesansicht.html

*Erkennen und Verfolgen D 2003
DCP OmE 58 min
*Nicht ohne Risiko D 2004
DCP OmE 50 min

*Aufschub D 2007
DCP engl. ZT 40 min

http://www.arsenal-berlin.de/kalender/tagesansicht.html

Diese beiden Filme fokussieren neue Management und Kapitalstrategien und den Zusammenhang von Militär und Politik.
Um 21 Uhr wird "Aufschub" ein besonders Dokument gezeigt. Farocki kommentiert die Aufnahmen des KZ-Durchgangslagers Westerbork. Aufgenommen wurden sie von Rudolf Breslauer, der wie Tausende Menschen von Westerbork nach Auschwitz deportiert und ermordert wurde.
Peter Nowak
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Geschrieben von

Peter Nowak

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