Die Stimmen der Opfer

Talya Feldman „The Violence We Have Witnessed Carries a Weight on Our Hearts“ ist der Titel der Ausstellung der Künstlerin im Jüdischen Museum in Berlin

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Die leisen Stimmen im Raum sorgen dafür, dass die Menschen, die in den eher versteckten Raum im Jüdischen Museum in Berlin eintreten, sehr genau zuhören. Das ist auch die Absicht der in den USA geborenen Medienkünstlerin Talya Feldman, die derzeit in Hamburg arbeitet und ihre Arbeiten in vielen Museen auf der ganzen Welt gezeigt hat. Sie hat über 18 Lautsprecher an einen Gerüstnetz in einen Raum im Jüdischen Museum Berlin aufgehängt und mit Smartphones verbunden. Dort kommen Opfer, Angehörige, Freund*innen und Unterstützer*innen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Deutschland zu Wort.

Die Bandbreite der Stimmen umfasst rechte Gewalt in den letzten 40 Jahren in Deutschland. Ein Fall aus der DDR ist zeitlich der erste. Erinnert wird an den ungeklärten Tod der beiden kubanischen Vertragsarbeiter Delfin Guerra und Raúl Garcia Paret am 12. August 1979 in Merseburg. Nach einer Auseinandersetzung mit deutschen Jugendlichen in der Diskothek Saaletal werden die kubanischen Arbeiter durch die Stadt gejagt. Zwei werden schließlich tot im Fluß gefunden. Ob sie auf der Flucht vor den Angreifern selbst in das Wasser sprangen oder in den Fluß geworfen wurden, wie einige Augenzeug*innen berichten, ist bis heute ungeklärt. Die Initiative 12. August hat den weitgehend vergessenen Fall bekannt gemacht, mit den Angehörigen der beiden Toten in Kuba Kontakt aufgenommen und fordert einen Gedenkort. Ein Mitglied der Initiative kommt in der Ausstellung zu Wort.

Im bayerischen Erlangen erinnert die Initiative Kritisches Gedenken an den antisemitischen Mord an den jüdischen Rabbiner Shlomo Levin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke am 19 Dezember 1980. Die engagierten Antifaschist*innen wurden durch ein Mitglied der neonazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann ermordet. Trotzdem wurde lange Zeit im Umfeld der Opfer ermittelt. Das erinnert an das, was viele Angehörige und Freund*innen des neonazistischen Mordkommandos NSU erfahren mussten, die oft wie Täter*innen behandelt wurden. In der Ausstellung kommen mehrere von ihnen zu Wort und berichten, dass ihre Behandlung sich wie ein zweiter Angriff anfühlte.

„Wir sind die Hauptzeugen des Geschehenen“

Es wird auch an die Demonstration erinnert, die im April 2006 von Angehörigen der NSU-Opfer in Kassel unter dem Motto „Kein 10. Opfer “ organisiert wurde. Sie wurde auch in der linken Öffentlichkeit kaum wahrgenommen und der NSU konnte noch einige Jahre Anschläge planen. Auch Ibrahim Arslan kommt in der Ausstellung zu Wort. Er überlebte als Kind schwerverletzt den rassistischen Brandanschlag auf das Wohnhaus seiner Familie 1992 in Mölln. Mehrere seiner Verwandten kamen dabei ums Leben. Die jugendlichen Neonazis, die den Anschlag verübten, sind längst wieder auf freiem Fuß. Ibrahim Arslan hat sich den Kampf gegen den Rassismus zur Lebensaufgabe gemacht. „Wir sind die Hauptzeugen des Geschehenen“, sagt er in der Sequenz, die in der Ausstellung zu hören sind. Das gilt für alle Menschen, deren Stimmen in dem Raum wehrgenommen werden können. Der Titel „The Violence We Have Witnessed Carries a Weight on Our Hearts“, was mit „Die Gewalt, die wir erfahren haben, lastet schwer auf unseren Herzen“ übersetzt werden kann, ist ebenfalls ein Zitat eines Überlebenden rassistischer Gewalt.

Ausstellung im Jüdischen Museum schwer zu finden

Auch die Künstlerin Talya Feldman wurde Opfer eines antisemitischen Anschlags. Sie war am 9. Oktober 2019 in der Synagoge in Halle, als ein Neonazi dort ein Massaker verüben wollte. Weil die Tür standhielt, ermordete er zwei Passant*innen, die zufällig dort vorbeikamen. Schon länger wurde mit Recht beklagt, dass nach den rassistischen Anschlägen immer sehr viel über die Täter geredet wird und die Opfer dabei vergessen werden. Talya Feldman gibt mit ihrer Installation den Opfern eine Stimme und erinnert an sie. Sie begreift ihre Installation als Beitrag zum Kampf gegen den rechten Terror. „In der Vorstellung, ein Opfer sei schwach, passiv, werden die Stimmen der Opfer so oft beiseite geschoben und in den Erzählungen ausgelassen. Das ist absurd“, erklärt Talya Feldman. Sie hofft, dass die Besucher*innen der Ausstellung Zeit mitbringen und wirklich zuhören, was die Menschen zu sagen haben. Diesem Wunsch kann man sich nur anschließen.

Die Installation eignet sich nicht für ein kurzes Vorbeigehen. Talya Feldman bekam für die Installation den Dagesh-Kunstpreis für politisch engagierte Interventionen. Dadurch hat sie in einem Raum im Jüdischen Museum Berlin einen würdigen Ausstellungsort gefunden. Leider gibt es weder vor noch in dem Museum eigene Hinweise auf die Exposition. Entweder man stößt zufällig auf den Raum, wenn man die Dauerausstellung im Jüdischen Museum besucht, oder man muss gezielt nach dem Raum fragen. Es ist zu hoffen, dass die die Stimmen der Opfer der deutschen Zustände bis in die Gegenwart noch recht viele Menschen hören mögen. Die Überlebende eines Anschlags sagt treffend: Erinnern heißt kämpfen, erinnert heißt verändern“. Daher ist der Kampf um einen Gedenkort für die oft namenlosen Opfer ein wichtiger Bestandteil antifaschistischer Arbeit. Die Ausstellung gehört dazu.

Peter Nowak

„The Violence We Have Witnessed Carries a Weight on Our Hearts“ ist noch bis zum 1. August während der Öffnungszeiten des Jüdischen Museums Berlin täglich von 10 – 20 Uhr, Montag von 10 – 22 Uhr) zu sehen. Es wäre zu wünschen, dass die Installation danach noch in vielen anderen Städten gezeigt und gehört werden kann, in denen rassische Angriffe stattgefunden haben. Viel zu viele Nachbar*innen und Bewohner*innen wollten das schnell Gras über die Tatorte wächst. Die Stimmen der Opfer können das verhindern

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Geschrieben von

Peter Nowak

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