Ein Aufstand, der nicht stattfand

Die Hellen Haufen Im Theaterforum Kreuzberg brachte das Simon Dach Projekttheater "das Stück von Volker Braun in einer Fassung von Peter Wittig auf die Bühne.

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In der aktuellen Ausgabe des Freitag stellt Jana Hensel ein Buch des Historikers Philipp Ther über den Siegeszug des Neoliberalismus nach dem Zusammenbruch des Nominalsozialismus vor. Da wird nebulös davon gesprochen, dass keinem der betroffenen Länder die Tragweite dieser Entwicklung bewusst war Doch das Buch geht auf einen wesentlichen Fakt nicht. Es mag sein, dass einen großen Teil der Lohnabhängigen dieser Länder die Entwicklung nicht bewusst gewesen ist. Relevanten Kapitalfraktionen jedoch war diese Entwicklung nicht nur bewusst, sie trieben sie zügig voran und sorgten auch dafür, dass einem Großteil der Subalternen diese Entwicklung nicht bewusst. Die Publizistin Naomi Klein sprach von einer Schocktherapie, wie sie bereits nach dem faschistischen Putsch in Chile durchgesetzt wurde, um der unbeschränkten Diktatur des Kapitalis den Weg zu bereiten. Der österreichische Publizist Hannes Hofbauer beschreibt in seinem gerade im Verlag Promedia erschienenen Buch "Die Diktatur des Kapitals", wer bei dem großen Raubzug, die korrekte Übersetzung des Begriffs Privatisierung heißt rauben, gewonnen und wer verloren hat.

„Mit ihm öffnet sich für das westliche Investoren eine in weiten Teilen bisher verschlossene zweite Welt, ein scheinbar unbegrenzter Markt für Absatz und Arbeitskraft.“ Dabei betont Hofbauer, dass nicht das Ende der unflexiblen Planwirtschaften, die bereits vorher die Kontrolle über eine Reihe von ökonomischen Grundlagen das Problem seien, sondern das Fehlen einer sozialistischen Alternative sowohl vom Nominalsozialismus als auch zum realen Kapitalismus. Hofbauer bestreibt sehr detailiert die kapitalistische Landnahme in Osteuropa. In den frühen 90er Jahren wurde die Region ein Praxisfeld für einen unverhüllten Neoliberalismus. Am Anfang stand eine Hyperinflation, die Hofbauer als Enteignung der Besitzlosen“ klassifizierte. In kurzer Zeit waren oft langjährige Ersparnisse von Millionen Menschen fast wertlos. Im Anschluss folgte in vielen Ländern eine Politik der Deindustrialisierung, wobei darauf geachtet wurde, dass mögliche Konkurrent_innen für Westkonzerne ausgeschaltet wurden. Dafür war auf dem Gebiet der ehemaligen DDR die Treuhand zuständig, in anderen Ländern hatten die Behörden andere Namen, aber ihre Tätigkeiten waren überall ähnlich. Die Gebiete sollten reif für den Weltmarkt gemacht werden. Hofbauer beschreibt im Detail, die Folgen. Eine hohe Erwerbslosigkeit, eine massive Verarmung und eine Zerrüttung der gesellschaftlichen Grundlagen dieser Länder.

„Ihr seit das Salz der Erde“

Der Dramatiker Volker Braun hat in seinen Roman „Die hellen Haufen“ deutlich gemacht, was diese hier relativ abstrakten Prozesse konkret mit den Menschen machen. Es geht um die Bergleute in Thüringen, die nach der euphemistisch Wende genannten Rückkehr des Kapitals in die DDR zunächst freudig die neue Zeit begrüßten und in ihrer großen Mehrheit CDU wählten. 1992 mussten sie die Erfahrung machen, dass ihr Werk geschlossen wird und sie als überflüssige Arbeitskräfte auf den Markt geworfen wurden. Damals gab es ein kurzes aber viel beachtetes Aufbäumen. Die Arbeiter_innen von Bischofferode machten Schlagzeilen nicht, weil ihr Kampf besonders radikal war, sondern weil sie zu den wenigen Gehören, die überhaupt widersprochen hatten. Sie waren allerdings keineswegs die Einzigen. In den frühen 90er Jahren gab es durchaus mehr Belegschaften, die sich wehren wollten gegen Zurichtung für den kapitalistischen Markt. Dazu köntne sicher der Publizist Helmut Höge, als teilnehmender Beobachter mehr sagen.

Im Kreuzberger Theaterforum brachte das „Simon Dach Projekttheater“ das Stück von Braun nun in einer Bearbeitung von Peter Wittig auf die Bühne. 2 Stunden und 45 Minuten dauerte die Vorstellung und sie war nur selten langweilig. Denn die 8 Mimen Lisa Blaschke, Nadja Herzog, Sivia Reichert, Sophie Ritz, Merlin Delhaes, Andre Dyllong, David Hannak und Markus Riexinger verstanden es, die sehr eindringliche Sprache von Braun mit ihrer schauspielerischen Gestik und Mimik lebendig darzustellen und dem Publikum somit auch ein Stück Zeitgeschickte zu vermitteln. Im ersten Teil des Stücks bis zur Pause geht es um die realen Auseinandersetzungen. Die Bergarbeiter_innen und ihre Unterstützer_innen verließen sich zu sehr auf die christliche Bergpredigt, jubelten den Pfaffen zu, die ihnen erklärte, dass sie das Salz der Erde seien und sahen ihren größten Erfolg in einer Audienz beim Papst, der ihnen nur die Hoffnung mit auf dem Weg gab, dass sich für sie alles zum Guten wenden möge. Da werden sich die Herren von Kali & Salz aber mächtig gefürchtet haben. Die Konzernzentrale in Kassel wollte das Bergwerk nicht etwa schließen, weil die Produkte unrentabel waren, sondern in Gegenteil. Sie konnten mit den Westprodukten konkurrieren und mussten deshalb weg. Das sah auch die Führung der zuständigen DGB-Gewerkschaft so, die nicht etwa mit den protestierenden Kolleg_innen solidarisch gewesen ist, sondern sie zur Kapitulation aufforderte.

Über den Rand geschrieben

Im zweiten Teil des Theaterabends wurde ein Szenario auf die Bühne gebracht, das zumal im volksgemeinschaftlich organisierten Deutschland wohl noch länger Utopie bleiben muss. Die Protestierenden orientieren sich nicht an Pfaffen und Papst sondern an dissidenten Kommunist_innen und Sozialist_innen in der DDR und in der eigenen Geschichte. Hier hat Braun meisterhaft die Geschichte des Rätekommunisten Max Hoelz eingeflochten, der 70 Jahre vorher, Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts, eine wichtige Rolle bei den damaligen Kämpfen von Arbeiter_innen im Manfelder Land spielte. In seiner Verteidigungsrede vor Gericht sagte Hoelz, dass die Solidarität das einzige Kapital des internationalen Proletariats ist. Die Schauspieler_innen, die sich textlich sehr an der Fassung von Braun halten, nennen diese Formulierung einer kämpferischen Utopie, dass "Über den Rand schreiben". Und sie entlassen das Publikum mit der Frage in die Nacht, warum die Geschichte, nicht hätte so stattfinden können? Ein solch engagiertes Theater im besten Sinn bekommen wir leider heute zu selten geboten. Dafür gibt es noch zu viele Theaterstücke, die sich über Werte wie Solidarität lustig machen und Proletarier_innen als Gestalten aus dem Vorvorgestern darstellen. Damit sind sie ganz nah bei den selbsternannten klugen Köpfen dieser Gesellschaft. In der FAZ bescheinigte die Journalistin Sabine Brandt Brauns Roman „abgelebte Weltsichten“ und hofft, dass Braun nur mit sich selbst spricht. Dabei geht es in seinen Stück immer wieder um die tragische Einsamkeit der kämpferischen Arbeiter_innen. Warum haben die Kolleg_innen aus Mansfeld sich den Protesten nicht angeschlossen, bevor sie nur wenig später selber abgewickelt wurden, lautet eine Frage. Das „Simon Dach Projekttheater“ hat mit dem Stück mit dazu beigetragen, dass das Wunschbild der Zeitung mit den klugen Köpfen und den Anzeigen vom großen Kapital sich nicht erfüllt. Gerade in einer Zeit der Krise nicht des Kapitalis sondern vieler Menschen, die von ihrer Lohnarbeit nicht leben kennen, könnte die Frage, die Braun sich stellt, in vielen Köpfen auf Widerhall stoßen. Hofbauers Buch „Die Diktatur des Kapitals“ könnte dann dabei helfen, etwas Klarheit in die Köpfe zu bekommen, damit die kapitalistischen Schocktherapien, die schon vorbereitet werden, vielleicht nicht nächste Mal ihre Wirkung nicht mehr so einfach entfalten können.

Peter Nowak

Hinweis zum Stück:

https://www.facebook.com/helleHaufen

Zum erwähnten Buch: Die Diktatur des Kapitals:

http://www.mediashop.at/typolight/index.php/buecher/items/hannes-hofbauer---die-diktatur-des-kapitals

Zum Theaterforum Kreuzberg:

http://www.tfk-berlin.de/

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Geschrieben von

Peter Nowak

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