Ein Kommunist der Zukunft

Ronald M. Schernikau Zu seinen 30. Todestag sendete der WDR das Feature "Der kommunistische Autor Ronald M. Schernikau - Die Schönheit" von Johanna Tirnthal und Richard Pfützenreuter.

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„Ich sehe etwas in der DDR und das ist sehr anders. Dieses Andere kann ich hier nicht haben“. Das erklärte der damals in Westberlin lebende Ronald M. Schernikau 1986, wenige Wochen vor seinen Umzug in die DDR in einem Interview mit der kommunistischen Schriftstellerin Erika Runge. Schernikau war damals schon ein bekannter Schriftsteller und durchaus selbstbewusst. Ein guter Schriftsteller kann überall gute Literatur überall schreiben, war seine Überzeugung. Warum Schernikau sein Ziel, in die DDR zu gehen, über viele Jahre vorbereitete, kann man verstehen, wenn man das Feature „Der kommunistische Autor Ronald M. Schernikau – Die Schönheit“ hört. Die Autor*innen Johanna Tirnthal und Richard Pfützenreuter lassen Freund*innen und Zeitgenoss*innen von Schernikau und vor allem seine Mutter zu Wort kommen. Sie wurde von ihren Sohn unter dem Alias-Namen Irene Binz in der Literatur verewigt. Die 85jährige erzählt bei einer Veranstaltung zum 30. Todestag von Schernikau am 20. Oktober 2021 im Berliner Brecht-Haus, wie sie als überzeugte Sozialistin die DDR aufbauen wollte und schließlich der Liebe wegen in der BRD landete. Bald erkannte sie die Entscheidung zur Flucht als größten Fehler ihres Lebens, denn der geliebte Mann war längst verheiratet. Doch zurück konnten Ellen Schernikau und ihr Sohn nicht mehr. Dann wären sie ja wegen Republikflucht verfolgt worden. So bauten sich die beiden eine DDR-Welt in Lehrte bei Hannover auf, abonnierten Zeitungen aus der DDR, guckten DDR-Fernsehen und zu Weihnachten bekamen sie Pakete aus dem Osten. So hat der junge Schernikau den Sozialismus schon in seiner Kindheit über seine Mutter kennengelernt. Die war dabei so erfolgreich, dass der Vater schließlich wutentbrannt schrieb: „Deine Saat ist aufgegangen. Es ist ein kommunistischer Schmierfunk darauf geworden. Ich habe keinen Sohn mehr“.

Selbstbewusster Bettelbrief

Im Feature wird deutlich, dass Schernikau von der Überzeugung geprägt war, dass der Sozialismus siegen wird, auch als die real existierende Variante davon gerade zusammenbrach. Das ist einer der Widersprüche, die dort offen gelassen werden und viel Stoff für Diskussionen bieten. Durch das Feature von Johanna Tirnthal und Richard Pfützenreuter bekommen wir einen Einblick in das kurze Leben von Ronald M. Schernikau, das fast schon selber romanhaft wirkt. Als Jugendlicher schreibt er den Roman „Kleinstadtnovelle“, in der auch sexuelle Fragen unter Jugendlichen eine Rolle spielen. Bald war Schernikau Mitglied der DKP, versäumte keine Parteisitzung, beteiligte sich an Infoständen und sammelte Unterschriften gegen die Schließung von Freibädern, wie er bekundete. Dabei war er auch so ehrlich, zuzugeben, dass ihn diese kommunistische Basisarbeit wenig Spass machte. Trotzdem beklagte er sich darüber nicht und sah sein Engagement für die DKP auch nicht als verlorene Zeit, wie manche Andere. Doch hier deutete er auch die Spannung an, die es zwischen seinen schwulen Hedonismus und seinem Engagement in der biederen DKP gegeben haben muss. Sein von ständigen Geldsorgen geprägtes Leben meisterte er souverän, wie sein selbstbewußter Bettebrief zeigt, den er in einer Westberliner Zeitung als Annonce aufgab:„Ich brauche jemand, der mir hilft. Ich bin homosexuell und links und ich schreibe Romane. Ich brauche Geld. Wer hilft mir“. Und wie ging er mit den Widersprüchen während der „Tage in L.“ um, wie der Titel des Romans lautete, in dem Schernikau seine Zeit als in Leipzig studierender BRD-Bürger in Romanform verarbeitete? Im Feature erfahren wir, wie er einer alten Nachbarin in Leipzig bei der Einrichtung des Fernsehers behilflich war, damit sie wieder die Westprogramme sehen konnte. Schernikau lebte während seines Leipziger Studiums in einer jener Plattenbauten, die nach 1989 auch in der Linken als Synonym des DDR-Spießertums verpönt waren. Schon in den 1990er Jahren hatte der Publizist Günther Jacob in dem linken Bashing der Platte auch teilweise rückwärtsgewandte Ressentiments eines linken Mittelstands erkannt, die sich damit sich über die alte Forderung der Arbeiter*innenbewegung erhoben, dass auch die Proletarier*innen in hellen und gut beheizten Wohnungen leben sollen. Dieses Programm wurde in und mit der Platte aller geschmäcklerischen Kritik zum Trotz sehr wohl umgesetzt.

Nicht unkritisch zur DDR

Manchen ist Schernikau als der junge Kommunist bekannt, der in einer Rede auf den letzten DDR_ Schriftsteller*innenkongress im März 1990 eine engagierte Rede gegen den Kapitalismus gehalten hatte. Ein Glücksfall ist es, dass Tirnthal und Pfützenreuter Ausschnitte aus einer Originalaufnahme dieser Rede im Feature abspielten. Da wird deutlich, dass Schernikau für seine Rede viel Applaus bekommen hat, ob aus Überzeugung oder Höflichkeit muss natürlich offen bleiben. Schernikau wird in dem Feature als Kommunist dargestellt, der die DDR als die potentiell bessere Alternative sah, aber durchaus kritisch umgegangen ist „Ich gebe zu ,die DDR nervt“, sagte er und verweist auf ein alltägliches Beispiel. Wenn er eine Brechtausgabe kaufen wollte, musste er sich nicht nur verpflichten, sämtliche 27 Ausgaben zu kaufen, sondern auch 27 Mal den gleichen Bestellzettel ausfüllen. Es ist wohl eine der originellste Kritiken am DDR-Bürokratismus. „Dit is sie, dit ist unsere DDR“, beendet er seine Kritik. Wenig zu Kritisieren gibt es am Umgang mit Aids in der DDR. Während in der BRD damals führende konservative Politiker*innen von der Kasernierung von HIV-Infizierten in Lager fabulierten, setzte die DDR bald auf Prävention und Aufklärung. Doch Schernikau wollte sich nicht aufklären lassen. „Fick weiter“ hieß ein Text, den er 1984 im Westberliner Schwulenmagazin Siegessäule veröffentlicht hat und der in diesem vom Nachlassverwalter Thomas Keck im Verbrecher-Verlag herausgegebenen Band "Königin im Dreck" dokumentiert ist . Dort schrieb er in einen fast fatalistischen Ton über den Umgang mit Aids.. Die Schernikau-Herausgeberin Helen Thein spricht denn auch im Feature "von einen Text, dem man aushalten muss". Für ihn war der laxe Umgang mit den Aids-Virus aber nicht nur Theorie. Er war in Leipzig zum HIV-Test aufgefordert worden, was er aber ignorierte. Nur aus Angst vor Ausweisung? Das wird im Feature nahegelegt. Aber vielleicht war es aber auch die Umsetzung seiner Devise eines Lebens im Risiko, das er im Siegessäule-Artikel propagierte. Zumindest scheint das Ignorieren einer amtlichen Aufforderung zum Test bei ihm keine behördlichen Folgen gehabt zu haben, obwohl sie begründet war. Einer seiner Sex-Partner war HIV-positiv getestet worden. Möglichkeiten dazu hatte er in Leipzig in unmittelbarer Nähe seiner Wohnung. Ganz in der Nähe der Platte war ein Park, wo Schernikau „den homosexuellen Geschlechtsverkehr ausübte“, wie er etwas umständlich erklärte. Erst als die Symptome nicht mehr zu ignorieren waren, musste sich Schernikau in ärztliche Behandlung begeben. 14 Monate später starb er. Kurz vorher konnte er sein Mammutwerk „legende“ noch fertigstellen, fünfmal kopieren und an fünf Verlage schicken. Die Antworten erlebte er nicht mehr. Er starb am 19. Oktober 2021, mehr als ein Jahr nach dem Ende der DDR. Was für ein Leben. Ein junger schwuler Hedonist engagiert sich für die DDR, die zu Ende geht, nachdem er sein Lebensziel erreicht hat, Bürger dieses Staates zu werden. War damit sein Optimismus und vielleicht auch sein Lebenswellen gebrochen?

Kein Mythos Schernikau

Im Feature wird darauf verwiesen, dass die "legende" ein tragisches Ende hat. War das vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass ihm in der Realwelt die Alternative abhanden gekommen war? Oder war es viel persönlicher? Schließlich schrieb er den umfangreichen Roman im Weltlauf mit den Tod. Darüber können wir genau so rätseln, wie über die Frage, wie sich Schernikau politisch und künstlerisch weiterentwickelt hätte, wenn sein Aufenthalt auf Erden länger gedauert hätte. Sein früher Tod kann auch zu einer Verklärung beitragen. Darauf wies der Literaturwissenschaftler Benjamin Wolf im Feature und auch im Gespräch im Brechthaus hin. Tirnthal und Pfützenreuter bedienen allerdings in ihren Feature keinen Schernikau-Mythos. Verklärungen schließen und tragen nicht zu kritischen Diskussionen bei. Tirnthal und Pfützenreuter hingegen fördern mir ihrer klugen Auswahl von Texten und Interviews die Diskussionen. Sie lassen viele Fragen zu. Wieso hat sich die doch so überzeugte SED-Genossin Irene Binz so schnell in die BRD locken lassen? Stellte sich Ronald M. Schernikau diese Frage vielleicht auch, wenn im Feature zitiert wird, wie er auf einer Zugfahrt durch die DDR nachdem er 1989 sein Studium in Leipzig begonnen hatte, am liebsten laut rufen wollte „Ich binz“ . Wollte er damit ausdrücken, dass er sich in einer ähnlich widersprüchlichen Situation befindet, wie seine Mutter nach der Flucht aus die DDR? Eine andere Frage bezog sich darauf, warum ein hedonistischer Schwuler Anfang der 1980er Jahre Mitglied der DKP wurde? Im Feature wird der Widerspruch wohl implizit angedeutet, wenn da rausgestellt wird, dass zeitgleich Tausende gegen Atomkraftwerke protestierten. Diese Hinweis war mir zunächst unverständlich, weil ja gerade DKP-Anhänger*innen beim Kampf gegen die Atomkraftwerke nicht führend vertreten waren, sehr wohl aber bei den zeitgleichen Protesten gegen die Stationierung neuer Atomraketen. Ich denke aber die Autor*innen haben mit dem Verweis auf die AKW-Proteste bewußt den Widerspruch zum Engagement des jungen Schernikau in der DKP ansprechen wollen. Auch zu seinen posthum veröffentlichen Roman „legende“ gibt es einige Fragen. War der Aufritt der Götter nicht auch ein Verzweiflungsakt eines Kommunisten, dem das Vertrauen in die Macht der Arbeiter*innenklasse abhanden gekommen ist? Oder drückte sich hier die verzweifelte Hoffnung eines todgeweihten Atheisten aus, dass er sich mit seiner Absage an den Glauben an ein Leben nach dem Tod vielleicht doch geirrt haben könnte?

Es hat in Deutschland die Konterrevolution gesiegt“

Das Feature trägt dazu bei, weiter an Ronald M. Schernikau zu erinnern, der in seinen kurzen Leben manche schlauen Sätze hinterlassen hatte, die dafür sorgen, dass er nicht so schnell vergessen wird. „Es hat in Deutschland die Konterrevolution gesiegt. Ich glaube nicht, dass man ohne diese Erkenntnis in Zukunft wird Bücher schreiben können“.Mit diesen starken Satz aus der Rede von Schernikau vor dem letzten DDR-Schriftstellerkongress im März 1990, habt er sich den Vielen ab, ,die nach dem Fall der Mauer von den Chancen und Möglichkeiten linker Politik schwadronierten, die sich mit dem Ende der DDR angeblich eröffnet hätten. 31 Jahre später wissen wir, wie Recht Schernikaumit seiner Prognose hatte. Welchen Anteil die Politik der SED daran hat, dass es zu dieser Konterrevolution kommen konnte, könnte auch Gegenstand der Diskussion sein, wie die Frage, wie linke und emanzipative Kräfte in Zeiten der Konterrevolution agieren können. Johanna Tirnthal und Richard Pfützenreuter haben mit ihren Feature einen Beitrag zu dieser Diskussion geleistet. Es kann hier nachgehört werden.

Peter Nowak

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Peter Nowak

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