Ein Stück gerettete DDR-Opposition

telegraph Die ostdeusche Zeitschrift hält auch zwei Jahrzehnte nach der Wende an ihrer Gegnerschaft zu Macht und Staat fest

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Das unkommerzielle Jugendprojekt Kirche von unten (KvU) hat seit dem 31. Dezember für ihre Räume im Prenzlauer Berg keine Mietverträge. Die Eigentümer_nnen wollen das Haus in Eigentumswohnungen umwandeln. Da ist es erfreulich, dass mit dem Historiker Dirk Moldt ein Mitbegründer der KvU an die wichtige Rolle erinnert, die diese Einrichtung für eine unangepasste linke Jugendkultur in der DDR hatte. Schon im Herbst 1989 wollten viele Bürgerbewegte damit nichts zu tun haben. „Punks in einer bürgerlichen Revolution, dass passte nun mal nicht“, kommentiert Moldt. Auch die „ostdeutsche Zeitschrift“ telegraph, in dessen aktueller Doppelausgabe 125/126 Moldts Rückblick auf die KvU-Geschichte erschienen ist, wurde von den meisten Bürgerbewegten schnell links liegen gelassen.

Bis heute staatskritisch

1987 als Sprachrohr der DDR-Umweltbibliothek entstanden, wurde die Publikation im Herbst 1989 zum Forum der DDR-Opposition, die nicht die Wiedervereinigung und den Kapitalismus zum Ziel hatte. Von ihrer staatskritischen Prämisse lassen sich die telegraph-MacherInnen bis heute leiten. In der aktuellen Ausgabe erinnert der Mitbegründer der Ostberliner Autonomen Antifa in der DDR Dietmar Wolf an die rassistischen Aufmärsche von Nazis und Bürger_nnen vor 20 Jahren in Hoyerswerda, Rostock und Mannheim-Schönau. Er zeigt dabei noch einmal präzise auf, wie diese Pogrome von maßgeblichen Politiker_innen zur massiven Einschränkung des Asylrechts genutzt wurden. Wolf beschreibt auch, wie ein Teil der Antifabewegung nach den Ohnmachtserfahrungen angesichts der rassistischen Pogrome eine Bündnispolitik bis weit ins liberale Lager entwickelte, die bis heute gegen Naziaufmärsche in von Dresden bis Magdeburg erfolgreich sind. Der Rapper Jens Steiner beschreibt wie der traditionelle Protestsong zum Politkitsch wurde. Weitere Beiträge widmen sich dem NSU-Verfahren und dem Anwachsen rassistischer Strömungen im Europa der Krise.

Freiheitsstandards in der DDR

Moldt schreibt über die Jugendbewegung in der DDR: „Wir, Freaks, Hippies und Punks, hatten uns in der DDR Freiheitsstandards ertrotzt, von denen nicht nur der Normalbürger kaum zu träumen wagte, auch Durchschnitts- und sogar Spitzenwiderständler waren ganz erstaunt: Unter Einhaltung bestimmter Wege war es nicht möglich, den Wehrdienst zu verweigern, sondern auch Wohnungen zu besetzen, sich coole Jobs zu besorgen, in denen man nicht gemobbt wurde die einen unglaublich viel Lebenszeit zum Ausprobieren ließ“.

An dieser erfreulich differenzierte Darstellung hätten sich die Autor_innen ein Beispiel nehmen sollen, die in einer Broschüre http://www.antifa-berlin.info/silvio-meier-doku/ der Autonomen Antifa Berlin zur Biographie des von Nazis ermordeten DDR-Oppositionellen Silvio Meier ein Bild der DDR zeichnen, das fast schon totalismustheoretische Züge trägt.

Peter Nowak

telegraph 124, 76 S.,6 €uro, beziehbar über

http://www.telegraph.ostbuero.de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden