Elternschaft im Kapitalismus

Lisa Yashodhara Haller Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Universität Hildesheim hat im Campus-Verlag das Buch „Elternschaft im Kapitalismus“ herausgegeben.

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Dort untersucht die Wissenschaftlerin die Effekte staatlicher Einflussfaktoren auf die Arbeitsteilung junger Eltern. Peter Nowak sprach mit Haller über Ihre Untersuchung und die Ergebnisse.

Für Ihr Buch leiteten Sie Diskussionen mit jungen Paaren an. Nach welchen Kriterien wählten Sie diese aus?

Da es sich bei meiner Untersuchung um eine Mehr-Ebene-Analyse handelt, ging den Paardiskussionen eine Gesetzesanalyse voraus. Dabei war mir die Verteilungswirkung entlang der Einkommenshierarchie besonders wichtig. Zunächst habe ich all diejenigen Gesetze gesichtet, die Eltern bei der Familiengründung darin unterstützen, die Kosten für Kinder zu bestreiten. Anschließend habe ich dann diejenigen einer genaueren Analyse unterzogen, in die entweder explizite oder aber implizite Steuerungsmechanismen eingeschrieben sind. Weil die sozial- und familienpolitische Steuerungsfunktion umso weniger greift, je geringer die von einer gewissen Einkommensstärke abhängige Partizipation ist, ist die Aushandlung um die verbleibenden Leistungsansprüche in einkommensschwachen Familien besonders aufschlussreich. Und da es mir um die Frage ging, wie die sozial- und familienpolitische Leistungen die Arbeitsteilung der Eltern beeinflusst, lag es auf der Hand, die Paare entsprechend ihrer Leistungsberechtigung auszuwählen.

Wie kam der Kontakt mit den Befragten zustande?

Den Zugang zu den Eltern bekam ich über Beratungseinrichtungen, die eine Sozialberatung für Eltern anbieten. pro familia bietet beispielsweise solche Beratung an. Anschließend konnten die Eltern, ihr Einverständnis geben und ihre Kontaktdaten hinterlassen. Wenn Sie ins Sample passten, führte ich die Untersuchung bei ihnen zu Hause durch.

Welche Steuerungsinstrumente haben Sie schlussendlich untersucht?

Ich habe unheimlich viele Pretests gemacht, bis ich ein eigenes Erhebungsinstrument entwickelt hatte. Man kann ja nicht einfach nach der Geburt eines Kindes in die Familie hereinplatzen und fragen, entschuldigen Sie, wie wirkt sich denn nun das Ehegattensplitting auf ihre Arbeitsteilung aus. Für die Untersuchung einer Steuerungswirkung reichen herkömmliche Erhebungsmethoden nicht aus. Zwar kann man anhand der Berechtigungsmodalitäten errechnen, wer wann auf was Anspruch hat und welche Anreize mit den monetären Leistungen einhergehen. Steuerungsstrategien zielen aber auf bestimmte Handlungsweisen der Eltern. Und so hängt der Erfolg der Steuerungsstrategie davon ab, wie die Eltern die Steuerung überhaupt verstehen, welche Bedeutung die Eltern den Strategien zuschreiben und welche Verhaltensweisen sie letztlich aus diesen ableiten. Um das herauszubekommen, müssen Sinnzuschreibungen rekonstruiert werden. Dazu habe ich ein Spiel entwickelt. Durch farbige Spielkarten, die die jeweils zu beurteilenden Leistungen symbolisierten, konnte ich eine kognitive Hilfestellung anbieten. Ich bat die Eltern, die Spielkarten nach dem Grad ihrer Nützlichkeit auf einem Spielbrett einzuordnen, dafür musste sich das Paar darüber einig werden, welche Leistungen sie aus welchem Grund wo platzieren. Es gab viel Meinungsverschiedenheiten und dabei wurde deutlich, dass die Mutter den Leistungen häufig eine ganz andere Bedeutung zuschrieb als der Vater. Die Diskussionen über den Sinn von familienbedingten Steuerfreibeträgen, Kindergeld, Kinderzuschlag, Elterngeld, ALG I und ALG II hatte in jedem Fall sehr hohen unterhaltungswert.

Und was sind die zentralen Ergebnisse Ihrer Untersuchung?

Die Analyse der verschiedenen Gesetze zeigt eine drastische Umverteilung von Staatsgeldern. Die Rede vom Abbau des Sozialstaates bestätigt sich dabei nicht, es kommt vielmehr zu einer Umverteilung. Indem bedarfsgebundene Transferleistungen reduziert werden, Lohnersatzleistungen und Steuerfreibeträge aber deutlich erhöht wurden, profitieren einkommensstarke Familien deutlich von der sozial- und familienpolitischen Neujustierung. Außerdem zielen Steuerungsinstrumente auf die Überführung von ehemals wohlfahrtsstaatlichen Leistungen in einen personenbezogenen und haushaltsnahen Dienstleistungssektor. Augenscheinlich werden selektive Steuerungsstrategien, die je nach Einkommenssituation der empfangenden Familien unterschiedliche Konsequenzen nach sich ziehen: Indem – zumindest bei kurzen Erwerbsunterbrechungen – relativ hohe Lohnersatzleistungen die familiale Unterhaltssicherung gewährleisten und hohe Einkommenssteuerrückgaben weiterhin eine komplementäre Arbeitsteilung ermöglichen, wird einkommensstarken Elternpaaren eine Wahlfreiheit zwischen unterschiedlichen Arrangements der Arbeitsteilung zugestanden. Einkommensschwache Familien müssen infolge der restriktiven Anrechnung familienpolitischer Leistungen, weitreichende materielle Einschränkungen verkraften. Durch die konsequente Kopplung der Teilhabe an familienpolitischen Transferleistungen an das Einkommen wird eine verstärkte Aktivierung beider Elternteile einkommensschwacher Familien für den Arbeitsmarkt erzielt.

Wie gehen die Paare damit um?

Die Forcierung einer eigenverantwortlichen Eingliederung in den Arbeitsmarktassoziiert ein aktives Selbst, das aber in einem Widerspruch zu dem Autonomieverlust steht, den Eltern, bei der Familiengründung erleben: Ihre Handlungen sind durch die Versorgung eines abhängigen Kindes maßgeblich fremdbestimmt und nicht zuletzt dadurch eingeschränkt, dass Versorgungstätigkeiten die Integration in den Arbeitsmarkt entscheidend behindern. Das trifft insbesondere auf die Mütter zu, da sie von den Fachkräften in den Jobcentern aber auch von Arbeitgebern für die Versorgung von Kindern verantwortlich gemacht werden. Wir haben es in Deutschland mit einer geschlechterselektive Beratungspraxis in den Jobcentern zu tun, bei der Mutter die Verantwortung für ihre Kinder zugeschrieben wird. Väter gelten nach wie vor als von Fürsorge befreit. Die neue Familienpolitik forciert eine Gleichstellungspolitik, adressiert aber weiterhin den Vater als Familienernährer. Individuell ist es den Eltern nicht möglich, diese Widersprüche aufzulösen. Aus diesem Grund wird die Paarbeziehung mit der Familiengründung zu einer Arena von Umdeutungen, durch die eine Anpassung an die geschlechtlichen Anforderungen des Arbeitsmarktes gelingt.

Welche Folgen hat diese Anpassung für die Frauen?

Insbesondere für die Mütter entsteht durch die Aktivierung zur Erwerbsarbeit bei zeitgleichem Verweis auf die Versorgung von Kindern eine doppelte Herausforderung: Sie müssen die wirtschaftliche Notwendig­keit einer kom­plementären Arbeitsteilung im Anschluss an die Familien­gründung mit einer Gleichstellungsrhetorik rechtfertigen. Sie sagen so Dinge wie „Elternzeit das gönn ich mir“. Indem sie den Bezug familienpolitischer Leistungen als selbstbestimmte Entscheidung inter­pre­tieren, kommen sie zumindest rhetorisch der staatlichen Aufforderung nach, in jeder Lebensphase selbstständig und autonom zu agieren. Ich gehe davon aus, dass die Prämierung von Aktivität in der Aktivierungsgesellschaft die Mütter dazu veranlasst, ihre eingeschränkte Handlungsfähigkeit mit Verweis auf Ge­nuss als Selbstbestimmung zu rechtfertigen. Diese Form der Widerspruchsbewältigung ist deshalb problematisch, weil sie die alltäglichen Konflikte nicht auf die Verhältnisse zurückführt, weshalb deren Veränderung ausgeschlossen bleibt.

Link zum Buch Elternschaft im Kapitalismus von Lisa Yashodhara Haller:

https://www.campus.de/buecher-campus-verlag/wissenschaft/soziologie/elternschaft_im_kapitalismus-14263.html

Interview: Peter Nowak

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

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