Es kommt der Tag

Kultur „Stronger Still", so lautet der Titel einer empfehlenswerten Ausstellung über die Opposition in der Türkei im Berliner Gorki-Theater

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Stronger Still – Eine Würdigung türkischer Oppositioneller
Stronger Still – Eine Würdigung türkischer Oppositioneller

Foto: Ozan Kose/AFP/Getty Images

Erstmals hat die Bundesregierung die Existenz von Feindeslisten, manche sprechen auch von Todeslisten, bestätigt, auf denen die Namen von im deutschen Exil lebenden türkischen Oppositionellen stehen. Auch der linksliberale Journalist Can Dündar steht auf einer solchen Liste. Er hat auch die sehenswerte Ausstellung Stronger Still konzipiert, die aktuell im Berliner Gorki-Theater zu sehen ist. Es ist eine Würdigung türkischer Oppositioneller. Im Hof des Gorki-Theaters ist eine Zelle nachgebaut, in der tausende Oppossitionelle inhaftiert sind. In einem Raum wird an Oppositionelle gedacht, die in der Türkei inhaftiert waren oder sind. Die Bandbreite der Dargestellten reicht vom Journalisten Deniz Yücel, den christlichen Menschenrechtler Peter Steudtner bis zur linken Band Grup Yorum.

Auch in Deutschland werden türkische Linke immer wieder kriminalisiert

Sie wurde schon lange vor Antritt der Erdogan-Regierung verfolgt wie viele Linke. Gut wird in der Ausstellung in einer kurzen Einführung beschrieben, wie 1989 die Musiker*innen der Band Grup Yorum verhaftet wurden, sich im Gefängnis aus Rasierklingen und anderen Alltagsgegenständen Musikgegenstände bastelten und dort eine neue Platte unter dem Titel „Es kommt der Tag" aufnahmen. „Der Tag ist nicht gekommen", so das Resümee der Sprecherin in der Installaion. Es ist aber kein trauriger Beitrag, weil die Entschlossenheit von Grup Yorum und ihrem Publikum deutlich wird. Es ist durchaus nicht selbstverständlich, dass eine explizit linke Band neben den vielen linksliberalen türkischen Oppositonellen gewürdigt wird. Dafür muss man den Organisator*innen der Ausstellung sehr danken. Es wird auch klar, dass ein Teil der türkischen und kurdischen Oppositionellen auch in Deutschland jurstisch verfolgt werden. Dabei kooperiert die deutsche Justiz auch mit den türkischen Behörden. Auch Grup Yorum hat nicht nur in der Türkei sondern auch in Deutschland häufig Auftrittsverbot, oft werden Konzerte von der Polizei auseinandergetrieben, Musiker*innen und Unterstützer*innen immer wieder auch in Deutschland kriminalisiert.

Opfer von Mordanschlag in Deutschland verurteilt statt geschützt

Das betrifft nicht nur die Grup Yorum. Auch Sami Baydar wurde Opfer eines versuchten Mordanschlags durch türkische Nationalisten. Doch anders als der kürzlich von türkischen Nationalisten in Berlin angegriffene Journalist Erk Arcaer genießt er nicht den Schutz der deutschen Zivilgesellschaft und schon gar nicht der deutschen Justiz. „Die Staatsschutzpolizei Augsburg hat, statt ernsthafte Ermittlungen anzustellen, die Gelegenheit genutzt, mich auf meine Arbeitsstelle aufzusuchen und vor Ort gezielt meine politischen Zeitschriften durchsucht", erklärte Baydar gegenüber Freitag-Online. Als linker Suryoye-Aktivist, einer christlichen Minderheit, ist er schon länger im Visier der Staatsschutzpolizei. „Weil ich das alles Online kritisiert habe, wurde ich von der Polizei wegen übler Nachrede angezeigt und vom Amtsgericht Augsburg zu einer Geldstrafe von 3600 Euro verurteilt. Dabei wurden Teile des Facebook-Beitrages selektiv und völlig aus dem Kontext zitiert, um mir Worte in den Mund zu legen, die ich nie geschrieben habe", berichtet Baydar.
„Es kommt der Tag", lautete der Song, den die Grup Yorum 1989 im Gefängnis mit selbstgebastelten Instrumenten verfasst hat. Der Tag ist tatsächlich noch nicht gekommen. Er wird auch dann nicht anbrechen, wenn statt Erdogan ein anderer reaktionärer kapitalistischer Politiker die Unterdrückung von Linken fortsetzt. Der Tag wird erst kommen, wenn die linken Kräfte nicht nur in der Türkei die Oberhand gewinnen. Dann wird der Song vielleicht zum Fanal wie Grandola Vila Morena 1974 als Zeichen, dass die portugiesische Revolution über die faschistische Diktatur gesiegt hat und zumindest für einige Zeit eine Perspektive jenseits des Kapitalismus in dem Land möglich war. Es ist zu hoffen, dass Can Dündar, dem eine wichtige Rolle in der Politik einer Türkei nach dem Ende der Erdogan-Ära zugetraut wird, Grup Yorum nicht weiterhin kriminalisiert, wie es seit mehr als drei Jahrzehnten geschieht.

Peter Nowak

Die Ausstellung im und um das Gorki-Theater ist geöffnet:

Öffnungszeiten:
Di – Do: 12 – 21 Uhr / Fr – So: 14 – 22 Uhr
Mo: geschlossen

Die Ausstellung ist kostenlos: Zeitfenster können hier gebucht werden:

https://www.gorki.de/index.php/de/stronger-still

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Geschrieben von

Peter Nowak

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