Eure Kinder werden so wie wir?

Kraus Die Hamburger Band liefert mit dem Song das Psychogram einer Jugend zwischen Mauerfall und Pegida. Die Utopie einer anderen Gesellschaft fehlt allerdings.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Band Kraus hat angeblich einen Weltrekord verbracht, den längsten auserzählten Song der Welt. So behauptet es der Pressetext. Ob das wohl stimmt? Tatsächlich erzählt der 35minütige Song „Eure Kinder werden so wie wir“ das Gefühl einer Generation zwischen 1989 und 2017.Am Montagabend wurde der Song in der Berliner Volksbühne aufgeführt. Während die Band spielte, lief auf der Leinwand im großen Saal der Volksbühne ein Video, das Klaus Maeck produziert und hat und die 25 Strophen des Songs illustrierte. Der Song beginnt und endet bezeichnenderweise mit dem Blick aus dem Fenster eines Mittelstands-Loft auf Pegida-Aufmärsche. Im Song findet sich eine klare Positionierung gegen die, die wieder Mauern errichten wollten. Dann folgt ein Schwenk 29 Jahre zurück. Feiernde Menschen tanzten auf der Berliner Mauer. Dazwischen findet sich die Erzählung einer Jugend im linksliberalen Milieu.

„Leg Dein Ohr auf die Schiene der Geschichte“ texten die Hip Hopper von Freundeskreis 1997. Dort besangen sie eine Jugend in den 1980er Jahren. „Wir waren 18 – Antifas mit Palischals“ hieß es bei ihnen. Auch Kraus legt das Ohr auf die Schienen der Geschichte, ein Palituch kommt auch mal ins Bild. Insgesamt hat die Jugend in den 90ern, die Kraus beschreibt, schon viele Utopien verloren. Das Abreißen von Plakaten der rechten Schillpartei war schon der Höhepunkt der Antifaaktion. Selbst beim Schwarzfahren hatte man die Schülertickets zur Sicherheit noch dabei. Man sieht Jugendliche in einem linken Jugendzentrum, an den Wänden einige Antifaplakate. Später wird eine Straßenschlacht um die Rote Flora nachgestellt. Doch dann ist die rebellische Phase auch schon vorbei. Der kommende Aufstand ist schon abgesagt, bevor er begonnen hat. Hinterher beklagt man sich nur, dass man nicht mal mehr mit dem T-Shirt-Motiv mehr individuell sein kann, weil ja fast alle dieselben ach so besonders individuellen Aufdrucke tragen. Das ist das Schicksal derer, die so individuell sein wollen, wie Millionen anderer auch. So liefert der Song ein Psychogramm eines linksliberalen Milieus, das letztlich zu der Erkenntnis, dass man eine Gesellschaft doch nicht ändern kann. Da bleibt dann nur, leicht angewidert auf die Pegdia-Aufmärsche zu schauen.

Die Utopien der Hamburger Schule sind verschwunden

Kraus gelingt es mit seinen sehr treffenden Lyrics das Lebensgefühl sicher nicht einer Generation aber einer bestimmten Schicht von Jugendlichen auszudrücken. Den sympathischen Musikern wäre zu wünschen, wenn ihnen damit ihr künstlerischer Durchbruch gelingen würde. Schließlich war der große Saal in der Volksbühne gut besucht. Viele sind durch eine Sendung bei Radio Eins auf den Song aufmerksam geworden. Der Sender hat sich den Luxus geleistet und den Song in voller Länge im Radio abgespielt. En Vergleich mit der Hamburger Schule bietet sich schon deshalb an, weil auch Kraus in Hamburg lebt. Auch die kritische Betrachtung der Gesellschaft verbindet Kraus mit den Musiker_innen der Hamburger Schule. Doch es gibt einen Unterschied. Vor 20 Jahren war die Utopie einer ganz anderen Gesellschaft in den Texten noch, wie versteckt und diffus auch immer, herauszuhören. Dieses utopische Moment findet sich bei Kraus kaum. Die Hamburger Schule sah in dem wieder vereinigten Deutschland ein Problem und konnte deshalb den Mauerfall nicht rückhaltlos bejubeln, auch wenn man kein Anhänger des DDR-Nominalsozialismus war. Der Zusammenhang zwischen dem Mauerfall und den Pogromen von Hoyerswerda bis Lichtenhagen wurde gezogen, der deutsche Nationalismus war zumindest in den frühen 1990er Jahren ein zentrales Thema der frühen Hamburger Schule und die Maueröffnung war der Schlüssel, um diesen Nationalismus so richtig zu entfalten. 2018 sind diese Debatten, die die antifaschistische Linke zwischen 1989 und 2001 geprägt haben, weitgehend vergessen. Oder sie werden sogar offen angegriffen wie in dem Song „Sommer 89“ von Kettcar. Da wird umstandslos eine von der Paneuropaunion im Herbst 1989 in Ungarn inszenierte Grenzöffnung als Vorläufer des Sommers der Migration gefeiert. Ganz schlecht kommen die Bedenkenträger_innen weg, die am WG-Tisch in Hamburg daran erinnert haben, dass die Löcher in den Zaum auch ein Jungbrunnen des deutschen Nationalismus war. Damit wurde noch einmal eine antinationale Linke abgewatscht, die es heute kaum noch gibt. Auf den Vorhalt, dass Deutschland nie wieder ein Machtblock in der Mitte Europas werden dürfe, ging der Held des Songs gar nicht ein sondern verließ die WG und seine Freund_innen. Man kann auch sagen, er verabschiedete sich von allen „Nie-wieder-Deutschland-Grundsätzen und ging im deutschen Mainstream auf. Kraus kann man das nicht vorwerfen. Ihr Song, dass es f viele heute keinen Zusammenhang zwischen Wiedervereinigung, Deutschlands Wiederaufstieg und der Renaissance der Rechten gibt. Doch, wenn man die doch oft sehr prägnante Beschreibung einer liberalen Jugend bei Kraus hört, kann man doch hoffen, dass da noch was kommt. Sonst bleibt nur die im Songtitel formulierte Drohung, dass auch die nächste Generation sich mit den gleichen Problemen herumschlagen muss. Das kann ja nun wirklich weder Trost und schon gar nicht Utopie sein.

Peter Nowak

Homepage zum Song:

https://www.eurekinder.de/#home

Hinweis auf die Premiere in der Volksbühne:

https://www.volksbuehne.berlin/de/programm/3065/eure-kinder-werden-so-wie-wir

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden