Geburt und Tod im globalen Kapitalismus

Maria Gorki Das Theaterstück bringt das Leben im Kapitalismus, in der alle irgendwo unterwegs sind und niemand Zeit hat, auf die Bühne.

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Am Anfang sieht man die junge Frau nur kurz im Lichtstrahl aufblitzen. Mit ihrer Reisetasche könnte sie gerade auf den Weg zum nächsten Flixbus sein, zum neue Job, zur neuen Wohnung oder wo man heute so hinfährt im flexiblen Kapitalismus, wo der Mensch immer gerade irgendwo hinmuss. Irgendwohin müssen auch fast alle Menschen in dem Drama Maria, das am vergangenen Samstag im Berliner Gorki-Theater vor ausverkauften Haus Premiere hat. Es waren viele alte Freund*innen des Gorki-Theaters anwesend. Schließlich hat der Hausregisseur des Gorki Nurkan Erpulat das Stück des britischen Dramatikers Simon Stephens auf die Bühne gebracht. Zunächst steht man dort eine Seite eines großen Klotzes. Der wird dann umgeklappt und man sieht die beiden Räume, in denen sich das knapp 90minütige Drama abspielt.

Es überzeugt durch die schauspielerische Leistung von Vidina Popov. Die in Wien geborene Künstlerin gibt die Maria, eine junge Frau, immer in Bewegung.In ihrer Reisetasche sind die Utensilien für den Aufenthalt in der Geburtsklinik. Maria ist im neunten Monat schwanger und sucht im Bekannten- und Verwandtenkreis verzweifelt nach einer Person, die bei der Geburt dabei sein wird. Doch sie findet niemand. Alle sind sie so in ihren prekären Alltag eingebunden, dass sie es sich gar nicht erlauben können, einmal einen Tag frei zunehmen, um Maria bei der Geburt zu begleiten. Das bringt ein alter Bekannter de in einem Supermarkt arbeitet gut zum Ausdruck

Kampf um jede Sekunde Raucherpause

In der Raucherpause plaudert er kurz mit Maria, immer beobachtet von der argwöhnigen Chefin, die aufpasst, dass er die Pause ja nicht um eine Sekunde überzieht. Als Maria dann Lust auf ein Eis hat, das im Sortiment des Supermarkts und dass der Regaleinräumer noch so vollmundig anpreist, wehrt er schnell ab. Spendieren kann er es von seinen Niedriggehalt nicht und es etwa einfach mitgehen zu lassen, dieses Ansinnen findet er so verrückt, als hätte Maria vorgeschlagen, er soll den Supermarkt anzünden. Der Abend bringt sehr gut das Gefühl der prekären Jugend im Spätkapitalismus zum Ausdruck, wo selbst die kleinste Widerständigkeit verpönt ist und kollektive Widerstand gar nicht mehr aufkommen will.Selbst Marias Bruder, den sie seit ihrer Kindheit vermisst hat, weil er die Enge des Kleinfamilienhaushalts nicht ausgehalten hat, ist in Spanien gelandet und muss dort ebenfalls unter prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen sehen, wie über die Runden kommt. Eine späte Begegnung der Geschwister endet im Streit. Allein Marias Großmutter schient noch eine gewisse Souveränität bewahrt zu haben. Sie muss nirgend mehr hin, ruht in sich. Doch am Ende verweigert sie die Nahrung, weil sie nicht mehr leben will.Mit dem Bild der sterbenden Großmutter endet das Stück. Im Begleittext des Theates wird Erpulats Maria in eine religiöse Dimension gehoben.Unter dem Stichwort „Jugend ohne Gott“ werden dann Bezüge zu Hebbels Maria Magdalena und Horváths Maria aus Glaube Liebe Hoffnunghergestellt. Dabei wäre es doch das Stichwort „Jugend ohne Widerstand im prekären Kapitalismus“ eine viel sinnvollere Anknüpfung. Maria steht voll im aktuellen Leben und irgendwelche religiösen oder spirituellen Aspekte findet man bei ihr nicht. Nicht die Bibel zitiert sie, sondern Fernsehdokumentationen, in denen sie sich über den Zustand der Welt informiert.Bei ihren Bekannten hat sie dann schnell den Ruf der Klugscheißerin weg. Dann was will man mit kritischen Gedanken über die reale Welt anfangen, wenn auch nicht die geringste Ahnung besteht, wie dieser Zustand verändert werden kann

Wut ohne Ziel und Plan

So ist das Theaterstück Maria verwandt mit dem französisichen Film „Die Wütenden", obwohl er auf dem ersten Blick in einer ganz anderen Welt spielt.Der Film zeigt den Mikrokosmos von migrantischen Jugendlichen in einer französischen Banlieu, die in ihrem Alltag von rassistischen Polizisten, einen korrupten Kiezfürsten aus der migrantischen Community und Islamisten eingeschränkt werden. Die verschiedenen Apparate arbeiten meist gegeneinander, alle zum eigenen Vorteil und alle eint das Ziel, die Kiezjugend unter Kontrolle zu behalten. Das geht so lange gut, bis er zum großen Ausbruch kommt. Aber auch der hat keinen Ansatz von Kollektivität und von der Vorstellung nach einer anderen Welt. So bleibt er nur ein kurzer Ausbruch, bevor die unterschiedlichen Staatsapparate die Unterdrückung noch mehr intensivieren. Bei Maria bleibt der Aufstand aus,doch auch gibt es nicht die geringste Vorstellung eines anderen Lebens jenseits des Spätkapitalismus. Ein deprimierender Befund eines gelungenen Theaterabends.

Peter Nowak

Die nächste Vorstellung von Maria ist am Donnerstag, den 20.2. um 20 Uhr im Gorki-Theater.

Weitere Infos hier:

https://www.gorki.de/de/maria

"Die Wütenden"

Drama | Frankreich 2019 | 105 Minuten

Regie: Ladj Ly

https://www.filmdienst.de/film/details/573170/die-wutenden-les-miserables

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Geschrieben von

Peter Nowak

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