Gedenken nach 98 Jahren

Werner Möller Die Berliner Stadtteilinitiative Dragopolis erinnerte an ein Verbrechen von SPD und Freikorps vor 98 Jahren. Es ist ein Beispiel für Aneignung von Geschichte von unten.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

„Mein Mann wurde auch als Gefangener zur Garde-Dragonerkaserne gebracht und ist dort ein Opfer der Soldateska geworden. Der Tod durch Erschießen wäre ein milder gewesen, doch die Verletzungen meines Mannes Gatten sind derart, dass von Erschießen keine Rede sein kann“. Diesen Brief richtete Klara Möller im Januar 1919 an die „Die Republik“, die vor 98 als Tagesszeitung der Arbeiterräte in Deutschland für eine grundlegende Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse nach der Novemberrevolution kämpften. Klara Möller beschrieb dort, wie sich ihr Mann mit sechs weiteren Parlamentären nach der Besetzung des Vorwärtsgebäudes Anfang Januar 1919 den auf Seiten der Ebert-Noske-Regierung kämpfenden Freikorps ergeben hatte. Es waren neben Möller der Journalist Wolfgang Fernbach, der Mechaniker Karl Grubusch, der Schmied Walter Heise, der Kutscher Erich Kluge, der Werkzeugmacher Arthur Schöttler und der Schlosser Paul Wackermann. Die 7 unbewaffneten Männer wurden brutal misshandelt und dann erschossen. Dass ihnen 98 Jahre später am Ort ihres Todes gedacht wurde, geht auf die Initiative der stadtpolitische Gruppe “Dragopolis” zurück. Sie setzt sich auf dem Gelände des Dragonergeländes für ein Stadtteilprojekt mit bezahlbaren Mieten ein. „Wir haben uns natürlich gefragt, was auf dem Dragonergelände historisch passiert ist“, erklärt ein Mitglied der Initiative gegenüber ND. Auf den Mord an die Vorwärts-Besetzer sind sie schnell gestoßen. Schließlich erinnert eine Gedenktafel im Eingangsbereich des nahen Finanzamtes Friedrichshain/Kreuzberg an dieses Verbrechen. Doch die Initiative wollte mehr über die Opfer wissen. Dabei kam einen Aufsatz des Historikers Gerhard Engel in der Zeitschrift für historische Studien „Arbeit Bewegung Geschichte“ (http://www.arbeiterbewegung-jahrbuch.de/) zur Hilfe. Dort rekapituliert der Historiker auch das publizistische Werk des Arbeiterdichters Werner Möller. Während der Gedenkveranstaltung wurden mehrere seiner Arbeiten in Gedicht und Lied vorgetragen. In den Zeitschriften der
Sozialdemokratie beklagte er das schwere Los der Proletarier. beschwor eine Welt, in der die Ausbeutung ein Ende haben sollte und warnte vor der Kriegsgefahr. Gab er Anfang noch die Überzeugung kund, dass die Internationale die Kriegstreiber stoppen würden, so wuchs seine Ernüchterung, als sich abzeichnete, dass die Mehrheit der SPD den Kriegskrediten zustimmen würde. In dieser Auseinandersetzung stellte sich Möller auf die Seite der Linken, die gegen Krieg und Burgfrieden agierte. Während er in den Blättern der Mehrheitssozialdemokratie nicht mehr publizieren konnte, nutzte Möller nun die kleinen Publikationen der Linken, wie in den von Julian Borchert herausgegebenen Lichtstrahlen oder in der Zeitschrift Arbeiterpolitik von den Bremer Linksradikalen. In den dort publizierten Texten polemisierte Möller gegen die Eberts und Scheidemänner von der rechten SPD-Führung aber auch gegen das Parteizentrum, das zwischen dem linken und dem rechten Flügel schwankte. Ein Flugblatt, in dem Möller und weiter Genossen im Dezember 1916 die Kriegs- und Hungerspolitik anprangerten, brachte ihm eine mehrmonatige Gefängnisstrafe ein. In den letzten Monaten seines Lebens versuchte Möller die Novemberrevolution voranzutreiben. In einem seiner letzten Texte warnte er, dass bisher nur die Kronen einiger Hohenzollern gefallen sind, während sich der Deutsche Michel schon wieder nach Recht, Ordnung und dem starken Staat sehnt. Diesen starken Staat sind er und viele seiner Genossen zum Opfer gefallen. Hunderttausende nahmen in Berlin Ende Januar 1919 an der Beerdigung von Möller und den anderen ermordeten Revolutionären Teil. Sein Grab wurde an der Gedenkstätte der Berliner Sozialisten wurde 1941 von den Nazis eingeebnet. Nachdem sein Leben wieder bekannt wurde, werden am kommenden Sonntag auf der Gedenkdemonstration einige Teilnehmer seinen Namen auf einen Schild mitführen. Es ist ein Zeichen, dass er auch nach 98 Jahren nicht vergessen wurde.
Gedenkort nach 100 Jahren
Und in 2 Jahren, am 11. Januar 2019 sollte im dann schon fertig gestellten Stadtteilzentrum ein Gedenkort für die 7 ermorderten Vorwärtsverteidiger errichtet werden. Die Tafel sollte nicht im Eingang des Finanzamtes bleiben, sondern das Gedenken gehört genau an den Ort. Denn dort setzen die Stadtteilaktivist_innen die Arbeit für die Umgestaltung der kapitalistischen Gesellschaft fort, für die Möller und seine Genossen 1919 gestorben sind. Die Gegner_innen sind auch die selben. Das Bundesfinanzministerium weigert sich noch immer, das Gelände endlich für die Pläne der Stadtteilaktivist_innen zur Verfügung zu stellen. Er und seine Behörden stehen heute auf Seiten des Kapitals wie 1919 die Noskes und Scheidemänner und ihre Hilfstruppen von den Freikoprs. Und auch heute würde sich das Kapital nicht scheuen, über Leichen zu gehen, wenn ihre Herrschft gefährdet ist. Gerade deshalb ist die Geschichtsarbeit der Stadteilinitiative auch ein wichtiger Beitrag, für ihre heue Arbeit.
Peter Nowak
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden