Horkheimer auf der Bühne

„Die Verdammten“ Regisseur David Bötsch erinnert mit seinem 90-minütigen Theaterabend daran, dass es ohne die Billigung des Kapitals keine Naziherrschaft gegeben hätte

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Theater gegen Rechts boomt in diesen Zeiten in deutschen Schauspielhäusern. Schließlich will man auch auf der Bühne darauf reagieren, dass sich in Deutschland wohl längerfristig eine Partei rechts der Union parlamentarisch verankert und dass viele außerparlamentarische Bewegungen zumindest nach Rechts anschlussfähig sind. Schon gibt es die Kritik, dass viele der Produktionen, die unter dem Label Theater gegen Rechts laufen, eher die eigene Blase, also in diesem Fall das liberale mittelständische Theaterpublikum bedienen, ihr das bieten, was sie sehen und hören will und daher kaum irritieren und verunsichern.

Die 90-miniütige Darbietung „Die Verdammten“ hingegen gehört nicht in die kritisierte Kategorie. Sie verstört schon mit dem Bühnenbild. Ein festlich gedeckter Tisch ist dort zu sehen, darüber ein Kronleuchter. Es ist alles bereit für die Feier bei der führenden deutschen Industriellenfamilie Essenbeck am 28.Februar 1933. Für den von Wolfgang Michael gespielten Seniorchef Joachim gibt es nicht nur privat etwas zu feiern. Viel mehr als über seinen Geburtstag freut er sich darüber, dass vor einigen Wochen der „Führer der größten nationalen Bewegung im Lande“ die Regierungsgeschäfte übernommen hatten.Dafür hatten sich Konzernvertreter in Deutschland seit Jahren eingesetzt, sie hatten Eingaben und Briefe an Reichspräsident Hindenburg geschrieben, hatten mit Hitler und anderen Nazigrößen in noblen Hotels diniert und für dessen Wahlkampf gespendet. Nun schienen sie am Ziel und verlangten von der von ihnen gehätschelten nationalen Bewegung die Rendite für ihre Bemühungen. Die Anfänge waren für sie zufriedenstellend.Viele Kommunist*innen litten schon in SA-Folterkellern, die Gewerkschaften war auf Anpassungskurs und Hitler hatte angekündigt, dass es jetzt gelte, nur noch eine Wahl zu gewinnen. Dann werde es über Jahrzehnte keine Wahl mehr geben und mit Klassenkampf und Sozialismuspropaganda sei in Deutschland dann Schluss. Viel Grund für gute Laune also an der Tafel der Essenbecks.

Doch nicht alle im Bürgertum sind glücklich mit diesen Nazis, deren Sturmtrupps es schließlich an bürgerlichen Manieren fehle. Und mit einigen Maßnahmen der Hitler-Hugenberg-Regierung sind manche liberal Gesinnte im Bürgertum dann auch nicht so zufrieden. Hätte es nicht gereicht, die Kommunist*innen und streikenden Arbeiter*innen einfach mit den repressiven Mitteln der bürgerlichen Republik kleinzuhalten? Das hat ja die letzten Jahre auch ganz gut geklappt.

Um diesen Konflikt geht es in der ersten Szene an der Tafel von Essenbeck. Auf die Meldung, dass der Reichstag brennt, brechen die Konflikte innerhalb der bourgeoisen Familie wortgewaltig auf. Der von Maik Solbach gespielte Herbert Thalmann wettert am Tisch heftig gegen die Nazis und ihre unzivilisierten Sitten und muss bald erkennen, dass er bis auf ein weiteres jugendliches Familienmitglied alleine steht. In seiner eigenen Klasse gibt es wenige Bedenkenträger gegen die Naziherrschaft, solange die NSDAP dafür sorgt, dass die Profite steigen. Und die Vorstellung, sich mit den von Thalmann bei Tisch auch schon mal erwähnten verfolgten linken Arbeiteraktivist*innen zu verbünden, kommt er natürlich als Vertreter der bürgerlichen Klasse nicht.

So bleiben Thalmanns Invektiven gegen die Nazis eine folgenlose bürgerliche Geste, ihm wird schließlich der von der SA inszenierte Mord am Firmenpatriarch in die Schuhe geschoben, so dass er ins Ausland fliehen muss. Seine Frau und seine beiden Kinder werden in Sippenhaft genommen und dürfen das Land nicht verlassen. Als die von Sina Martens gespielte Baronin Elisabeth Thalmann-von Essenbeck von der Konzernpatriarchin gezwungen wird, auf ihr Erbe zu verzichten, scheint die Ausreise doch noch zu gelingen. Doch die Fahrt endet im KZ. Aus dem komfortablen Reisezug wird ein Gefangenentransport. Bei der Ankunft erwarteten die Passagiere brutale Nazischergen, die sie anschreien und schlagen. Diese Szene ist die Ergreifendste der nie langweiligen 90 Minuten.

Ohne Plazet des Kapitals keine Naziherrschaft

Der Regisseur David Bötsch hat den deutsch-italienischen Spielfilm „Die Verdammten“ von Luciano Visconti zum Vorbild, der 1969 ein Sittenbild der Bourgeoisie am Beginn der faschistischen Herrschaft zeichnete.Der Film entstand in Zeiten eines weltweiten sozialen Aufbruchs, als man das Horkheimer-Verdikt, wer von Faschismus redet, darf vom Kapitalismus nicht schweigen, in politische und auch kulturelle Praxis umsetzte. Mit der traditionskommunistischen Dimitroff-Theorie, die Faschismus zur Terrorherrschaft der reaktionärsten Teile des Großkapitalis verkürzte, hatte Horkheimer und auch Visconti nichts im Sinn.

Auch Bötsch zeigt auf der Bühne eine durchaus in unterschiedliche Flügel gespaltene Nazibewegung, Die SS intrigiert gegen die SA, die verschiedenen Mitglieder der Konzernfamilie intrigieren gegeneinander und versuchen, sich bei der jeweils dominantesten Nazifraktion anzudienen. Pech haben die, die auf die besonders lautstarken SA-Männer setzten, die bereits 1934 mit dem Röhmputsch abserviert werden. Aus den SA-Folterkellern wurden die bürokratisch geführten Terrorstätten der Konzentrationslager. Und die unterschiedlichen Konzernvertreter*innen müssen erkennen, dass die NS-Herrschaft als idealer Gesamtkapitalist gute Bedingungen für die Kapitalakkumulation schafft, was aber nicht bedeutet, dass damit für alle Charaktermasken des Kapitals goldene Zeiten anbrechen.

Am Ende sind mehrere Frauen und Männer des Essenbeck-Clans tot, auch die von Corinna Kirchhoff gespielte Baron Sophie von Essenbeck, die von Anfang an auf die Nazis setzte. Man hätte sich viele dieser Familienmitglieder vorstellen können, wie sie nach der NS-Niederlage wieder die bürgerlichen Kapitalist*innen gespielt hätten, die mit den Nazis nur paktiert haben wollten, um das Schlimmste für sich und ihren Profit zu verhindern. Aber das wäre eine andere Geschichte und ein anderes Theaterstück.

Die Aufführung von Bötsch ist empfehlenswert in einer Zeit, in der Faschismus und Nationalsozialismus eher als Herrschaft der Unterklassen, der Abgehängten und Prekären vorgeführt und die bürgerliche Herrschaft gar als Antidot angepriesen wird. „Die Verdammten“ erinnert daran, dass die Nazis und andere Faschisten nur zur Macht kommen, wenn führende Kapitalvertreter*innen ihnen das Plazet geben.

Peter Nowak

Über weitere Termine "Der Verdammten" können Sie sich über diese Seite des Berliner Ensemles informieren

https://www.berliner-ensemble.de/inszenierung/die-verdammten

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Geschrieben von

Peter Nowak

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