„Man hat Euch sogar den Zorn genommen“

Foreign Affairs Fabian Hinrichs pessimistische Gespräche zur Zeit sind da am Besten, wo sie sich von Rene Pollesch lösen

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Nein so rabenschwarz war dann das Ende von Hinrichs Zeittalk "Die Zeit sind Dich tot" doch nicht. Dabei wäre es theatertralisch ein guter Schluss gewesen. Nach dem Ruf, wo bleibt das Neue wird es stockdunkel, und von der Decke fällt ein Seil, an dem die Schlinge zum Aufhängen schon geknüpft ist. Es war zweifellos einer der Höhepunkte von Hinrichs Talkabend über die Zeit. Dabei lässt er wenig aus, mal schwingt er mit einen Seil über die Bühne und lässt sich über Gott und die Welt aus. Dabei gelingen ihm stellenweise gute Zeitdiagnosen. Stark ist auch die musikalische Begleitung, leider bleibt die Band insgesamt aber zu stark im Hintergrund. Rätselhafter Weise schreiben manche Kolleg_innen in ihren Besprechungen von einem Ein-Personenstück als gäbe es die Band gar nicht. Ob sie vielleicht nur den Waschzettel abgeschrieben haben oder im Theater eingeschlafen sind? Dass ist aber eher unwahrscheinlich. Denn einschläfernd war der Theaterabend keineswegs, obwohl Hinrichs stellenweise ins Kalauern gekommen ist. Hier macht sich bei den jahrelang an der Berliner Volksbühne tätigen Schauspieler die künstlerische Beeinflussung durch Rene Pollesch und dessen Theater der Beliebigkeiten bemerkbar, zum Glück aber nur an wenigen Stellen. So wenn er plötzlich das Publikum auffordert, mit seinen Sitznachbarn ins Gespräch zu kommen und ihm oder ihr zu sagen, sie sei schön. Wenn er das Publikum immer nachdrücklicher auffordert, doch dabei mitzumachen, bekommt Hinrich Züge eines Kreativmanagers in Sachen Entertainment. Das Pollesche Erbe schimmert in den knapp 90 Minuten öfter mal durch, manche Sprüche sind flach, manche gedanklichen Assoziationsketten beliebig. Aber solche Stellen werden durch prägnante Formulierungen an vielen anderen Stellen genügend kompensiert.

Berlin ist nicht das Herz Deutschlands

Besonders gut ist sein Abgesang auf Berlin. Prägnant, wie er mit wenigen Worten den ganzen Hauptstadthype dekonstruiert. Allein dafür hat sich der Besuch des Theaterabends schon gelohnt. Als Hinrichs das Publikum aufforderte die Aussage, Berlin ist nicht das Herz Deutschlands zu rufen, demaskieren sich manche Theaterbesucher als humorlose Berlin-Claqueure und protestieren lautstark gegen die Aussage. Das theateraffine Bildungsbürgertum imaginiert Berlin sich noch immer als Herz Deutschland, auch wenn es längst der Enddarm der Republik ist. Davon wollen sie sich selbst bei einem Theaterabend nicht abbringen lassen. Am Ende muss man sich natürlich fragen, ob die Vorführung neben Kalauern und guten Realitätsbeschreibungen eine Aussage gibt. Hinrichs meidet sie. Auch deshalb beendet er den Abend nicht mit den heruntergelassenen Seil beendete. Das wäre ja ein klares Statement.

Karitas statt Selbstorganisation

Auf dem, wie bei allen Theaterstücken des Festivals Foreign Affairs, auf einen Plakat abgedruckten Begleittext zum Stück, beschreibt Hinrichs „eine gewisse Ausweglosigkeit, die mich nicht losgelassen hat“. Dort beschreibt er auch seine fehlende Wut über die Zustände und bleibt hier erstaunlich oberflächlich. „Natürlich, würde ich in Nordafrika leben oder jetzt in Spanien oder Griechenland würde es mir anders gehen“…. Aber ich lebe nun mal hier“. In diesen Sätzen kommt die ganze gesellschaftliche Begriffslosigkeit eines Kulturprekariats zum Ausdruck, das gar nicht begreift, dass ihr Leben als immer einsatzbereite Billiglöhner der Grund mit dem Bruch mit dem Kapitalismus sein müsste. Statt dessen blendet auch Hinrichs, der hier Sprachrohr einer ganzen Schicht ist, seine eigene soziale Realität komplett aus und kann politisches Engagement nur als Karitas statt als Selbstbefreiung denken. Damit wird auch Hinrichs pessimistische Grundstimmung in dem Stück verständlich. Man hat auch ihm den Zorn genommen.

Peter Nowak

Fabian Hinrichs

Die Zeit schlägt dich tot
Ein musikalischer Monolog über die ganz großen Fragen
Uraufführung

Von und mit Fabian Hinrichs [Berlin]

Musik und Komposition Jakob Ilja
Konzeptionelle Mitarbeit / Raum Jürgen Lehmann
Kostüme Victoria Behr

Jakob Ilja (Gitarre)
Nikko Weidemann (Tasten)
Niels Lorenz (Bass)
Carolina Bigge (Schlagzeug)

Ausführender Produzent Büro Tom Stromberg

http://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/foreign_affairs/programm_fa/programm_fa_gesamt/fa_veranstaltungsdetail_46568.php

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Geschrieben von

Peter Nowak

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