"Wissen, das Gras müssen wir rausreißen, damit es grün bleibt“

Mauser Triptychon Das Theaterstück thematisierte in der Schweriner M-Halle das vermeintlich heroische Sterben in und für die Revolution mit Reflektionen über den ewigen Kreislauf von Leben und Tod

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Willkommen in Schwerin, heißt es auf einer etwas in die Jahren gekommenen Kunstinstallation, dass die Besucher*innen vor dem Medienhaus Nord am Rande von Schwerin begrüsst. Nicht nur die Mitarbeiter*innen sondern auch Kunstinteressierte werden sie in der nächsten Zeit öfter zu sehen bekommen. Die M-Halle des Gebäudes ist eine wichtige Adresse für Kunstinteressierte nicht nur Schwerin. Am letzten Samstag wurde vom Mecklenburgischen Staatstheater mit Mauser Triptychon ein Stück inszeniert, das das vermeintlich heroische Sterben in und für die Revolution verbindet mit Reflektionen über Leben und Tod. Gleich in der ersten Szene saßen die Schauspieler*innen hinter einem Fließband, auf denen Totenköpfe lagen. In Abständen ging das Fließband an und einige der Köpfe purzelten vom Band, manche in einen Korb und viele fielen daneben. Das Bühnenbild zeigte eine Gerichtsverhandlung, in hochgeschlossenen Kostümen und Anzügen saßen mehrere Frauen und Männer über Menschen zu Gericht, die als Konterrevolutionär*innen stigmatisiert wurden. Erinnerungen an die Prozesse in der Sowjetunion unter Stalin wurden wach, aber auch an die Gerichtsbarkeit der DDR wurde etwas subtil erinnert. In einem Zwischengang, wo die in zwei Gruppen geteilten Besucher*innen zu den unterschiedlichen Bühnenbildern wechselten, warfen schwarzvermummte Gestalten Blätter in die Luft, auf denen an die Todesurteile erinnert wird, die in der DDR verhängt und bis Anfang der 1980er auch vollstreckt wurden, unter Anderem wegen Spionage. Auf der Bühne deklamieren die Mimi*innen Poesie über das heroische Sterben für die Revolution.

Gelunge Kombination von aufklärerischen Theater und avantgardistischer Musik

„Wissen, das Gras müssen wir rausreißen, damit es grün bleibt“, wird Heiner Müller gleich mehrmals rezitiert. Doch das Besondere vom Mauser Triptychon ist die gelungene Kombination von aufklärerischen Theater und avantgardistischer Musik. Neben einer Kantate von Bach war eine Komposition des kommunistischen italienischen Musikavantgardisten Luigi Nono und des in der DDR bekannten Komponisten Paul-Heinz Dittrich zu hören. Sein Sohn, der Regisseur Paul Georg Dittrich, war für die Inszenierung des Mauser-Triptychon verantwortlich. Die Aufführung setzte gleich in mehrfachen Sinne Maßstäbe. Eine Lektion über das heroische Sterben für und in der Revolution wurde gegeben. Dann wechselte das Publikum den Platz und wurde in einen Raum geführt, wo eine giftgrüne Pflanzenoase eher Schrecken als Behagen ausdrücken. Passend dazu stand lautete das Zitat, das sich Heiner Müller aus der Romantik geliehen hat: „Die erste Erscheinung des Neuen ist der Schrecken.“ Die giftgrüne Hölle war von einen kleinen Wassergraben umgeben, in dem wieder die vermummten Gestalten in schwarzen Umhängen stehen. Derer entledigten sie sich bald und dann standen sie in roten Gewänden im Grünzeug und musizierten. Darüber liefen Videos, die in Loops zeigten, wie eine Frau ein Kind in einer modernen Klinik bekommt und nebenan eine Leiche im Sarg eingeäschert wird. Sehr lange dauern diese Szenen an, die wohl neben dem heroischen Sterben für die Revolution den ewigen Kreislauf von Leben und Tod darstellen sollen. Diese Szene schien etwas lang geraten und einige Szenen wiederholten sich. Dann wird das Publikum in eine Halle geführt, in der Schauspieler*innen Sand umschaufeln und Särge öffnen. Sollen die Leichen aus den Verstecken geholt werden? Und zu welchen Zweck? Den werden die Zuschauer*innen sicher sehr unterschiedlich beantworten. Für mich ist der Begriff der revolutionären Gerichtsbarkeit schon ein Widerspruch in sich. Das wird in der Aufführung gut dargestellt, die Mimi*nnen, die die sogenannte revolutionären Ankläger*innen spielten, fand ich besonders beeindruckend, wie sie in ihrer ganzen Unnahbarkeit und menschlichen Kälte die Figuren der Macht spielten. Sie könnten auch in jeder anderen Gesellschaft Menschen zum Tode durch den Strang oder durch lebenslängliche Haft verurteilen. Nur die Phrasen dazu ändern sich. Auf einen Stuhl vor der Anklage sitzen Besucher*innen aus dem Publikum, die nun die Rolle der Person einnehmen, die verhört wird. Zwischen den einzelnen Szenen flammt immer wieder kurz ein helles Licht auf, wie in diesen berüchtigten Verhörsituationen in aller Welt. In dieser Zeit wird eine neue Person ausgewählt, um einige Zeit Platz auf den Stuhl der Angeklagten zu nehmen. Eine Revolution, die es verdient hat, verteidigt zu werden, muss Schluss machen mit dieser Justiz, diesen Verhören und diesen Verhörlampen. Das ist meine ganz spezielle Erkenntnis, die ich aus diesen außergewöhnlichen Theaterabend mitnehme.

Peter Nowak

Mauser Triptychon

Uraufführungnach Heiner Müller mit Musik von Johann Sebastian Bach, Luigi Nono und Paul-Heinz Dittrich

Dauer 2 Stunden 40 Minuten

Besetzung

Schauspielquartett:
Martin Gerke
Annika Hauffe**
Sebastian Reck
Rosalba Thea Salomon**

Paul-Heinz Dittrich: Bruchstücke
Sopran 1
Karen Leiber
Sopran 2 Emma Rothmann*
Tenor Marius Pallesen

J.S. Bach: O Ewigkeit, du Donnerwort (BWV 60)
Furcht
Gala El Hadidi
Hoffnung Sebastian Köppl
Christus Young Kwon
Opernchor des Mecklenburgischen Staatstheaters
Dirigat und Orgel
Heng Che

Luigi Nono: Io, frammento dal Prometeo
Soprano acuto
Sandra Bildmann*
Sopran I solo Theresa Zschunke**
Sopran II solo Hyeyoung Kim**'
Vokalensemble** Theresa Zschunke**, Hyeyoung Kim*, Anna Lena Auer*, Anna-Maria Kawatzopoulus**, Emilia Daniels**, Ascelina Klee, Taras Semenov*, Yuto Todoroki*, Martin Deckelmann**, Andi Jin**, Seogjun Jang*, Oliver Hirte**

Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin

* Gast / **Studierende der HMT Rostock

Das Stück wurde am 10.06. das letzte Mal in der M-Halle aufgeführt: Es ist zu hoffen, dass es weitere Aufführungen gib.

https://www.mecklenburgisches-staatstheater.de/programm/mauser-triptychon.html

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Geschrieben von

Peter Nowak

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