Mietrebellen unterstützen linke Projekte

Solidarische Kieze Wird ausgerechnet in der Regierungszeit eines linken Berliner Senats die Räumung von linken Projekten in der Stadt beschleunigt?

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Das Hausprojekt der Rigaer Straße 94 Mitte Juli
Das Hausprojekt der Rigaer Straße 94 Mitte Juli

Foto: Sean Gallup/Getty Images

In den nächsten Wochen sollen in Berlin mehrere soziale Projekte in unterschiedlichen Stadtteilen geräumt werden. Dazu gehört das Jugendzentrum Potse in Schöneberg, das queerfeministische Hausprojekt Liebigstraße 34, die Kreuzberger Lokalität Meuterei und die Neuköllner Kiezkneipe Syndikat. Wird ausgerechnet in der Regierungszeit eines sich links nennenden Berliner Senats die Räumung von linken Projekten in der Stadt beschleunigt? Die Politiker*innen erklären sich in Resolutionen oft solidarisch mit den gefährdeten Projekten. So wurde vor einigen Wochen in einen Bezirksverordnetenversammlungs-Beschluss von Friedrichshain/Kreuzberg betont, dass das Hausprojekt Liebigstraße 34 im Stadtteil verankert ist. Die BVV Neukölln beteuerte, wie wichtig das Syndikat für die Kiezkultur im Stadtteil ist. Doch die Politiker*nnen erklären unisono, dass ihnen die Hände gebunden sind. Sie können die Räumungen nicht verhindern, weil es schließlich gültige Räumungstitel gibt. Das Berliner „Mietenwahnsinnsbündnis" aber will die PolitikerInnen in die Verantwortung nehmen.

Mietrebell*innen statt Mietenwahnsinn

Der Name Mietenwahnsinn ist mit Recht in die Kritik geraten. Damit könnten Psychiatrieerfahrene stigmatisiert werden. Zudem sind hohe Mieten eben kein Wahnsinn sondern haben im Kapitalismus Methode. So wird hiermit angeregt, dass sich das Bündnis in Berliner Mietrebell*innen umbenennen möge. So würde die kämpferische Haltung der Mieter*innen in den Mittelpunkt gestellt. Damit würden sie auf den Film Mietrebellen Bezug nehmen. Der Regisseur Matthias Coers hat mit dem Film 2014 den Berliner Mieter*innenwiderstand bekannt gemacht. Mittlerweile ist es in vielen Städen in Deutschland, aber auch in anderen Ländern gezeigt wurden, und hat die Berliner Mietrebellen zu einen festen Begriff gemacht, das auch von dem Berliner Mieter*innenbündnis genutzt werden sollte.

Das Bündnis, das 280 Berliner Initiativen umfasst, sieht den sozialen Frieden in der Stadt bedroht, wenn die Projekte geräumt werden. Die Politiker*nnen der Senatsparteien werden in einem Offenen Brief an diese Passage aus denKoalitionsvertrag von 2016 erinnert: „Wir wollen Brücken bauen, wo Zerrissenheit unser Gemeinwesen gefährdet. Gerechtigkeit, Toleranz, Solidarität…– diese Orientierung bildet den Kompass für unsere gemeinsame Politik.“ „Hat man euch den Kompass geklaut?“, lautet die Frage in dem Brief.

Nicht der soziale Friede ist bedroht

In dieser moralischen Argumentation des Offenen Briefes liegt eine Schwäche der ansonsten begrüßenswerten Initiative. So fehlt eine Aussage, ob sich die von dem Bündnis vertretenen 280 Initiativen an Protestaktionen gegen die drohenden Räumungen beteiligen würden. So rufen mehrere Projekte für den 1. August um 20 Uhr zu einer Demonstration auf, die am Herrmannplatz beginnen soll. Auch die Ankündigung der Initiativen, sich am Räumungstag vor den bedrohten Projekten zu versammeln, würde den Druck auf die Politik erhöhen. Vor allem aber fehlt in der Erklärung die klare Aussage, dass die Räumungen auch ein Angriff auf die Rechte von Mieter*innen sind.

Diese Mieter*innenrechte und nicht ein konstruierter sozialer Frieden, der in einer Klassengesellschaft immer Ideologie ist, sollten von den Berliner Mieter*innenbündnis verteidigt werden. So will die berüchtigte Unternehmensgruppe Padovicz die Bewohner*innen der Liebigstraße 34 räumen lassen. Sie hatte mit dem Hausverein Gewerbemietverträge abgeschlossen, obwohl von Anfang klar war, dass es sich um Mietverhältnisse handelt. Erst in der letzten Woche wurde deutlich, wie Mieter*innenrechte von der Polizei missachtet werden. Zu einer Polizeirazzia in dem linken Hausprojekt Rigaer Straße 94 wurde der angebliche Eigentümer der Briefkastenfirma Lafone Investments Limited hinzugezogen, der mit einem Trupp von Bauarbeitern anrückte und sofort mit der Räumung von Wohnungen begann. „Es gibt für keine der Wohnungen einen Räumungstitel, also fehlt jede Rechtsgrundlage für die Räumung, die die Polizei hier abgesichert hat“, kommentiert der Rechtsanwalt Lukas Theune diese Maßnahme, die klar Mieter*innenrechte abgesichert von der Polizei mit Füßen tritt. Die solidarische Nachbarschaft im Friedrichshainer Nordkiez zeigt auch, dass es viele Möglickeiten der Solidarität gibt. Am vergangenen Samstag organisierten sie vor der Liebigstraße 34 einen Solidariätsnachmittag mit Blasmusik und Kaffee und Kuchen. Das wäre auch eine Anregung, für die Gruppen des Berliner Mietenbündnisses, sich mit von Räumung bedrohten Projekten in ihrer Nachbarschaft zu solidarisieren.

Auch die unbekannten Zwangsräumungen nicht vergessen

Und, nicht zu vergessen: Auch die Zwangsräumungen von Mieter*innen sind nach der Coronapause wieder angelaufen. Die Öffentlichkeit bekommt davon in der Regel wenig mit, weil sich die Betroffenen schämen und lieber unter Brücken schlafen, als sich gegen eine Zwangsräumung zu wehren. In den letzten Jahren hat sich das ansatzweise geändert. Das Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ hat sich in Berlin gegründet, ähnliche Zusammenschlüsse gibt es auch in anderen Städten. Sie haben sich auch an Räumungstagen vor die Haustür gesetzt der gefährdeten Wohnungen gesetzt und die Gerichsvollzieher*innen gezwungen, die Räumung vorerst abzubrechen. Die stärkere Kooperation zwischen linken Wohn- Kultur- und Hausprojekten ist keine Einbahnstraße. Sie könnte dazu führen, dass auch Mieter*innen wieder mehr Mut fassen, sich gegen Räumungen ihrer Wohnungen gemeinsam und solidarisch zu wehren.

Peter Nowak hat gemeinsam mit Matthias Coers im Verlag Edition Assemblage kürzlich das Buch Umkämpftes Wohnen – Neue Solidarität in den Städten herausgegeben. Dort werden solidarische Projekte aus Deutschland, Polen, Griechenland, Italien, Spanien und den USA vorgestellt. Weitere Infos: https://umkaempftes-wohnen.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

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