Führt die neue "Ostalgie" zu AfD-Wahlerfolgen

Neue DDR-Debatte Viele Debatten um die jüngsten AfD-Wahlerfolge vermitteln den Eindruck, als könnten sie schon vor drei oder Jahren geführt worden. Neu ist nur, dass zwei Erfolgsautor*innenmit für den AfD-Erfolg mitverantwortlich gemacht werden.

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Der Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann und sein Erfolgsbuch "Der Osten – eine westdeutsche Erfindung" und die Historikerin Katja Hoyer, die mit "Diesseits der Mauer" den Anspruch erhebt, eine neue Geschichte der DDR zu schreiben. Auch die Kritik daran wirkt aber merkwürdig platt und ohne Tiefe.

Da wird der Anschein erweckt, schon die kritische Betrachtung der "Wende" würde die Rechten befeuern. Zu den vehementesten Kritikern von Hoyer und Oschmann gehört der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk auch in einem Freitag-Beitrag, der sich – ebenfalls in einem taz-Interview – zu den AfD-Erfolgen äußerte:

"Ich habe nach 1990 zu meinem Erstaunen unentwegt erlebt, wie Freiheit im Westen von Leuten, die nichts anderes als ihre eigenen Lebensumstände kannten, mit Füßen getreten wurde – aus einer materiellen Sattheit heraus. Wir leben in einem der sichersten, freiesten und sozialsten Ländern der Erde, aber wenn man hört, was nicht nur AfDler, sondern auch viele Linke oder Leute der sogenannten bürgerlichen Mitte erklären, könnte man annehmen, wir leben in einer Diktatur, in der die Mehrheit am Hungertuch nagt. Natürlich ist vieles zu ändern, besser zu machen, aber nichts davon hätte hätte Wert, wenn wir nicht Freiheit als zentralen Punkt ins Zentrum rücken."


Ilko-Sascha Kowalczuk, Taz

Da sollte Sascha Kowalczuk mal einige Berichte der Initiative "Ich bin armutsbetroffen" lesen, die deutlich machen, dass es Menschen gibt, die entscheiden müssen, ob sie sich Essen oder Miete leisten können. Zudemist die abstrakte Beschwörung der Freiheit in einer spätkapitalistischen Gesellschaft deplatziert, in der alle Menschen nicht über ihren Verhältnissen sondern unter unseren Möglichkeiten leben müssen, wie die Autoren des Buches "Shutdown - Klima, Corina und der notwendige Ausstieg aus dem Kapitalismus" so prägant schreiben. Doch bei Ilko-Sascha Kowalczuk kommt heute eine Kapitalismuskritik gar nicht mehr vor.

Wenn soziale Fragen ethnisiert werden

Dabei gäbe es sinnvolle Kritik an den beiden akademischen Autoren Hoyer und Oschmann mit ihren Ostthemen.So bedient Oschmann in einem ND-Interview den von rechts gerne verwendeten Opfermythos vom besiegten Deutschland:

Man denke nur an die Forderung von Mathias Döpfner kürzlich, man solle den Osten in einen Agrarstaat mit Einheitslohn verwandeln. Solche Intentionen gab es von Seiten der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges aus US-Kreisen bezüglich des besiegten Deutschlands. Stichwort: Morgenthau-Plan. Das sind virulente Kolonialisierungs- und Ausgrenzungsphantasien ersten Grades.

Dirk Oschmann, Neues Deutschland

Hier sind in einen kurzen Absatz gleich mehrere Begrifflichkeiten zu finden, die von rechts genutzt werden können, das besiegte Deutschland und die rechte Erzählung über den Morgenthau-Plan, die schon von der NS-Propaganda bedient wurde. Statt über das Niedriglohnland Ostdeutschland und den Kampf dagegen wird über Kolonialismus und besiegte Nationen geraunt. Demgegenüber ist dem taz-Kolumnisten Kersten Augustin zuzustimmen:

40 Prozent der Erwerbstätigen in Sonneberg leben vom Mindestlohn, so viele wie nirgendwo sonst. Das kann ein Ansatz sein, auch wenn ökonomische Gründe nicht ausreichen, um den Erfolg der AfD zu erklären. Rechtspopulismus ist europaweit auf dem Vormarsch. Wer eine Alternative zu ihm will, muss die Schwäche der Linken überwinden, Antifaschismus und Umverteilung organisieren. Auf die Parteien der Mitte kann man dabei nicht setzen. Sie haben nicht mehr anzubieten als Streicheleinheiten


Kersten Augustin, taz

Das wäre auch eine gute Antwort auf Ilko-Sascha Kowalczuk und seine Eloge an die abstrakte Freiheit. Wer nicht vom Spätkapitalismus und seinen ständigen Zumutungen für alle Menschen, die darin leben müssen, nicht reden will. sollte auch zu den Wahl-Erfolgen der AfD schweigen.

Peter Nowak

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Peter Nowak

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