Linke Kritik an der DDR

Hürtgen - Dahn - Wolfram Renate Hürtgen, Daniela Dahn und Klaus Wolfram- drei DDR- linke Oppositionelle haben sich in letzter Zeit mit unterschiedlicher Kritik an DDR und Wende geäußert

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In der Regel läuft die Debatte über die DDR nur zu Jahrestagen und ist dann vor allem von dem staatsoffiziellen Narrativen geprägt. Demnach war die DDR eine blutige Fußnote der Geschichte in Deutschland, ähnlich wie die Räterepubliken der Jahre 1919, nur dass die DDR eben nicht wenige Wochen sondern 40 Jahre andauernde. Die Verbindung zwischen den Räterepubliken und der DDR ist nicht so absurd, wie es sich auf den ersten Blick anhört. Schon in den Jahren 1919-20 warnten die Gegner*innen der Räterepubliken vor der kommunistischen Diktatur. Man braucht nur die entsprechenden Pamphlete der Feinde der Räterepublik in Bayern zu lesen, vom faschistischen Thule-Bund bis zur Mehrheitssozialdemokratie, dann findet man überall die mit mehr oder weniger starken antisemitischen Stereotypen versetzten Warnungen vor dem Kommunismus. Dafür nahmen die Feinde der Rätebewegung bei ihren Kampf dagegen Tausende Tote in Kauf, in München in den ersten Maitagen 1919, in Berlin zwischen Januar und März 1919, in Bremen, im Ruhrgebiet und an vielen anderen Orten. Es gibt natürlich auch eine Reihe biographischer Bezüge von Aktivist*innen der Rätebewegung der frühen 1920er Jahre, die in der kommunistischen Bewegung und dann im Widerstandskampf gegen den NS aktiv waren und sich am Aufbau der DDR beteiligten. Allerdings ist es da natürlich auch die Instrumentalisierung, wenn in der DDR-Propaganda die Geschichte so umgelogen wird, als wäre sie genau das, was sich die Räterevolutionär*innen erträumt hätten. Dabei waren in der Rätebewegung genau die linken Strömungen aktiv, die sehr früh aus der Kommunistischen Bewegung ausgeschlossen, verfolgt und die dann oft auch im Zuge der Stalinisierung der Kommunistischen Bewegung ermordet worden.

Daher ist es verdienstvoll, wenn die Kulturwissenschaftlerin Renate Hürtgen, die in der linken DDR-Opposition aktiv war, in einem DDR-Beitrag unter der Überschrift Vierzig Jahre Schweigen, eine Diskussion über die Stalinisierung der KPD und der SED einforderte.

Exkurs: Hinweis auf ein wichtiges Buch von Daniela Dahn

Hürtgen mahnt mit Recht an, dass sich neben der Zurückweisung bürgerlicher Mythen, die mit dem 3.Oktober 1990 eine Rückkehr zum deutschen Normalzustand erklärt, eine selbstkritische Debatte mit der linken Geschichte nicht in den Hintergrund treten darf. Zu der Rückweisung der bürgerlichen Erzählungen würde ich auf das aktuelle Buch einer anderen linken DDR-Oppossitonellen verweisen. Daniela Dahn hat gemeinsam mit den westdeutschen Wissenschaftler Rainer Mausfeld in dem kürzlich im Westend-Verlag veröffentlichten Buch „Tamtam und Tabu“ beschrieben, wie im Vorinternetzeitalter mit Fakenews in wenigen Monaten eine Stimmung in der DDR erzeugt wurde, die die parlamentarische Mehrheit für deren Abschaffung erzeugte. Nicht unwichtig zu erwähnen. Diese Aktionen des BRD-Staates und der in der DDR von der CDU geschaffenen Allianz für Deutschland (AfD 1990) richtete sich nicht gegen den SED-Staat sondern gegen die linke DDR-Opposition.

Anknüpfen an rätekommunistische Debatten

Hürtgen ging es in ihren Text im nd hingegen um eine Auseinandersetzung, die an links- und rätekommunistische Debatten vor fast 100 Jahren anknüpft. Es ist wichtig, dass herauszustellen, um eben den Unterschied zu einer sozialdemokratischen DDR-Kritik deutlich zu machen. Da ist der Exkurs zur Rätebewegung wieder sehr hilfreich. Die Sozialdemokratie bewaffnete die Kräfte, die die Räte zerschlugen und war damit am Aufstieg der NS-Bewegung beteiligt. Auch in ihrer Kritik an der DDR ist sie nur eine Variante der offiziellen Erzählung von der Wiedervereinigung als Sieg der Freiheit. Dagegen richtet sich die rätekommunistische Kritik an dem (post)stalinistischen Modell und damit auch an der SED an der Verstaatlichung der Arbeiter*innenbewegung, der einem Staatskapitalismus untergeordnet wird. Dagegen gab es um 1920 auch bei den Bolschewiki starken Widerstand, der sich in der Strömung der Arbeiteropposition ausdrückte, die von 1919 bis 1922, als bei den Bolschewiki alle Fraktionen innerhalb der Partei abgeschafft wurden, eine wichtige Rolle spielte. Die Arbeiteropposition setzte sich für die Autonomie der Arbeiter*innenklasse auch in einer nachrevolutionären Gesellschaft ein, wie sie auch Renate Hürtgen in ihren Beitrag forderte. Es ist allerdings verkürzt, sie nur auf unabhängige Gewerkschaften zu reduzieren. Die können auch wie sich bei bei der Solidarnocz in Polen zeigte, zum Hort reaktionärer Ideologie zu werden. Eine Autonomie der Arbeiter*innenklasse im rätekommunistischen Sinne bedeutet einen Kampf nicht nur gegen alle staatskapitalistischen, sozialdemokratischen und bürgerlichen Ideologien.

Kritik an Stalinisierung

Den größten Teil ihres Textes widmet Hürtgen der Kritik an der Stalinisierung der SED. Dafür lieferte sie einige wichtige Beispiele. Sie beschreibt auch, wie Gegner*innen der Stalinisierung unter unterschiedlichen Etiketten von der SED-Nomenklatura bekämpft wurden. Mal war es der Kampf gegen Titoismus, mal ging es gegen Anarchist*innen, mal gab es andere Etiketten. Doch dabei ging es oft auch um den Kampf verschiedener Fraktionen in den staatskapitalistischen Apparat. Dass sich auch die vorgeblichen Gegner*innen des Stalinismus, wenn sie sich durchsetzen konnten, nicht vor autoritären Methoden zurückschreckten, zeigt sich in Jugoslawien in den 1950er Jahren. Dort wurden tatsächliche und vermeintliche Stalinist*innen in Gefangenenlagern eingekerkert, zahlreiche kamen dort um. Natürlich gehören auch die verschiedenen Strömungen der Sozialdemokratie zu den Gegner*innen des Stalinismus. Dabei sind aber wie der französische Marxist Louis Althusser gut erkannte, Stalinismus und Sozialdemokratie zwei Seiten einer Medaille. Die einen treten für einen Staatskapitalismus ein, während die anderen den Monopolkapitalismus stützen. Dagegen setzt der Rätekommunismus auf die Überwindung von Staat, Nation und Kapital und stellt sich in den verschiedenen Fraktionskämpfen auf keine Seite. Das bedeutet natürlich nicht das passive Warten auf den großen Kladderatsch, Rätekommunist*innen sind keine Schüler*innen des Sozialdemokraten Karl Kautsky. Vielmehr unterstützen sie überall die selbstorganisierten Kämpfe, auch wenn sie nur um die kleinsten Verbesserungen der Situation der ausgebeuteten Arbeiter*innen führen. Sie insistieren darauf, dass diese Kämpfe nicht für die Interessen der Macht instrumentalisiert wird.

Widersprüche auch im Staatskapitalismus aushalten und benennen

Diese Kämpfe gibt es tagtäglich im heutigen Kapitalismus, sie gab es auch im Staatskapitalismus. Hier bleib der Aufsatz von Renate Hürtgen an mancher Stelle recht schematisch:

Hier nur ein Beispiel:

„Ebenso bleibt der unsägliche Machtkampf, den die kommunistischen Sowjetrückkehrer gegen ihre eigenen kommunistischen Genoss*innen aus deutschen Konzentrationslagern und Gefängnissen führten, die sich nach 1945 in Antifaausschüssen organisieren wollten, ein immer noch wenig bekanntes Drama."

Renate Hürtgen, nd am Wochenende

Da ist das 2019 erschienene Buch „Überlebende als Akteurinnen - Die Frauen der Lagergemeinschaften Ravensbrück: Biografische Erfahrung und politisches Handeln, 1945 bis 1989“ eine wichtige Lektüre. Dort beschreibt der Historiker Hennig Fischer am Beispiel der Auseinandersetzung um die Gedenkstätte Ravensbrück, dass die Reduzierung der zahlreichen Konflikt eben nicht nur unter dem Gesichtspunkt Stalinistinnen versus Antistalinistinnen beschrieben werden kann. Er zeigt, dass es auch unter den Verfechterinnen der SED-Linie viele Differenzen gab, die auch in der DDR in den Streit um die Gedenkstätte kulminierten. Das wichtigste jedoch zeigt sich schon im Titel des Buches. Alle an der Auseinandersetzung Beteiligten waren politische Akteurinnen, die als solche bei aller Kritik an ihren Positionen gewürdigt werden sollten. Begriffe wie Täter*innen und Opfer*innen, die eine juristische Dimension in Betrachtungen gesellschaftlicher Kämpfe bringen, haben in dem Buch keinen Platz. Das ist eine Stärke. Es wäre auch für die weitere Debatte über den Stalinisierung in der DDR wertvoll, wenn auf den Opfer-Täter-Diskurs verzichtet würdem und statt dessen von politischen Akteur*innen ausgegangen wird, deren Positionen kritisiert werden.

Das gelungene Beispiel für eine kritische Auseinandersetzung mit der DDR-Aufbaugeneration ist der Film: "Die Rapoports - Unsere drei Leben", der noch in der ARD-Mediathek zu sehen ist. Im Mittelpunkt steht das Leben von Samuel Mitja Rapoport und Inge Seyllm, die als jüdische Linke in die USA vor dem NS in die USA flohen, dort zu bekannten Mediziner*innen wurden und gleichzeitig an den Kämpfen ihrer Zeit teilnahmen, zu Kommunist*innen wurden. Im Kalten Krieg gerieten sie in die Mühlen des McCartynismus, der sich auch auf Westeurop auswirkte. Sie blieben mittel- und arbeitslos, bis ihnen die DDR Arbeitsmöglichkeiten anbot. Sie gehörten zur Aufbaugeneration der DDR, die überzeugt war, eine neue Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung zu errichten. Im Film bekannten sich die mittlerweile verstorbenen Kommunist*innen auch 2016 noch zur DDR, doch auch der Stalinismus wird ebenso wenig verschwiegen, wie das Mißtrauen, mit denen den Westemigrant*innen begegnet wurde. Das gelugene Beispiel einer Auseinandersetzung, weil sie eben nicht von Täter*innen und Opfer*innen sondern von Akteur*innen ausgeht.

Wo haben wir das gelernt?

Der linke DDR-Oppositionelle Klaus Wolfram hat sich die Frage gestellt, wo die DDR-Opposition des Herbst 1989 ihre Widerstandsfähigkeit gelernt und kommt zu dem Schluss. In der DDR-Gesellschaft. In einem nd-Beitrag

schreibt Wolfram:

»Wo hatten sie das gelernt?«, fragte der ostdeutsche Soziologe Wolfgang Engler schon vor zwanzig Jahren. Offensichtlich in der DDR. Aber wie? Durch die Erfahrung sozialer Gleichstellung der überwiegenden Mehrheit dort. Das ist wohl schwer zu sehen für westliche Augen. Seit den 1970ern geschieht ein Umschwung im inneren Gleichgewicht der DDR. Auf die in Stein gemeißelten Verstaatlichungen antwortet ein neues Sozialverhalten. Die Gleichstellung der Menschen bei Stillstellung der Eigentumsverhältnisse hatte Folgen. In den Betrieben lösten sich mindestens die untersten drei oder vier Stufen der alten Hierarchie auf. Arbeiter und Angestellte waren auf gleich gestellt, noch der Meister hing von seiner Brigade ab. Ingenieure, Wissenschaftler, Ärzte - Teilarbeiter unter anderen Arbeitern. Orientierung aneinander statt an Hierarchie und Aufstiegschance. Eine soziale Eigendynamik, die zur Umkehr der Hierarchien tendiert und die politisch gesetzten Rahmen arbeitsalltäglich erweitert, tatsächlich verändert und für individuelle Lebensräume nutzt. Das Gegenteil von westlicher Sozialisation über Marktchancen."

Klaus Wolfram, Neues Deutschland

Eine Langfassung von Klaus Wolframs Überlegungen findet sich im Journal der Künste 12, einer von der Akademie der Künste Berlin herausgebene Publikation.

Dort entwickelt er auch sehr gut, den linken Aufbruch in der DDR, der durch den Mauerfall unterbrochen wurde und dann in die nationalistische Gegenrevolution führte.

"Der Mauerfall änderte allerdings ruckartig die Zusammenset- zung und die Perspektiven der Demokratiebewegung. Nun erst trat das vierte, das konservative Viertel des politischen Spekt- rums aus seinem Wartestand her vor. Mit ihm und seiner Ausstrahlung auf das dritte Viertel (ablehnend, aber passiv hatte ich es charakterisiert) verschob sich das politische Nahziel vom Umbau der DDR zu nationalstaatlicher Wiedervereinigung. Ab Ende Dezember dominierte das Einheitsziel die öffentliche Mei- nung in Ostdeutschland......

Nun begannen die Rückfälle in jene Mentalitäten, aus denen man aufgebrochen war. Der Ängstliche wurde wieder ängstlich, der Mutige wieder einsam, der Zweifler wieder schüchtern, der Sozialist wieder steif und stur, der ehemalige Oppositionelle entweder Moralist oder Karrierist, der Spießer wieder spießig etc."

Klaus Wolfram, Journal der Künste 12

Man müsste noch hinzufügen, dass damals auch die faschistische Mobilisierung einherging, die pogromartigen Krawalle gegen Nichtdeutsche, die rechten Angriffe auf Linke, die mittlerwiele in dem linksliberalen Medien mit dem Begriff Baseballschlägerjahre bezeichnet werden. Nicht wenige der heutigen Journalist*innen waren damals selber davon betroffen. Eine kleine Gruppe von Antifaschist*innen arbeitet diese Gewalt der Vereinigung auf und dokumentiert sie auf einer gut gestalteten Homepage mit dem Titel zweiteroktober90

Oft kommen die Opfer dieser rechten Gewalt vor 30 Jahren so das erste Mal zu Wort. Immer wieder wird schematisch gesagt, diese Gewalt wäre eine Folge von 40 Jahre SED-Herrschaft. Klaus Wolframs und Daniela Dahns Darlegungen helfen zu einen differenzierten Blick. Die rechte Gewalt war Folge der von den BRD-Staat massiv geförderten rechten Wende gegen die linke DDR-Opposition. Man kann auch ganz altmodisch von Konterrevolution gegen den linken Aufbruch in der DDR reden.

Wie aus dem Wohnbezirksausschluss die Initiative "Wir bleiben alle" wurde

Wolframs Verweis darauf, dass diese linke Opposition in der DDR-Gesellschaft entstanden ist, sollte weiter entwickelt werden. Dafür gibt es schließlich viele Beispiele aus dem "vollen Leben. Nur eins sei hier genannt.

Die Wohnbezirksausschüsse in der DDR konnten Organe der Gegenmacht von unten oder Spitzel- und Blockwarteinrichtungen sein, um das jetzt mal sehr schematisch darzustellen. Der WBA-Oderbergerstraße war eine Gegenmacht, verhinderte die Abholzung des Hirschhofs, eines großen Parks hinter den alten Häusern, in den 1980er Jahren. Zu den Kommualwahlen im Frühjahr 1989 in der DDR stellte der WBA sogar eigene Kandidati*innen auf. Einer von ihnen war Matthias Klipp Mit diesen Selbstbewußtsein von gewonnenen Auseinandersetzungen im SED-Staat wanden sich die Aktiven des WBA Oderbergerstraße in den frühen 1990er Jahren, dann auch gegen die neue kapitalistische Wohnungspolitik. Aus dem Wohnbezirksausschuss Oderbergerstraße wurde die Initiative "Wir bleiben alle". Das Kürzel blieb und auch die herrschaftskritische Theorie und Praxis. Der WBA organisierte Anfang der 1990er die ersten großen Mieter*innendemonstrationen von Ost- nach Westberlin. Die Verdrängung vieler Mieter*innen konnte der WBA nicht verhindert, aber noch immer organisieren sich Mietrebell*innen unter den Kürzel WBA (Wir bleiben Alle). Nur noch wenige wissen, dass es aus der DDR-Gesellschaft kommt.

Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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