Warum wollen die einen was vom Pferd erzählen?

Sattelzeit der Revolution So lautete der Titel einer dreitägigen Konferenz, das letzte Woche die Rosa Luxemburg Stiftung, die Helle Panke und das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung gemeinsam organisierte.

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Anfangs war ich etwas irritiert über das Plakatmotiv, der Konferenz. Ein Mann hält ein Pferd, das auf den Kopf steht und darüber steht „100 Jahre 1923“ und auch der Titel war rätselhaft „Sattelzeit der Revolution“. Dann habe ich sowieso Vorbehalte gegen den Trend, immer wieder irgendwelche Jahreszahlen zu nehmen und dann aus denn Ereignissen einen Trend rauslesen zu wollen. Mir scheint, dass der Hype um die Jahreszahlen vor allen den Zweck hat, dass die Kulturindustrie zu diesen Jahresjubiläen weitere Gelegenheiten hat, ihre Bücher, Filme, Podcasts … zu vermarkten. Man denke nur an 1913, das Jahr vor dem 1. Weltkrieg, wo Einiges auf dem Markt geworfen wurde. Zum Jahr 1979 gab es ebenso viele Bücher die ,die sandinistische mit der iranischen Revolution und dann mit dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan und mit irgendwelchen Schriften von Foucault, der anfangs wie nicht wenige Linke diese islamistische Konterrevolution verteidigte, zusammenbringen wollten. Nun also sollte von den drei linken Kultur- und Bildungsorganisationen zunächst sehr disparate Ereignisse im Jahr 1913 zusammenbringen wollten.Warum wollen die einen was vom Pferd erzählen, war meine erste Frage als ich Titel und Motiv sah.

1923 zwischen Revolution und Konterrevolution

Doch auf den wenigen Veranstaltungen, die ich im Rahmen dieser Konferenz besucht hatte, stelle ich fest, bestätigten sich meine (Vor)urteile nicht. Ich hatte den Eindruck, dass hier tatsächlich in einer sinnvollen Weise verschiedene Ereignisse zusammengebracht wurden, die vor 100 Jahren passierten und die einen Richtungsentscheidung andeuteten. Stichworte für 1923 in Deutschland war die Hyperinflation, das endgültige Scheitern einer sozialistischen Revolution in Deutschland und damit auch die Gewissheit, dass die Revolution in der Sowjetunion tragisch isoliert sein würde. Das bedeutete eine endgültige Schwächung der kommunistischen Linken, die nach dem Tod Lenins bald ausgeschaltet und viele später ermordet wurden. Die stalinistische Konterrevolution deutete sich also 1923 schon an. Die Niederlage der Linken wurde kontrastiert mit dem Aufstieg der Konterrevolution, in Italien hatte sich eine faschistische Regierung etabliert und in Deutschland versuchte die äußerste terroristische Rechte in München mit den Hitler-Ludendorff-Putsch direkt die Macht zu ergreifen und damit den Terror gegen alle ihre Gegner*innen und ganz besonders die organisierte Arbeiter*innenbewegung zum Normalzustand zu machen, der bisher im Rahmen der Freikorps mit Duldung und offener Unterstützung von SPD-Minister*innen gegen linke Arbeiter*innen und kritische Intellektuelle ausgeübt wurden.

Rechte und linke Gewalt

Ein wichtiger Autor für die Beschreibung der psychologischen Seite dieses Terrors der Freikorps ist Klaus Theweleit, der mit seinen seinen zwei Bänden Männerphantasien die Frage stellte, warum vor allem Männer diese regelrechte Lust am Terror gegen die gefangenen linken Arbeiter*innen ausübten. Die Endung ist hier sehr bewußt gewählt, Theweleit geht in seinen Büchern auf den besonderen Terror ein, den die Freikorpsmänner gegen Frauen ausübten, die auf Seiten der Revolution kämpften oder nur beschuldigt wurden, Linke zu sein. Theweleit betonte mit Verweis auf Forschungen von Michael Rohrwasser, dass es Gewalt auch in der Linken gab. Das Motiv der starken Genossen wurde oft zu schnell gegen Schwache, Kranke gewendet. Doch es gibt einen wichtigen Unterschied zur rechten Gewalt, betonte Theweleit. "Dieses lustvolle Abschlachten der Menschen wie es die Freikorps-Männer praktizierten und später die Nazis und die Faschisten überall auf der Welt, gab es bei den Linken nicht." Hier sind wir sehr schnell in der Gegenwart. Die islamistische Hamas stellt mit ihren Pogrom im Süden Israel in die Tradition dieses rechten Terrors.

Valeska Gert oder die künstlerische Avantgarde

Mit der Rolle der künstlerischen Avantgarde in der frühen Weimarer Republik beschäftige sich die Kulturwissenschaftlerin Luise Meier. Sie konzentrierte sich auf die avantgardistische Tänzerin Valeska Gert, die im Jahr 1923 eine Salome- Inszenierung auf die Berliner Theaterbühne brachte, die damals viel Beachtung fand, aber auch die Reaktionäre aller Couleur auf die Beine brachte. Die Nazis zwangen auch Valeska Gert ins Exil, in den Nachkriegsjahren machte sie auf Sylt eine Kulturkneipe auf, in der sie auch weiterhin ihre avantgardistische Tanzperformance aufführte, viel Widerspruch, aber im Zuge des 1968er Aufbruchs eine späte Würdigung erfuhr, die sie noch erlebte. Valeska Gert starb 1978 auf Sylt. Heute erinnert eine Straße in einem Neubauviertel am Berliner Spreeufer an die Tänzerin. Die Valeska-Gert-Straße mündet in die Mildred-Harnack-Straße, die an die Deutsch-Amerikanerin erinnert, die sich früh für die Befreiung der Frau einsetze, zur Kommunistin wurde und als Mitglied des antifaschistischen Netzwerks Rote Kapelle in Plötzensee hingerichtet wurde. Es mag Zufall sein, dass die Valeska-Gert-Straße in die von Mildred Harnack mündet. Aber sie steht auch für die Verbindung zwischen Kommunismus und avantgardistischer Kultur, für die die frühe Sowjetunion ebenso stand, wie die frühen Jahre des Kommunismus in vielen anderen Ländern. In dem Buch „Die Rote Köchin“ wird diese Kooperation in den frühen Jahren des Weimarer Bauhauses thematisiert. Im Zuge der Stalinisierung der Sowjetunion und der kommunistischen Bewegung wurde die künstlerische Avantgarde bald zur Seite gedrängt und später auch verfolgt. In Weimar konnte die Rechte unter Einschluss der Nazis das Bauhaus aus Weimar vertreiben, dort wurde die NSDAP mit in die Regierung aufgenommen und nach 1933 musste es auch in Dessau schließen.

Carl Schmückle und die stalinistische Konterrevolution

Der letzte Vortag der Konferenz fand am frühen Freitagabend in den gerade eröffneten Gebäude Zentrum für Literatur- und Kulturforschung im Westen Berlins statt. Es ging um das tragische Ende von Carl Schmückle, der 1919 in die KPD eingetreten war und in Moskau am Marx-Engels-Institut arbeitete. Im Zuge der Stalinisierung in der SU verlor er diese Arbeit, schließlich wurde er als angeblicher Trotzkist verfolgt, verhaftet und schließlich ermordet. Es war eine Ästhetik des Widerstands am Beispiel einer Person, die der Historiker Müller hier vorführte. Besonders viel dem Publikum auf, wie harsch sich ein Georg Lukacs an der Verfolgung von Schmückle beteiligte. Es sollte noch 25 Jahre dauern, bis Lukacs mit dem Stalinismus brach, ohne seine Rolle im Fall Schmückle und anderer nachträglich zu bedauern.

Dabei gehörten viele der im Stalinismus Verfolgten zu denen, die schon besonders früh vor Faschismus, Nationalsozialismus und Antisemitismus gewarnt hatten. Der Faschismus ist die Strafe dafür, dass die Revolution nicht gesiegt hat, sagte Trotzki sinngemäß. Das Jahr 1923 steht dafür besonders deutlich. Das Jahr der Niederlage der Revolution in Deutschland markierte auch den Aufstieg der mörderischen Konterrevolution, des NS.

Das Pogrom vom 5. November 1923

Dabei wäre noch ein weiteres Ereignis im Jahr 1923 in Deutschland zu nennen, das auf der Konferenz thematisiert wurde. Am 5. November jährt sich zum hundertsten Mal ein Pogrom gegen Jüdinnen und Juden im Berliner Scheunenviertel. Am Morgen des 5. November hatten sich wie gewohnt zahlreiche Erwerbslose vor dem Arbeitsamt in der Gormannstraße eingefunden. Im Verlaufe des Vormittags hatten sich dann etliche völkische Propagandisten unter die Wartenden gemischt, Flugblätter verteilt, kurze Ansprachen gehalten. Als gegen 11.30 Uhr das Arbeitsamt den Leuten beschied, es sei kein Geld vorhanden zur Auszahlung der Unterstützung, schlug die Stunde der Agitatoren: Ein Arbeitsloser sei in der Münzstraße von einem ostjüdischen Händler betrogen worden. Die Nachricht verbreitete sich schnell. Binnen weniger Minuten machte sich die Menge auf den Weg, unter Rufen wie "Schlagt die Juden tot!", "Zieht die Juden aus!". Am helllichten Tag wurden Juden überfallen, ausgezogen und beraubt. Wohnungen und Geschäfte wurden demoliert, Autos gestoppt und deren Insassen, Juden oder Personen, die man dafür hielt, verprügelt. Auch hier war das Jahr 1923 eine Sattelzeit, wie es der Titel einer Konferenz ausdrückte, die nicht bloß vom Pferd sondern von sehr aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen erzählte.

Peter Nowak

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Peter Nowak

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