Schluss mit dem Totentanz

Hans Beimler Chor Mit seinen neuesten Antikriegsprogramm laden die poliitsch engagierten Künstler_innen auch zu einer kritischen Betrachung der deutschen Friedensbewegung ein.

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Vor 400 geladenen Gästen aus Wirtschaft und Politik wurde kürzlich im Garten des Berliner Amtssitzes des Bundespräsidenetn eine Aufführung von Lus Percevals Theaterinszenierung „Front“ gezeigt, die sich Erich Maria Remarques Roman „Im Westen nichts Neues“ anlehnt. Ein Kriegspräsident, der seit Monaten dafür trommelt, dass Deutschland wieder ganz vorne mit tut bei den Krieg unserer Zeit, lässt zur Erbauung in der Kunst Remarque spielen. Sicher gibt es für die Künstler_innen keinen endgültigen Schutz vor Vereinnahmung. Dem Hans Beimler Chor zumindest könnte die Schmach nicht passieren, mit seinem 120 minütigen Antikriegsprogramm „Schluss mit dem Totentanz!“ in Gaucks Amtssitz eingeladen zu werden. In der letzten Woche wurde es an einen besseren Ort aufgeführt, in der Werkstatt der Kulturen der Welt in Berlin- Neukölln.

Es begann gleich am Anfang mit einer Einlage, die deutlich machte, dass dort nicht einen naiven Pazifismus gefrönt wurde, wie er auch in der deutschen Friedensbewegung oft zu finden ist. Es wird die Grußadresse verlesen, die Karl Marx 1864 an eine Konferenz der 1. Internationale gerichtet hat und die noch immer sehr aktuell ist, nur einige Wörter müssen vielleicht moderner formuliert werden. Marx erklärte, der Krieg werde nicht von den bürgerlichen Kabinetten beendet sondern nur dann, wenn „die Arbeiterklasse selber in die Geheimnisse der Außenpolitik“ Einsicht nimmt. Eine auch im Zeitalter des Internets und des überschäumenden Transparenzdiskurs äußerst aktuelle Forderung. Denn Transparenz bedeutet eben nur, dass das Agieren der Herrschenden sichtbar sein soll. Marx ging es aber darum, dass die Herrschenden nicht mehr Agieren sollten. Mit diesem Einstieg setzte der politisch und künstlerisch ambitionierte Chor Maßstäbe, die in den folgenden 2 Stunden zum großen Teil eingelöst werden konnten. Gleich im nächsten Lied heißt es:

„Der Krieg kann nicht wie der Wind in die Welt – er wird von Menschen gemacht“. Es war eine kluge Entscheidung, dass die Künstler_innen diesen Song zweimal spielten. Sie beendeten damit auch ihr Programm.

„Friede dem Roten Platz“?

Das vorletzte Lied zumindest wäre für einen Abschluss äußerst unpassend gewesen, weil es eben ein Zeitdokument war, das heute eher nicht mehr aktuell ist und insgesamt eher kritisch betrachtet werden sollte. Der chilenische Poet Pablo Neruda schrieb es für die Kampagne für den Weltfriedensrat, der der sowjetischen Außenpolitik verpflichtet war und den Friedensbegriff darauf ausrichtete. So vertonte er die Politik der friedlichen Koexistenz, indem er allen möglichen Städten auf der Welt Frieden wünschte. Trägt ein solcher Friedensbegriff nicht schon die Verteidigung ungerechter Verhältnisse in sich? Ist „Friede den Hütten – Krieg den Palästen?“ nicht noch die zeitgemäße Parole, wenn es darum geht, eine Gesellschaft aufzubauen, die Kriege aus sich selber heraus unmöglich macht? Diese Frage stellt sich bei einigen Liedern, die der Chor künstlerisch sehr gekonnt in den zwei Stunden darbot. Natürlich darf auch Wolfgang Borchert deutscher Klassiker „Sag Nein“ nicht fehlen. Da hätte man sich gewünscht, der Chor hätte einen solchen Text, der nicht von Ungefähr zum Hit in deutschen Lesebüchern wurde, kritisch gelesen.

„Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst statt Puder und Kakao Schießpulver verkaufen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!“

Der Wehrmachtsangehörigen Borchert, der schwerverletzt und besiegt, wie viele der NS-Mitläufer_innen nach 1945 nein sagte und der deshalb auch zum Sprachrohr der besiegten Ohne mich-Generation wurde, konnte wohl nicht wissen, dass ein Fabrikant, das produziert, was mehr Profit bringt. Der Hans Beimler Chor, der ja schließlich Karl Marx am beginn zu Wort kommen ließ, aber dürfte es sehr wohl wissen. Borchert wurde auch deshalb zum Star der deutschen Nachkriegsgesellschaft, weil er eine Aufforderung eben nicht formulierte. „Wenn Sie Dir morgen befehlen, Juden zu beschimpfen“, sag nein."

Soldaten nicht nur Opfer herrschender Verhätnisse

Dass die Soldaten eben nicht nur Opfer herrschender Verhältnisse war, sondern sich einfügten und willig mittaten in der Volksgemeinschaft, dass wird immerhin in einen Lied des Chores thematisiert. Dort wird eine Frau besungen, die glücklich ist , solange ihr Mann als Soldat aus allen möglichen europäischen Hauptstädten Seide und anderen Luxus mitbrachte, er sich also als Angehöriger der deutschen Wehrmacht so aus geraubten und arisierten Gütern bedient hat. Als dann am Schluss der Totenschein aus Russland kam, war die Frau traurig. Es ist natürlich eine Ausblendung der gesamten Mittäterschaft, wenn die Quintessenz eines solchen Liedes nur in der Aussage „Nie wieder Krieg“ bestehen soll. Aber, das ist keine Kritik an dem Hans Beimler Chor, sondern an einer deutschen Friedensbewegung, diese Ohne uns Stimmung der NS-Mitläufer immer als Schwungrad begriffen hat. Es ist eher ein Verdient des zweistündigen Chors, mit ihrer Aufführung die Lieder und auch die dahinterstehenden Politikvorstellungen darstellbar und kritisierbar gemacht zu haben. In diesem Sinne gibt es hoffentlich noch viele Aufführungen, die zu einer kritischen Auseinandersetzung anregen und zu der Diskussion über die Frage führen, welche der Lieder sind heute für eine antimilitaristische Arbeit noch brauchbar und welche sind nur noch als Dokumente ihrer Zeit zu hören.

HInweise auf diese und weitere Vorführungen finden sich hier:

https://de-de.facebook.com/hansbeimlerchor

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Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

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