Solidarität mit gefangenen Arbeiterinnen

8. März JVA Chemnitz Erstmals zog zum 8. März eine Demonstration vor dem Knast für gefangnne Frauen und knüpfte damit an die Traditionen des Internationalen Frauentages an.

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Die Frauen brachen in großen Jubel aus, als sie die Demonstration hörten. In der nächsten Stunde sollte das Rufen und Winken nicht abebben. Schließlich wurden sogar Bettlaken kurzerhand in Transparente umfunktioniert und abgewickelte Toilettenpapier flog über den Gefängnishof. Einige Papiere waren sogar angezündet worden. Diese Begrüßungsszenen bildeten den Endpunkt einer Demonstration, die vom Chemnitzer Hauptbahnhof zur JVA für Frauen am Stadtrand von Chemnitz führte. Auf der knapp 6 Kilometer langen Route wurden immer wieder Parolen für die Abschaffung aller Knäste skandiert. Schließlich waren es vor allem libertäre und anarchistische Gruppen, die am 8. März, dem Internationalen Frauentag, zur Demonstration vor der JVA aufgerufen hat. Zu den OrganisatorInnen gehörte die FAU Dresden und Chemnitz, sowie die Gefangenensolidarität Jena, die in den Monaten vor allem kämpfende ArbeiterInnen hinter Gittern unterstützte. So werden Gefangene genannt, die sich gewerkschaftlich organisieren und für einen Mindestlohn sowie die Einbeziehung aller Gefangenen in die Rentenversicherung fordern. Seit der Gründung im Jahr 2014 ist es der Gefangenengewerkschaft gelungen, in vielen Knästen UnterstützerInnen zu finden. Bisher war vor allem von männlichen Gefangenen zu hören, die sich gewerkschaftlich organisierten. Das liegt auch daran, dass wesentlich mehr Männer als Frauen im Knast sind. Da war es besonders erfreulich, dass sich nun in der Chemnitzer JVA für Frauen ebenfalls eine aktive Gewerkschaftsgruppe gegründet hat. Dem großen Engagement bei der Begrüßung der Demo nach zu schließen, könnte man hoffen, dass die Frauen den Knastalltag noch gehörig durcheinander bringen können. Schließlich haben sie sich mit ihrer lautstarken Begrüßung der Demo selbstbewusst gegen das Knastreglement durchgesetzt.

Schikane gegen DemonstrantInnen

Die Polizei, die sich während der Demonstration zurück gehalten hatte, ging nach deren Auflösung brutal gegen die TeilnehmerInnen vor. Mehrere DemonstrantInnen wurden in Gesicht und Magen geschlagen, als sie sich nach der Auflösung nicht schnell genug entfernten. Dabei nutzte die Polizei einen Fehler bei der Demoanmeldung aus. Der Abschluss war am Knast und man hatte nicht bedacht, dass der am totalen Stadtrand lag. Die Polizei blockierte eine Straße, die zu einer Bahn geführt hätte. Die Polizei verweigerte die Anmeldung einer Demo, die wieder in der Chemnitzer Innenstadt führe sollte und drohte mit Verweis auf das sächsische Demonstrationsrecht mit der Räumung. In Minutentakt wurden die drei Durchsagen bis zur gewaltsamen Räumung durchgesagt. Die Polizei bereitete sich schon auf eine Einkesselung der DemonstrantInnen vor, als der Bus der Jenaer DemonstrantInnen die Repressionspläne durchkreuzte. Er nahm alle DemonstrantInnen auf und setzte sie vor dem Chemnitzer Hauptbahnhof ab. So lieferte die sächsische Polizei am 8. März gegenüber einer völlig gewaltfreien Demonstration eine Lektion in sächsischem Landrecht. In der Nachbereitung wurde von den Anwesenden trotzdem ein positives Resümee der Demo gezogen. Die TeilnehmerInnenzahl lag über den Erwartungen. Doch vor allem der kämpferische Empfang durch die gefangenen Arbeiterinnen zeigte, dass die Demo ihr Ziel erfüllt hat, ihnen am 8. März Grüße zu bringen und Gesellschaft zu leisten.

„Her mit dem ganzen Leben: Brot und Rosen! Brot und Rosen!“

Doch es gibt noch einen weiteren Grund, warum diese Demonstration so wichtig war. Sie hat bei den Wurzeln des Internationalen Frauentages angeknüpft, die eng mit der proletarischen Frauenbewegung verbunden war. In der Geschichtsschreibung wird immer die wichtige Rolle der in ArbeiterInnenparteien organisierten Frauen wie Clara Zetkin bei der Etablierung des Internationalen Frauentags erwähnt. Doch es haben sich auch AnarchosyndikalistInnen und in der IWW organisierte Frauen in den USA daran beteiligt. Die ökoliberale Taz brachte es fertig, in ihrer Sonderausgabe zum 8. März 2017 diese proletarischen Wurzeln des Internationalen Frauentages überhaut nicht zu erwähnen. Während sich mehrere Interviews und Artikel um schillernde Begriffe wie Diversität drehten, die sowohl eine emanzipatorische Politik aber auch einen neoliberalen Kapitalismus umfassen kann, spielte der Begriff Solidarität“ auf den Seiten der Taz keine Rolle. Wenn heute ausgerechnet zum 8. März manche mehr Managerinnen in Dax-Unternehmen fordern und darin einen Beitrag zur Frauenemanzipation sehen, ist es erfrischend, wenn Menschen zum 8. März vor die Frauenknäste ziehen um sich mit denen zu solidarisieren, die heute besonders ausgebeutet werden und kaum Rechte haben: den inhaftierten kämpfenden Arbeiterinnen. Am Ende verteilte eine Frau den Text eines Liedes „Brot und Rosen“, das in vielen Sprachen gesungen noch immer unaufgehobene Utopie besingt. „Her mit dem ganzen Leben: Brot und Rosen! Brot und Rosen!“

Peter Nowak

Hier der ganze Songtext:

http://www.brot-und-rosen.de/detail.details+M500d5d597d9.0.html

„Wenn wir zusammen gehen, geht mit uns ein schöner Tag

durch all’ die dunklen Küchen, und wo grau ein Werkshof lag,

beginnt plötzlich die Sonne unsere arme Welt zu kosen

und jeder hört uns singen: Brot und Rosen! Brot und Rosen!

Wenn wir zusammen gehen, kämpfen wir auch für den Mann,

weil unbemuttert kein Mensch auf die Erde kommen kann.

Und wenn ein Leben mehr ist als nur Arbeit, Schweiß und Bauch,

wollen wir mehr: gebt uns das Brot, doch gebt uns die Rosen auch.

Wenn wir zusammen gehen, gehen unsre Toten mit.

Ihr unerhörter Schrei nach Brot schreit auch durch unser Lied.

Sie hatten für die Schönheit, Liebe, Kunst, - erschöpft - nie Ruh.

Drum kämpfen wir um’s Brot und wollen die Rosen dazu.

Wenn wir zusammen gehen, kommt mit uns ein bessrer Tag.

Die Frauen, die sich wehren, wehren aller Menschen Plag.

Zu Ende sei: dass kleine Leute schuften für die Großen.

Her mit dem ganzen Leben: Brot und Rosen! Brot und Rosen!“

Dieses Gedicht von James Oppenheim, später als Lied vertont, wurde berühmt durch einen Streik von 14.000 Arbeiterinnen und Arbeitern in den Textilfabriken von Lawrence, einer Stadt in den USA im Bundesstaat Massachusetts. Die Arbeit wurde dort am 11. Januar 1912 im Kampf gegen Hungerlöhne und Kinderarbeit niedergelegt.

Besonders entschlossen kämpften die Frauen: Mehr weibliche als männliche Streikposten wurden wegen Einschüchterung von StreikbrecherInnen verhaftet. Sie wollten sich lieber ins Gefängnis werfen lassen, als eine Geldbuße für ihre Freilassung zu zahlen. Berühmt wurde der Streik wegen der Lieder, die von den Frauen gesungen wurden. Sie sangen in den Kantinen, bei Versammlungen und Kundgebungen und bei Demonstrationen durch die Straßen der Stadt.

Das Gedicht „Brot und Rosen“ regte die Arbeiterinnen an, auf ihre Fahnen zu schreiben: „We want bread and roses too!“

„WIR WOLLEN BROT, ABER AUCH ROSEN!”

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Geschrieben von

Peter Nowak

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