Stimmen einer marginalisierten Linken

Kronstadt-Konferenz Über diesen und andere Koordinationsversuche, aber auch über Isolation und Repression der außerparlamentarische russischen Linken informiert ein Buch.

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„Doch in meinen Fall ist es notwendig, diese Situation irgendwie auszuhalten und nicht damit anzufangen, das Gefängnis aufgrund der eigenen Überzeugung zu fürchten.“ So endet der Brief des russischen Antifaschisten Aleksej Gaskarow. Der Aktivist der außerparlamentarischen Linken wurde wegen Beteiligung an den Protesten nach der Wiederwahl von Putin zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Mit einer noch längeren Gefängnisstrafe hat der russische Anarchist Ilja Romanow zu rechnen. Er beschreibt in einen Brief die internen Hierarchien und die Korruption in russischen Gefängnissen. Beide Briefe sind in dem kürzlich. bei der Edition Assemblage erschienenen Buch mit dem etwas sperrigen Titel „Isolation und Ausgrenzung als post/sowjetische Erfahrung“ veröffentlicht. Herausgeben wurde es von dem ´Wissenschaftler Luca Bublik, dem Historiker Johannes Spohr und der Publizistin Valerie Waldow. Sie sind Mitorganisatoren der sogenannten Kronstadt-Konferenz, die im März 2014 zum dritten Mal in der nordwestrussischen Stadt Murmansk stattfand. Die drei Herausgeber sind auch aktiv in der AGRu, einem Netzwerk sozialer, politischer und kultureller Projekte, das mit der Rosa Luxemburg Stiftung kooperiert. Bisher ist in Deutschland wenig über die Arbeit zivilgesellschaftlicher Initiativen und Gruppen der unabhängigen Linken bekannt. . „Wer sich einer gesellschaftlichen Situation nähern will, tut gut daran, sich die Lage derer zu gegenwärtigen, denen die Teilnahme an ihr untersagt oder beschränkt ist“, schreiben die Herausgeber im Vorwort. Von diesem Grundsatz lassen sie sich bei der Auswahl der Beiträge leiten. Sie geben einen Überblick über eine politische und künstlerische Szene, die gesellschaftlich marginalisiert wird und immer in Gefahr ist, im Gefängnis zu verschwinden. Die drei Gefängnisbriefe sind daher wichtige Dokumente und Zeugnisse von Repression und Widerstand. Sie sind von der Initiative „Radikale Theorie und Praxis“ zur Verfügung gestellt werden, einen Netzwerk von Freiwilligen, das sich der Übersetzung von Texten der außerparlamentarischen Linken widmet. Die Sozialwissenschaftlerin Galina Milhaleva gibt einen guten Überblick über zivilgesellschaftliche Alternativen in Russland unter Putin und ihr Verhältnis zu den unterschiedlichen politischen Parteien. In einem kurzen Text weist die Initiative „Kein Mensch ist illegal“ aus Minsk darauf hin, dass auch Weißrussland mit Frontex bei der Abwehr von Geflüchteten kooperiert. Im letzten Text des Buches geht Falk Springer, der in den 90er Jahre für die Rostocker Aidshilfe gearbeitet hat, auf die Situation der schwul-lesbischen Bewegung in der DDR ein. Der Autor löst den am Beginn seines Beitrags formulierten Anspruch ein. „Die DDR wird heute oft einseitig als eine von staatlicher Überwachung gekennzeichnete Gesellschaft betrachtet. So sehr hier eine differenziert Sicht geboten ist, ist sie für die meisten gleichgeschlechtlich liebenden Menschen zutreffend“.
Peter Nowak
Luca Bublik / Johannes Spohr / Valerie Waldow (Hg.)
Isolation und Ausgrenzung als post/sowjetische Erfahrung
Trauerarbeit. Störung. Fluchtlinien. Edition Assemblage März 2016, 128 Seiten, 12.80 Euro
ISBN 978-3-96042-005-7

http://www.edition-assemblage.de/isolation-und-ausgrenzung-als-postsowjetische-erfahrung/

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Geschrieben von

Peter Nowak

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