Theater des Kommunismus !

Minor Planets Diese Performance war Teil des Festivals "100 Jahre Gegenwart mit Alexandra Kollontai", das am Wochenende im Berliner Theater Hebbel am Ufer (HAU) zu Ende ging.

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Es kann tatsächlich interessant sein, 5 Personen dabei zuzusehen, wie sie auf der Bühne 90 Minuten lang allerlei Gebrauchsgegenstände von unterschiedlicher Konsistenz hin- und her befördern. Mal wird ein Holzbrett über den Kopf, mal ein Stofffetzen am Hintern und mal ein Papier wie eine Monstranz vor sich hergetragen. Miron Planet (http://www.hebbel-am-ufer.de/programm/programm/alphabetisch/vlatka-horvat-minor-planets/) hieß die Performance und die 5 Performaner_innen Neil Callaghan, Wendy Houstoun, Paul Hughes, Bruno Roubicek, Rohanne Udall bemühten sich mit sichtlicher Anstrengung darum, möglichst jedes der Utensilien mindestens ein halbes Dutzendmal hin- und her bewegt zu haben. Am Anfang gab es noch mal vereinzelte Lacher und ein ungeduldiger Zuschauer setzte zum Applaus an ungeeigneter Stelle an. Doch am Ende verfolgten alle gebannt das Geschehen auf der Bühne, hier wurde noch mal am Rad gedreht und dort auf einem Stuhl balanciert. Doch was wollte uns die Regisseurin des Stückes Vlatka Horvat sagen? Machen wir in unseren Alltag nicht ständig tagtäglich diese und ähnliche Bewegungen beim Putzen, Spülen, Kochen und den anderen alltäglichen Arbeiten? Diese Frage stellte sich mir. Auf die philosophischen Einschläge, die im Programmheft angeboten wären, hingegen wäre ich nie gekommen.

„Ausgehend von Recherchen zur Russischen Revolution bezieht sich Vlatka Horvat in ihrer ersten großen Bühnenproduktion auf ihre eigene Erfahrung des Zerfalls Jugoslawiens in den 1990er Jahren, auf den Chaos und Opportunismus folgten. Die Performance widmet sich den Verhaltensweisen, die Menschen entwickeln, wenn bisherige Strukturen zusammenbrechen und darüber hinaus der allgemeinen Unsicherheit, die die gegenwärtige politische Lage kennzeichnet.“ Ich erhebe Einspruch, die Performance zeigt unser alltäglichen Leben. Aber vielleicht ist das kein Widerspruch. Schließlich ist der Kapitalismus eine Zusammenbruchsgesellschaft und so entwickeln die Menschen auch tagtäglich die entsprechenden Verhaltensweisen. Und was hat das ganze mit Alexandra Kollontai, der ersten Feministin in einem Ministeramt zu tun? Nun, Minor Planets wurde am Hebbel am Ufer im Rahmen der Reihe gezeigt.

Geschichtsklitterung a la Marina Davydova

Im Heft zur Veranstaltungsreihe werden wir mit gleich mit dem Bewusstseinstand der aktuellen russischen Liberalen konfrontiert, mit der Schicht also, die als westliche Opposition gegen das Putin-Regime durch die Medien gereicht wird, aber in Russland weitgehend isoliert ist. Wer den Text von Marina Daydova liest, kann das gut bestehen. Die versucht sich in einen Überblick über das Russland vor 100 Jahren. Da gibt es die Februarrevolution, die in den höchsten Tönen gelobt wird. „Ein so liberales Wahlsystem gab es damals nirgends. Von den Rechten, welche die Frauen des Russischen Reiches nach der Februarrevolution 1917 durchgesetzt hatten, konnten alle Frauenrechtler_innen der Welt nur träumen“. Hier nimmt Marina Davydova die Position der dünnen Schicht der russischen Liberalen ein, die in ihren Palästen abgeschottet vom Elend der großen Masse der armen Bevölkerung in den Fabriken und mehr noch auf dem Land in ihren Salons ihre Partys feierten. Leo Trotzki hat in seiner Geschichte der Russischen Revolution diese Partygesellschaft vor dem Untergang so meisterhaft und mit der nötigen Ironie beschrieben. Denn dann trat etwas ein, was diese Damen und Herren in ihren Luxushäusern nicht für möglich gehalten haben. Die Proletatar_innen traten in Aktion, zertrampelten nicht nur ihre Gärten sondern drangen in ihre Villen ein und sie übernahmen sie sogar und brachten dort die Ärmsten der Armen, beispielsweise tuberkulosekranke Kinder unter. Bei Marina Davydova liest sich das Auftreten des 4. Standes so: „Doch dann betraten die Bolschwewiki_innen die Bühne der Geschichte? Wer waren sie? Wer kannte sie überhaupt? Sie waren eine Ansammlung von Außenseiter_innen, der extremistische Flügel der sozialdemokratischen Partei, der früher im russischen Parlament nicht vertreten war und der in keine einzige der provisorischen Regierung Einzug gefunden hatte. Sie tauchen plötzlich auf- wie der Geist aus der Flasche“. Ein besseres Kompliment kann man den Bolschewiki gar nicht machen, sie waren in der Tat der linkeste Flügel der Arbeiter_innenbewegung so wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Sie waren nicht in dem Scheinparlament der zaristischen Despotie vertreten, sondern in deren Kerkern oder im Untergrund und Exil.

Nach dem Vorbild der Pariser Kommune

Sie lehnten es in der Tat und mit gutem Grund, ab sich an irgendwelchen provisorischen Regierungen zu beteiligen, wo die Vorfahren der Kerenskis und Davydovas die Klasseninteressen der Bourgeoisie verteidigten. Die Bolschewiki setzen nicht auf einen Platz im bürgerlichen Parlament. Ihr Vorbild war die Pariser Commune, die damals noch keine 50 Jahre zurücklag und trotz der blutigen Zerschlagung eine Hoffnuhg. Genau das machte die Stärke der Bolschewiki aus und das machte sie für einen großen Teil der proletarischen Massen so attraktiv. Denn für die hatte die von Marina Davydova so hochgelobte Februarrevolution nur eins gebracht. Die Fortsetzung des Krieges, des Hungers und Elends. Die Aufstände in den Städten und auf dem Lande wuchsen und die Konterrevolution stand schon breit, die alte Ordnung in Russland wieder herzustellen. Gerade weil sie sich nicht zum Feigenblatt der Bourgeoisie machten, wurden die Bolschewiki in der Zeit zwischen Februar und November 1917 so stark. Der Historiker Alexander Rabinowitch (http://www.mehring-verlag.de/hintergrundinformationen/autorenportraets/alexander-rabinowitch/ ) beschrieb diesen historischen Entwicklungen in seinen vom Mehring-Verlag ins Deutsche übersetzten Büchern (http://www.mehring-verlag.de/gesamtkatalog/die-sowjetmacht/ )ins Detail. Sie sind noch immer die beste Lektüre, wenn man sich über die Vorgeschichte des Roten Oktober informieren will. Und dann versteht man auch, den Klassenhass, der noch Marina Davydova klar hervortritt. Ihre Klasse hatte im Oktober 1917 das Spiel verloren, leider nur vorübergehend. Aber die Namenlosen, die Ansammlung von AußeseiterInnen“ können jeder Zeit wieder kommen wie ein Geit aus der Flasche. Die in keiner provisorischen Regierung und keinen Parlament sitzen, sie könne die Umwälzung voranbringen. Das haben die Bolschewiki vor 100 Jahren bewiesen. Und Alexandra Kollontai war an vorderster Front mit dabei, wie Gisela Notz in einen Aufsatz in dem Programmheft gut beschreibt. Sie und nicht die Februarrevolution hat die Errungenschaften auf dem Gebiet der Frauenrechte durchgesetzt, von denen noch heute Feministinnen träumen. Wie überhaupt seit dem Roten Oktober die Idee in der Welt ist, dass es keine Herren und keine Knechte gebe soll. Das Greinen der Marina Davydova ist da doch noch mal eine schöne Bestätigung. Und jetzt habe ich für die Performance von Minor Planets noch eine Interpretation. Ja, klar, da werden Gegenstände hin- und her bewegt. Es geht mal vor, mal zurück, dann wird wieder beim Nullpunkt angefangen und wieder wird umgeräumt. Ja, klar. Die fünf Darsteller_innen üben das Einfache, das so schwer zu machen ist, sie üben für den Kommunismus.

Peter Nowak

Link zu Minor Planets :

http://www.hebbel-am-ufer.de/programm/programm/alphabetisch/vlatka-horvat-minor-planets/

Link zum Festiva: 100 Jahre Gegenwart von Alexandra Kollontai:

http://www.hebbel-am-ufer.de/programm/festivals-und-projekte/2016-2017/utopische-realitaeten/

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Geschrieben von

Peter Nowak

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