Punk trifft Pierburgstreik

Vergessene Arbeitskämpfe Wie hat mit den Pierburgstreik vor 50 Jahren zu tun. Eine Veranstaltung am 21. Dezember im Roten Salon der Volksbühne wird es zeigen

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Neuss 1973. Automobilzulieferer Pierburg. Streikwelle in der ganzen Bundesrepublik. Hier streikten ausländische und deutsche Arbeiter:innen für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Mehr Gleichberechtigung im Blick, nahmen die migrantischen Frauen eine starke Position ein, für mehr Fairness. 70 % der 3000 Beschäftigten, mehrheitlich Frauen, verdienten 4,70 DM, während die Männer 6,10 DM erhielten. „Eine Mark mehr!“ war die Forderung, und im Sommer 1973 legten 2.000 Arbeiter:innen, davon 1.700 aus Jugoslawien, Spanien, der Türkei und Griechenland die Arbeit nieder. Die Streiks wurden nicht gewerkschaftlich initiiert. Es begann in kleinen Gruppen, nach politischen Festnahmen, Einschüchterungen der Geschäftsleitung schlossen sich immer mehr Arbeiter:innen an. Ihr Solidaritätsaufruf blieb nicht ungehört: die deutschen Kolleg:innen streikten mit. Innerhalb einer Woche war der Betrieb lahmgelegt. Darüber hinaus solidarisierte sich die Öffentlichkeit, und die Geschäftsleitung musste reagieren. 30 Pfennig mehr für alle Arbeiter:innen wurden durchgesetzt. Dieser Streik steht einen Moment gelungener Migration und einen Schritt für geschlechtliche Gleichstellung.

50 Jahre später wird in der Reihe Vergessene Arbeitskämpfe an diesen Arbeitskampf erinnert. Dazu spielt die Punkband Diensthund. Es ist sicher eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Kombination Doch eigentlich passt es gut? Schließlich ist auch Puk in der Arbeiter*innenbewegung entstanden. Und was könnte besser geeignet sein, junge Menschen an die Geschichte der Arbeiter *innenbewegung heranzuführen, als ein solcher Abend?

Wilde Streiks sind noch immer verboten

Denn es ist absolut zu begrüßen, dass wir an den Pierburgsteik und ähliche Arbeitskämpfe erinnern. Noch immer ist der sogenannte wilde Streik, also der Arbeitskampf, der nicht von einer tariffähigen Gewerkschaft getragen wird, in Deutschland verboten. Das mussten in den letzten Monaten und Jahren die Beschäftigten von Lieferkurierfirmen erfahren, die seit 2021 gegen ihre schlechten Arbeitsbedingungen gestreikt haben. Auch sie waren mit dem Erbe von Karl Heinz Nipperdey konfrontiert. Der ehemalige Kommentator des NS-Gesetzes zur Nationalen Arbeit hat 1952 während eines Arbeitskampfes ein Gutachten erstellt, das bis heute das Streikrecht in Deutschland maßgeblich beeinflusst. Dazu gehört das Verbot des politischen und des verbandsfreien Streiks, also eines Arbeitskampf ohne gewerkschaftliche Beteiligung.

Jetzt sind also auch die Rider*innen, wie sich die Beschäftigen der Lieferdienste nennen, mit den Erbe eines NS-Arbeitsrechtlers konfrontiert. In ihrem Kampf schauen so auch auf die Kämpfe bei Pierburg, Heinze und vielen anderen Betrieben. Eine wichtige Rolle beim Arbeitskampf der Lieferdienste spielte ab 2021 Duygu Kaya, die Teil des Gorillas Workers Collectivs ist. In einem Interview mit der Monatszeitung analyse und kritik sagt Kaya: „Für uns wäre es zentral gewesen, das Recht auf wilden Streik zu haben. So haben wir also das deutsche Streikrecht kennengelernt und uns, auch durch unsere Kündigung, mit der Geschichte wilder Streiks beschäftigt. Dabei sind wir natürlich auch auf die Streiks von 1973 gestoßen. Da ist uns klar geworden: Es ist kein Zufall, dass auch wir wild gestreikt haben, die Geschichte wiederholt sich. Darum haben wir angefangen, uns »Gastarbeiter 2.0« zu nennen.“

Vielleicht werden morgen einige der Fahrradkurier*innen oder auch andere Beschäftigte in Arbeitskämpfen beim Konzert in der Volksbühne dabei sein. Und vielleicht werden andere, die wegen des Konzerns gekommen sind erstmals von den Arbeitskämpfen vor 50 Jahren erfahren und sich fragen: Wie sieht es mit meinen Arbeitsverhältnissen aus? Wann streike ich?

Peter Nowak

Roter Salon der Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz (Berlin)

DO 21 DEZ

Literatur: "Wilder Streik Das ist Revolution, Die Buchmacherei, 176 Seiten / ISBN 978-3-00-039904-6, 12 Euro

https://diebuchmacherei.de/produkt/wilder-streik-das-ist-revolution/

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Geschrieben von

Peter Nowak

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