Von der Polizei geschlagen und selbst angeklagt

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Am 24 .November wird vor dem Amtsgericht Berlin in Tiergarten der Prozess gegen Anne H. fortgesetzt. Das Verfahren könnte noch interessant werden, weil dann ein Polizist als Zeuge aussagen soll, den verschiedene Zeugen als Schläger in Erinnerung haben. Das Opfer ist genau die Frau, die vor Gericht sitzt. Verkehrte Welt, könnte man denken. Aber es ist nun wahrlich nichts Neues, dass Polizisten schwer anzuklagen sind, dass es oft nicht ausreicht, selbst wenn mehre Zeugen die Schläge gesehen haben.

Doch im Fall Anne H. könnte es anders sein. Beim ersten Prozesstag in der vergangenen Woche kam es zu einer Überraschung. Die Verteidigung von Anne H. präsentierte einen Videomitschnitt, auf dem der schlagende Polizist gut zu erkennen ist. Die Auseinandersetzung spielte sich am 17. April nach dem Fußballspiel FC Union Berlin gegen FC St. Pauli in der Nähe des Stadions in Berlin statt. Angeblich wollte sich die Polizei für Auseinandersetzungen mit Rockern in Position bringen. An einen Ausgang saßen Leute und tranken Bier, ein Mann war zu betrunken um selber aufstehen zu können. Wegen der Polizeimanöver sollten sie den Platz räumen, was sie wütend ablehnten. Die Angelegenheit schaukelte sich nach den Aussagen hoch. Die Polizisten sagten aus, von den wütenden Menschen bedrängt worden zu sein und wollen auch Anna H. dabei gesehen haben. Davon ist allerdings in dem Videomitschnitt nichts zu sehen. Die Angeklagte bestreitet auch die Vorwürfe. Sie habe vielmehr die Situation deeskalieren wollen und eine betrunkene Person, die sich mit Polizisten anlegen wollte, wegziehen wollen. Die Schläge kamen für sie völlig überraschend, erklärt H.Ihre Verletzungen waren erheblich. Die Ärzte stellen nach einer Untersuchung fest, dass ihre Nase gebrochen war, mehrere Zähne abgesplittert und beide Augen von Blutergüssen gezeichnet waren. Sie musste für kurze Zeit in stationärer und für längere Zeit in ambulanter Behandlung bleiben.

Der Fall sorgte für Aufsehen und wurde auch von Amnesty International aufgegriffen. Vertreter der Menschenrechtsorganisation beobachten den Prozess. In ihrer vieldiskutieren Dokumentation über Polizeigewalt wurde der Fall Anna H. dokumentiert.

Es bestehenin diesen Fall also gute Aussichten, dass sie freigesprochen und der Schläger verurteilt wird. Wenn selbst in diesem gut Fall ein solches Ergebnis nicht erzielt wird, wann dann?

Zumal noch zahlreiche weitere Verfahren wegen Polizeiübergriffen allein in Berlin in Vorbereitung sind. Unter Anderem soll gegen einen Polizisten Anklage erhoben werden, der bei einer Anti-Überwachungsdemonstration einen Mann geschlagen hat, weil der nach den Grund einer Festnahme fragte. Der Berliner Rechtsanwalt Sven Richwin erklärte in einem Taz-Interview, dass die Zahl der wegen Körperverletzung angeklagten Polizisten gestiegen ist. Dazu hat auch der zunehmende Medienaktivismus auf Demonstranten beigetragen. Ständig wird gefilmt und oft kann auf diese Weise Polizeigewalt gerichtsverwertbar dokumentiert werden, wie der Videomitschnitt im Fall von Anna H. zeigte.

Nachtrag: Der Streit um die Kennzeichnungspflicht der Polizisten in Berlin nimmt immer bizarrere Formen an. Die Regelung ist vom Abgeordnetenhaus beschlossen worden, doch die Interessenvertretung der Polizei läuft dagegen Sturm. Selbst ein Kompromissvorschlag, der den Polizisten freistellt, sich mit einer Nummer statt seinen Namen zu identifizieren, wird von Polizeistellen mit der Begründung abgelehnt, feste Nummern könnten zur Identifizierung des Polizisten beitragen. Dass kann doch nur als Angst interpretiert werden, jetzt schneller strafrechtlich verfolgt zu werden, wenn wieder mal die Faust oder der Schlagstock zu locker sitzt.

Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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