Wenn der Mensch zum Feind erkärt wird

Anthropozän-Projekt Im Zeitalter der Krisen soll wieder - vorerst philosoph - diskutiert werden, wer leben darf und wer sterben muss.

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"Philou, was machst Du“. Diese Frage stellte der US-Geologe Jan Zalasiewicz mehrmals am Donnerstagabend während seines Vortrags im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HdKdW). Er hatte seine Hauskatze mit über den Atlantik gebracht und stellte sie nun in den Mittelpunkt seines Vortrags. Denn er hatte sein Haustier nicht nur aus Anhänglichkeit mit auf die weite Reise genommen. Er wollte mit Philou auch etwas beweisen. Die Katze gehört zu den Gewinnern im Athropozän, lautet seine These. Und er setzt noch hinzu, dass die Hauskatzen noch auf der Erde leben werden, wenn die Menschen schon ausgestorben sind. Schließlich wurden sie vom Menschen gezüchtet und hätten Wildkatzen wie Tiger und Leoparden verdrängt. Wer sich über solche eigenwillige Diskurse wundert, der sei vorgewarnt. In den letzten drei Tagen kreisten fast alle Debatten um solche und ähnliche Fragen. Im Haus der HdKdW begann das Anthropozän-Projekt mit zahlreichen Debatten mit mehr oder weniger wissenschaftlichen Tiefgang. Dabei soll eine Theorie popularisiert werden, die dem Chemiker und Nobelpreisträger Paul J. Crutzen zugeschrieben wird. Sie besagt, dass mindestens seit 200 Jahren die Menschen sich so massiv in die Erdgeschichte eingeschrieben haben, dass die Spuren noch über Jahrmillionen zu erkennen sein werden. Die Theorie wird im Zeitalter von C02-Diskussionen und Klimadebatten, wo sehr viel von dem ökologischen Fußabdruck des Menschen die Rede ist, erst interessant. Wo immer klarer wird, dass die kapitalistische Art und Weise des Lebens und Wirtschaftens auf der Erde im Widerspruch zu ökologischen Ansprüchen steht, wächst auch das Interesse an der Apokalypse. Dass undenkbare Denken heißt auch, dass man erst einmal rein philosophisch darüber debattiert ob alles Leben gleich viel Wert ist. So heißt die Fragestellung bei der US-Anthropologin Elizabeth Povinelli. „Welche Wesen und welche Arten des Seins sind privilegiert Leben zu beanspruchen oder die Seinsprozesse zu bewahren?“ Hier endet die philosophische Achse Nietzsche-Foucault beim Übermenschen, der über Leben und Tod entscheidet, philosophisch versteht sich. Denn im HdKdW waren keine Rechten am Werk, die über das Lebensrecht anderer debattierten. Aber der philosophische Ansatz für die Zerstörung der Vernunft wurde in mehreren der Vorträge gemacht. Dass das oft eher linksliberale Publikum keine Bedenken gegen eine solche Philosophie äußerte, liegt genau am Diskurs, in dem die Anthropozän-Theorie heute so populär wird.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Nun ist die Theorie eigentlich nicht besonders originell und auch ohne philosophische Reverenzen leicht zu verstehen. Schließlich steht ja schon in de Bibel und auch in anderen religiösen Schriften, dass sich der Mensch die Erde untertan machen soll. Auch ohne religiöse Bezüge haben Philosophen wie Karl Marx die bewusste Zurichtung der Natur zum Zwecke der Erleichterung des Lebens zu einer wichtigen Scheidelinie zwischen Menschen und Tier erklärt. Die Zivilisation fängt für ihn und viele Philosoph_innen der Aufklärung in dem Moment an, wo sich die Menschen von den Naturnotwendigkeiten freimachen können. Erst wo sie nicht mehr ständig auf die Jagd oder die Beerensuche gehen müssen, ihre Höhlen ständig vor den Anderen verteidigen und das Feuer hüten müssen, kann die Vorstellung von einer Gesellschaft entstehen, in der nicht mehr jeder des andere Wolf oder Bär ist. Hier beginnt die Selbstermächtigung des Menschen und die Utopie einer freien Gesellschaft, ob wir sie Anarchie oder Kommunismus nennen mögen. Wenn solche Vorstellungen genau in der Zeit verschwinden, wo die Entwicklung der Produktivkräfte einen Stand erreicht hat, in der das Reich der Freiheit für alle Menschen keine Utopie mehr bleiben müsste liegt an einer Zerstörung der Vernunft, die phiolosophisch als die Achse Nitzsche- Foucault bezeichnet werden kann. , Dann beginnt der Naturzusammenhang wieder vollständig das Denken zu überwältigen. Das war auf den durchaus interessanten Vorträgen im HdKdW zu beobachten. Wie ein roter Faden zog sich durch die Vorträge, dass der Mensch eigentlich das Problem und eine Welt ohne ihn einen Reiz bekommt.

Wenn der Mensch zum Feind erklärt wird

Die Theorie vom Menschen als eigentlicher Irrläufer der Natur wurde schon in der Frühphase der neueren Ökologiebewegung von rechten Ökologen wie Herbert Gruhl vertreten. Es waren Ökosozialist_innen wie Jutta Ditfurth, die heftig gegen eine Strömung polemisierten, die nicht mehr die kapitalistische Verwertung sondern den Menschen zum Problem erklärt. Im Zuge der Anthropozän-Debatte wurde diese reaktionäre Theorie wieder reaktiviert und kaum in Frage gestellt. So zeigte der Wiener Dokumentarfilmer in Berlin Rohschnitte seines für das nächste Jahr geplanten Films über Orte, in denen der Mensch sich zurückziehen musste. Man sieht Bäder, Spielkasinos, Häfen und Wohnanlagen, in denen die Spuren menschlichen Lebens noch erkennbar sind, während die Natur sich aber wieder im Vordergrund geschoben hat. Nun kann man nach diesen beeindruckenden Szenen fragen, was die Menschen vertrieben hat. Dann wäre man bei der gesellschaftlichen Debatte. Oder man kann vor der Macht der Natur in Ehrfurcht erstarren, die alles Menschenwerk zu Staub zermalmt. Dieser Gestus überwog bei der Debatte in Berlin . Dabei fiel gar nicht auf, dass die Filmausschnitte die Anthropozän-These gar nicht bestätigen. Denn, wenn schon wenige Jahre ohne menschliche Aktivitäten ausreichen, um den Naturzustand wieder herzustellen, wieso soll sich dann der Mensch sogar über Jahrmillionen in die Erdgeschichte einschreiben können? Außerdem dürfte sich ein heftiger Vulkanausbruch oder ein Erdbeben viel markanter in die Erdgeschichte einschreiben,als das Handeln aller Menschen.

Das Essen erwies sich als schmackhaft

Der philosophische Abgesang auf den Menschen wurde im HdKdW allerdings in einen sehr angenehmen Ambiente vollzogen. Mittelpunkt der Konferenz war das vom Kunstkollektiv raumlaborberin betreute, sich über das gesamte Foyer des HdKdW erstreckende Metabolic Kitchen, die wie eine Mischung aus Zukunftslabor und Raumstation aussah. In weißen Anzügen wurde dort von den Künstler_innen das Essen zu bereitet, das sich übrigens als äußerst schmackhaft erwies. Am Sonntag kann man noch reinschnuppern in die leiblichen und geistigen Produkte des Anthropozän-Projekts. Wer das Wochenende verpasst hat, kann übrigens auch in den nächsten Monaten weiterhin daran partizipieren. Das Haus der Kulturen will sich dem Anthropozän Thematik in den nächsten Monaten mit Ausstellungen und weiteren künstlerischen und wissenschaftlichen Interventionen widmen. Vielleicht kommen dann ja auch Stimmen und Interventionen zu Gehör, die den gesamten Ansatz kritisch betrachten.

Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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