Wer kennt diesen bedeutenden Philosophen?

Amo Afer Guinea Kürzlich beschloss die BVV Berlin-Mitte die Umbenennung der M-Straße nach Anton-Wilhelm Amo. In Braunschweig ist dem Philosophen derzeit eine Ausstellung gewidmet

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Kunstverein Braunschweig wird temporär zum Anton Wilhelm Amo Center. Eine künstlerische Intervention von Konrad Wolf als Teil der Ausstellung "The Faculty of Sensing"
Kunstverein Braunschweig wird temporär zum Anton Wilhelm Amo Center. Eine künstlerische Intervention von Konrad Wolf als Teil der Ausstellung "The Faculty of Sensing"

Foto: Nick Schamborski

Amo Afer Guinea* - wer kennst diesen bedeutenden Philosophen und Wissenschaftler? Das ist die Leitfrage der Ausstellung "The Faculty of Sensing - Thinking With, Through and by Anton Wilhelm Amo" im Kunstverein Braunschweig.

Die europäische Geschichtserzählung klammert sich nicht nur an bestimmte Figuren und verteidigt diese stetig, wie z.B. bei den aktuellen Diskussionen um den Rassisten Immanuel Kant, sondern diese Erzählung beseitigt auch stetig die Vielfalt an Meinungen und Perspektiven aus dem kulturellen Gedächtnis. Diesem scheinbar ewigen Kanon versucht der Kunstverein Braunschweig entgegenzuwirken, indem er mit einer Ausstellung über Amo Afer Guinea* einige der blinden Flecken der Geschichte mit künstlerischen Arbeiten benennt. Diese werden als Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung sowohl mit seinem Leben, aber vor Allem mit seinem aufschlussreichen, philosophischen Werk genommen.

Die Werke in der Ausstellung ertasten von ganz unterschiedlichen Perspektiven das Leben von Amo Afer Guinea. Die Künstlerin Lungiswa Gqunta nutzt in ihrer künstlerischen Auseinandersetzung besonders einen sinnlichen Zugang. Mit einer beeindruckenden und bedrückenden Installation aus kalten, tödlichem Natodraht und weichem, organischem, wohlriechendem Salbei, beschreibt sie eine körperliche Erfahrung von erzwungener Migration in der Geschichte und in der Gegenwart. Mit dem Titel der Arbeit "Return to the unfamiliar" bezieht sich die Künstler*in auch auf die Bewegung von Amo Afer Guinea, der mit hoher Wahrscheinlichkeit rundum 1747 Deutschland verließ um an den Ort zu gelangen, an dem er damals als Kind verschleppt und versklavt wurde. Das Ziel war vermutlich die kleine Stadt Axim an dem Golf von Guinea in Ghana.

Blinde Flecken im Leben von Amo Afer Guinea

Dagegen wirkt die Arbeit von Theo Eshetu sehr konkret und funktioniert als ein gelungener Einstieg in das komplexe Werk von Amo Afer Guinea. Auf dem aufrecht hängenden lebensgroßen Flachbildschirm, werden verschiedene Gesichter überblendet und aufeinander projiziert. Dieses verschwommene Portrait verweist auf die verblichenen und blinden Flecken im Leben von Amo Afer Guinea. Es existieren viele verschiedene Bilder, von denen behauptet wird, dass sie Amo Afer Guinea abbilden. Vermutlich macht dies aber kein Einziges. Über kabellose Kopfhörer hört die*der Besucher*in Amo Afer Guineas Textfragmente über das "Leib-Seele-Problem". Die Passagen werden auf Deutsch, Latein und Englisch gesprochen und zeigen die multiplen Perspektiven in seinen Schriften. Amo Afer Guinea hat selbst wahrscheinlich über sechs Sprachen gesprochen und mehreren publiziert.

Leib-Seele-Problematik - zentrales Element der Ausstellung

Die "Leib-Seele-Problematik" ist ein zentrales Thema in der Ausstellung, aber auch im Schreiben von Amo Afer Guinea. In seiner Dissertation "Die Apartheia der menschlichen Seele" vertritt er die Position, dass nicht die Seele, sondern vor allem der Körper Ausgangspunkt für Gefühle sei. Vereinfacht gesagt, könnte die Behauptung in den Raum gestellt werden, dass er sich damit schon sehr früh gegen die verhängnisvollen Theorien rund um René Descartes' Leitsatz "Ich denke, also bin ich." positioniert habe. Die Trennung zwischen Kopf und Körper und der daraus resultierende Irrglaube, dass nur das, was als denkend gesehen wird, eine Berechtigung hat und Rechte zugesprochen bekommen kann, war schließlich eine der theoretischen Legitimationen für Ausbeutung von Menschen und Natur.

Ein lautes Hämmern

Während der Begehung der Ausstellung ertönt immer wieder von irgendwoher ein lautes Hämmern; hierbei kommen Menschen der Möglichkeit nach, die die Künstler*in Patricia Kaersenhout den Besucher*innen bietet. In mehreren Räumen hängen Holztafeln auf denen Texte abgedruckt sind. Dabei handelt es sich um eine Hassrede des Sklaventreibers Willy Lynch, dessen Name durch die grausamen, rassistischen Morde und Methoden, die als "Lynching" bezeichnet werden, bekannt geworden ist. Zum Glück hängen neben diesen brutalen Schriften Hammer und Nägel und rufen dazu auf, einen Umgang mit der rassistischen Hetze zu finden. Die Texte stehen hier aber auch stellvertretend für die Brutalitäten, die in Köpfen entstehen, die sich vom fühlenden Körper, um den sich u.a. Amo Afer Guineas Texte drehen, entfernen. Die Performance des Hämmerns in die Holztafeln hingegen, bei der die Besuchenden selbst zu Handelnden werden, ist ein störender, lauter und sehr körperlicher Akt. Die Ausstellung wurde vom Gastkurator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung und den beiden Hauskurator*innen Nele Kaczmarek und Jule Hillgärtner kuratiert. Das groß angelegte Rahmenprogramm mit unterschiedlichen Kooperationen, welches wegen COVID-19 leider bisher nur begrenzt stattfinden konnte, beinhaltet zusätzlich wichtige Angebote, z.B. die vom 2018 gegründeten Kollektiv Amo-Braunschweig Postkolonial, welches sowohl Workshops zu Rassismus und anti-rassistischer Arbeit anbietet, als auch "offene Diskussionsräume für Weiß-positionierte sowie Black, Indigenous und People of Color".

Das Feld des Nicht-Verstehen

Bedauerlicherweise finden solche direkten politischen und sozialen Aktionen über den Zeitraum von sechs Monaten nicht oft genug statt. Es bleibt bei der Ausstellung häufig auf einer Ebene, die vor Allem ein Fachpublikum anspricht; dabei hat die Geschichte des in Braunschweig aufgewachsenen Amo Afer Guineas unglaubliches Potential für anti-rassistische Arbeit vor Ort. Die Künstler*innen nutzen das Feld des Nicht-Verstehens und das ist auch wichtig, um der kolonialen Praxis von Kategorien und fälschlichem Durchdringen entgegenzuwirken.
Auch wenn die Ausstellung so viele Kooperationen, wie noch nie, eingegangen ist, hätte ich mir, als jemand, der in Braunschweig lebt, noch mehr direkte Einbindung der Menschen vor Ort gewünscht. Diese Ausstellung hat das Potenzial den Besuchenden eine Menge Wissen und verschiedene Perspektiven zu vermitteln, wenn die Besucher*innen sich wirklich anstrengen.
Das Verlernen und Nicht-Verstehen spielt dabei eine große Rolle. Nach der Idee des Architekten Konrad Wolf wurde auf der Webseite des Kunstvereins mit einem leicht transparenten Banner "Anton Wilhelm Amo Center" über den Namen "Kunstverein Braunschweig" gesetzt. Doch diese vorübergehende Umbenennung kann nur ein Anfang einer langen und schwierigen Auseinandersetzung der Stadt Braunschweig mit der eigenen gewaltvollen Geschichte sein.
Die Ausstellung hinterlässt eine*n mit Fragen:
Wie finden wir Wege eine renommierte Institution wie den Kunstverein Braunschweig tatsächlich zu dekolonialisieren?
Welche Privilegien müssen hier noch abgebaut und verlernt werden?
Diese Fragen sollten unbedingt gestellt werden und wir sollten die Geschichte um Amo Afer Guinea als Ausgangspunkt sehen; ausgestellt und gelesen wurde dieser sicher auch zu seiner Lebenszeit. Was führt aber darüber hinaus zu einer nachhaltigen Veränderung der menschenverachtenden Kultur, die uns umgibt? Was muss passieren, damit die Menschen in Braunschweig in hundert Jahren den Namen von Amo Afer Guinea eher erinnern als den von Anton Ulrich?

Gefahr der Instrumentalisierung

Die Gefahr bei dieser Ausstellung rund um Amo Afer Guinea liegt darin, seine Person erneut zu instrumentalisieren und zum Spektakel zu machen - So wie der Herzog Anton Ulrich, Amo Afer Guinea vielleicht benutzt hat, um sich selbst als Bildungsenthusiasten und Humanisten darzustellen. Was wirklich notwendig war und ist, wäre ein kulturpolitischer Wandel, der über Tokens in Ausstellungen hinaus, entschiedene strukturelle Veränderungen ermöglicht. Strukturellem und institutionellem Rassismus muss entschieden entgegnet werden, damit es eine Umverteilung von Macht, Mitentscheidung und Wissensproduktion gibt und damit das sich wiederholende, ausgrenzende Vergessen von Menschen, in der Vergangenheit und Gegenwart gestoppt wird. Diese Ausstellung in ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit ist hoffentlich ein erster Schritt für den Kunst- und Kulturbetrieb in Braunschweig.

*Antonius Guilielmus Amo Afer ab Aximo in Guinea; ich verwende eine verkürzte Form seines selbst gewählten Namens

Nick Schamborski studiert Kunst in Braunschweig

Die Ausstellung läuft vom 28.03.-13.09.2020 und ist geöffnet:
Di-So 11-17 Uhr
Do 11-20 Uhr
Donnerstag und Sonntag gibt es kostenlose, öffentliche Führungen.

In der Ausstellung sind folgende künstlerische Positionen zu sehen:

Akinbode Akinbiyi

Bernard Akoi-Jackson

Andcompany&Co.

Anna Dasović

Jean-Ulrick Désert

Theo Eshetu

Adama Delphine Fawundu

Lungiswa Gqunta

Olivier Guesselé-Garai

Patricia Kaersenhout

Kitso Lynn Lelliott

Antje Majewski

Claudia Martínez Garay

Adjani Okpu-Egbe

Resolve Collective

Konrad Wolf

https://kunstvereinbraunschweig.de/exhibitions/the-faculty-of-sensing-thinking-with-through-and-by-anton-wilhelm-amo-2020/

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