Widerständiges Denken in diesen Zeiten

Heinz Steinert Ein Buch führt in die umfangreichen Arbeiten des wenig bekannten linken Universalgelehrten ein, der mit seiner Arbeit gesellschaftliche Emanzipation vorantreiben wollte.

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„Den Einfluss, den kritische Intellektuelle unter kulturindustriellen Bedingungen haben, hat er nüchtern und realistisch eingeschätzt. Wenn es manchmal gelänge, die Verhältnisse intellektuell zum Tanzen zu bringen, die herrschenden Selbstverständlichkeiten ein wenig zu irritieren, dann wäre das doch schon was. Er wusste, dass er die „Welt nicht aus den Angeln“ heben würde, er ihr aber hin und wieder „ein Loch hauen“ kann.“

Diese Zeilen widmeten Christine Resch und Oliver Brüchertihrem am 20.3. 2011mit 69 Jahren verstorbenen Wissenschaftskollegen Heinz Steinert ineinem auflinks-Netz veröffentlichten Nachruf. Steinert hat diese Internet-Zeitung mit gegründet und zahlreiche Beiträge zu verschiedenen Themen dort veröffentlicht.DasWort Universalgelehrter traf auf ihnzu. Erhat Philosophie, Psychologie, Germanistik und Anglistik studiert, eine psychoanalytische Ausbildung absolviert, wurde in Psychologie promoviert und hat sich in Soziologie habilitiert. Er war Mitbegründer und bis 2000 wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie in Wien. Von 1978 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2007 war Heinz Steinert Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt „Devianz und soziale Ausschließung“ am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität in Frankfurt.

Jetzt hat Wiener Philosoph Karl Reittereine gute Übersicht über das Werk von Heinz Steinert vorgelegt. Auf 213 Seiten führt er die Leser*innen in das Denkgebäude eines Intelektuellen ein, dermit seiner wissenschaftlichen Arbeit immer auch gesellschaftliche Emanzipation vorantreiben wollte.

Kritischer Bezug auf die Frankfurter Schule

Ein zentrales Thema für Steinert war seine jahrelange Beschäftigung mit Adorno und der Frankfurter Schule.Doch Reitter belegt, dass Steinert kein Adornitwar und durchaus kritisch mit seinen Theorien umgegangen ist. So wies er nach, dasssichAdornos Revolutionsbegriffauf die Musik des Schönberg-Kreises und nicht auf die Gesellschaft bezog. „Die eigentliche Revolution, so interpretierte Steinert Adorno, bestünde im neuen Umgang mit dem Material, in der von Schönberg entwickelten Zwölftonkomposition“.Was die gesellschaftliche Entwicklung betrifft,diagnostiziert Steinert Adorno grundlegenden Pessimismus.“Nach der Kritischen Theoriewar schon die bürgerliche Revolution missglückt, von einer proletarischen war daher schon gar nichts zu erwarten“.Intensiv beschäftigt sich Steinert mitAdornos und Horkheimers Thesen zur Kulturindustrie. Reitter zeigt auf, wo Steinerts Kritik ansetzt und geht in einem eigenen Kapitel dann auf seine Differenzen zu Steinert ein.Während der trotz aller Kritik im Detail die Frankfurter Schule zum widerständigen Denken zählt, hält er Max Weberszentrales Werk „ Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus “für grundlegend falsch und sogar unwissenschaftlich. Reitter zeichnet in einen Kapitel nach, wie Steinert diese Arbeit im Detail untersucht und gravierende Fehler feststellt. Steinert begründet aber auch, warum Weber und die „Protestantische Ethik“ noch immer im akademischen Betrieb hohe Konjunktur haben.„Die Weber-These lebt weiter und ist plausibel, weil sie in einer banalisierten Form der (säkularisierten) Wirtschaftstheorie der USA entspricht“. Aber auch die anderer Länder wie Deutschland, könnte man hinzufügen.

Für eine Gesellschaft ohne Knäste

In einem weiteren Kapitel widmet sich Reitter dem Kriminalsoziologen Steinert, der sich für eine Gesellschaft ohne Gefängnisse einsetzte und diese Forderung auch wissenschaftliche begründete:Dabei formuliert er Thesen, die auch30 Jahre später erstaulich aktuell erscheinen: „Wovor wir uns fürchten müssen, das sind junge Männer, Unterschichtenmänner, ausländische Männer, besonders in der Kombinationdieser drei. Dementsprechend muss man sich nicht um soziale Strukturen kümmern, von denen Schaden angerichtet werden könne, dementsprechendbrauchen wir keinenVerdacht gegen die Reichen und Mächtigen zu haben, und am wenigsten gegen die Kombination beider: gegen mächtige Organisationen.“

Reitter schließt das informative Buch überHeinz Steinert mit der Hoffnung „dass es dazu beiträgt, „widerständiges Denken bekannter zu machen“. Das Buch macht neugierig auf die Schriften von Steinert, die, wie das umfangreiche Verzeichnis am Schluss des Buches zeigt,überwiegend in Fachzeitungen und auflinks-Netz veröffentlicht wurden. Vielleicht findet sich ein Verlag, der die gesammelten Arbeiten von Steinert herausbringt.

Peter Nowak

Reitter Karl, Heinz Steinert und die Widerständigkeit seines Denkens, Dampfboot-Verlag 2017213 Seiten25,00 €,ISBN: 978-3-89691-290-9

Weitere Informationen zum Buch:

https://www.dampfboot-verlag.de/shop/artikel/heinz-steinert-und-die-widerstaendigleit-seines-denkens

Texte von Heinz Steinert auf Links-Netz:

http://www.links-netz.de/K_texte/K_steinert_chancen.html

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

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