Widerstand ist die halbe Miete

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Die Perspektive einer neuen Berliner Mietenbewegung liegen in den Stadtteilen, nicht auf Großdemonstrationen


Am Wochenende wurde in den besten Sendezeiten Sozialprotesten breiter Platz eingeräumt. Doch es waren die Demonstrationen in Israel, die so häufig in Radio und Fernsehen vorkamen. Dass am Samstag knapp 6000 Menschen gegen hohe Mieten durch die Berliner Stadtteile Kreuzberg und Neukölln gezogen sind, war hingegen, wenn überhaupt nur eine Kurzmeldung wert.
Es hätten schon fünfstellige Teilnehmerzahlen sein müssen, damit die Medienaufmerksamkeit erreicht wird. Doch es ließen sich nur knapp 6000 Menschen mobilisieren, die mit oft selbst gemachten Botschaften und Slogans begründeten, warum sie sich beteiligen. „Auch die akademische Mittelschicht ist besorgt“, lautete die Aufschrift auf einem kleinen Schild, das eine Gruppe Studierender aus Neukölln mit sich trug. Ein Punk hatte sogar auf einem Betttuch zu einer Gegendemonstration für mehr Profite aufgerufen. „Hilfe, ich kann mir meine Wohnung bald nicht mehr leisten“, lautete die Aufschrift auf dem Schild einer Frau. Junge und alte Menschen mit migrantischen Hintergrund haben sich in einer Initiative der Mieter um das Kottbuser Tor organisiert und der Verdrängung den Kampf angesagt.
„Mieten runter, Löhne rauf“, stellten einige gewerkschaftlich organisierte Demonstranten die Mietsteigerungen in den Kontext der allgemeinen Prekarisierung der Arbeits- und Lebensbedingungen.
Soviel individuelle Motive und sowenig vorgefertigte Slogans gab es selten auf einer Demo. Der Grund dürfte auch in der nicht unumstrittenen Positionierung des Vorbereitungskreises liegen, dass Parteien und Großorganisationen mit ihren Fahnen und Transparenten nicht erwünscht sind. Man wolle den betroffenen Mietern und ihren Initiativen Raum zur Selbstdarstellung geben, nicht aber den Organisationen, die sich schließlich genügend in Szene setzten können, lautet die gerade in Wahlkampfzeiten schlüssige Begründung.


Auch rote Fahnen unerwünscht?

Dass auch rote Fahnen ohne Slogans nicht erwünscht waren, war dagegen kaum vermittelbar. Warum sollen nicht auch Menschen, die mit einer roten Fahne eine politische Aussage verbinden, Mieter sein, die ihren Protest ausdrücken? Warum sollen wütende Mieter, nicht zu dem Schluss kommen, dass die Misere etwas mit dem Kapitalismus zu tun hat und entsprechende Konsequenzen ziehen? Ist nicht die Vorstellung vom politisch unbeleckten Betroffenen, selber naiv und kann eine Bewegung sogar perspektivisch politisch schwächen? Solche Fragen beschäftigt in letzter Zeit auch die Bewegung der Empörten in Spanien. Auch dort sollten neben Parteien und Großgewerkschaften auch politische Kollektive von der Teilnahme ausgeschlossen werden, wenn sie ihre Symbole zeigen wollten.

Zurück in die Kieze

Über die Perspektiven der Mieterbewegung wird es nach der Monate vorbereiteten Demonstration auf jeden Fall diskutiert werden. Schon bei der Abschlusskundgebung, die anders als viele Großdemonstrationen nicht mit einer Beschallung von der Bühne, sondern mit einem offenen aber moderiertem Mikrophon bewerkstelligt wurde, wiederholten sich fast beschwörend Erklärungen, dass die Berliner Mieterbewegung unbedingt weiter geben müsse. Die Vorgaben der Politik und Wirtschaft dafür sind günstig. Gerade erst haben die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften an 17.000 Haushalte in der ganzen Stadt Mieterhöhungen verschickt. Gleichzeitig wächst in Berlin die Zahl der Menschen, die als Hartz IV-Bezieher vor der Alternative stehen, sich zu verschulden oder ihre Wohnung zu verlassen. Gelingt es ihm immer noch, einen Teil der Betroffenen mit der Wohlfühl-Masche einzulullen, mit der aktuell der Regierende Bürgermeister auf Wahlkampfplakaten die Probleme unsichtbar machen will? Dass nicht zehnmal so viele an diesen sonnigen Spätsommertag auf der Straße waren, scheint es nahe zu legen. Doch der Gradmesser für den Erfolg einer Mieterbewegung liegt nicht in der Beteiligung an einer Grießdemonstration sondern am Widerstand im Alltag. Ihre Perspektive liegt in den Kiezen, dort wo die Menschen mit den Mieterhöhungen und den Aufwertungen konfrontiert sind. Wenige Tage vor der Demo hat die Initiative Barbarossastraße 59 in Schöneberg mit einer Kundgebung protestiert, dass die letzten Relikte des sozialen Wohnungsbaus aus dem Stadtteil verschwinden sollen. Eine große Koalition aus SPD und CDU ignorierte die Mieterbelange und stimmte für den Abriss des Wohnblocks aus gerade mal 45 Jahre alten Wohnblocks. Ähnliche Initiativen existieren in fast allen Berliner Stadtteilen. Die Demo hat einige dieser Brennpunkte gestreift und sich von Aktivitäten deren lokalen Initiativen überzeugen können. Im Karl-Kunger-Kiez in Treptow wurde ebenso auf virulente Konflikte hingewiesen, wie im Reichenberger Kiez in Kreuzberg. Leider gab es an diesen Orten keine Zwischenkundgebung, wo den örtlichen Initiativen über das Offene Mikrophon über ihre Kämpfe, ihre Niederlagen aber auch ihre Erfolge hätten berichten können. Gerade bei einer Demonstration, bei der viel Wert auf den Basisbezug gelegt wurde, wäre ein solcher Schritt passend gewesen. Schließend wird sich an diesen Auseinandersetzungen entscheiden, ob von einer neuen Berliner Mieterbewegung gesprochen werden kann.
Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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